Professor Zamorra 47 - Materia Prima

Manfred Weinland & Susanne Picard

Nach "Codex Satanicus" liegt dieses Mal nicht nur aus der Feder Manfred Weinlands, sondern als Co- Produktion zusammen mit Suanne Picard der zweite Roman um die Schicksals- und Wanderjahre des Mädchens Nele - inzwischen eine alte Frau, die nicht sterben kann - vor. Der neue Roman "Materia Prima" - als Urstoff bezeichnet, wenn auch im vorliegenden Roman ein wenig in die Rolle eines MacGuffin gedrängt - setzt handlungstechnisch ungefähr zweieinhalb Jahre nach Neles Erlangung der Unsterblichkeit ein. Inzwischen hat sich die alte Frau mehr oder weniger mit dem Gedanken arrangiert, auf der einen Seite unsterblich in einem abergläubischen Zeitalter zu sein, auf der anderen Seite aufgrund ihres körperlichen Alters diesen Segen eher als Qual zu empfinden. Es empfiehlt sich zwar, den ersten Band dieses historischen Exkurses zu erst zu lesen, um sich vor allem in die Figur der Nele und ihre Liebe zum historischen Nikolaus besser einzuordnen, aber für Neueinsteiger fassen die beiden Autoren die wichtigsten Fakten in einem unauffälligen Zeitraffer zu Beginn der Handlung zusammen.

Interessanterweise konzentrieren sich die beiden Autoren nicht wie schon angesprochen auf die Urmaterie, die Materia Prima oder besser bekannt den Stein der Weisen, sondern sie erzählen eine im 15. Jahrhundert spielende Variation der Romulus und Remus Legende. Nele hat sich auf ihrer Wanderung, die mehr und mehr einer Flucht gleicht, in eine Köhlerhütte in der Nähe von Rom zurückgezogen. Sie glaubt, dass diese Hüte vom Eigentümer verlassen worden ist, weil die Bodenschätze erschöpft sind. Eines Nachts kehrt der Eigentümer zurück und wird vor seiner Haustür ermordet. Der Täter ist ein Werwolfjunge. Schon Manfred Weinlands frühere Arbeiten zeichneten sich durch die detaillierten historischen Bilder aus, in welche er einige phantastische Elemente ausgesprochen realistisch und teilweise hintergründig eingeflochten hat. Mit ihrer mehrere Jahrhunderte umfassenden Lebenserfahrung hat Nele schon viel in einer sich rasant nicht immer zum positiven entwickelnden Welt gesehen. Mit dem Werwolfsjungen kommt eine neue Facette hinzu, denn wie Nele leidet der Junge im Grunde unter einem Flucht. Beide Autoren - die Übergänge sind fließend, da Susanne Picard anscheinend für Manfred Weinland den Roman übernommen hat und eine klassische Kooperation mit unterschiedlichen Handlungssträngen nicht statt gefunden hat - nehmen sich im ersten Drittel des Plots sehr viel Zeit und Raum, um diese unterschiedlichen Charaktere dreidimensional, aber positiv für den ganzen Roman nicht durchgängig sympathisch zu beschreiben. Auch wenn der Werwolfjunge im Grunde wegen des Fluchs zu einem Mörer geworden ist, entschuldigt dies nicht alle seine Handlungen. Auch die Menschen scheue Nele sieht in dem Remus genannten Werwolfjungen keinen Ersatzsohn. Vielmehr bilden sie eine Zweckgemeinschaft während ihrer langen Suche. Sie ziehen schließlich von Rom aus nach Paris, wo sie sich Informationen über Nicolas Flamel erhoffen, den Nele einmal geliebt hat.

 

In einem Punkt enttäuschen Weinland und Picard allerdings. Wie so oft ist die Reise deutlich interessanter als das Ziel. Neben der angesprochenen ausführlichen Charakterisierung geben sich die Autoren sehr viel Mühe, diese historische Zeit vielleicht sogar ein wenig zu genau auferstehen zu lassen. Sie beginnen sich in Details zu verlieben und konzentrieren sich über das schon angesprochene Zwei- Personen- Stück (zu spät wird mit Nicolas Flamel ein dritter Charakter in diese tragische Schicksalsgemeinschaft eingeführt) hinaus zu wenig auf die eigentliche Handlung. Dem Roman fehlt ein wirklicher Abschluss und der Hinweis, dass Nele in kommenden Abenteuern noch mehr aus ihrem Leben erzählen kann, erscheint eher als pragmatischer Hinweis denn ein zufriedenstellender Abschluss. Niemand hat erwartet, dass dem Jungen sein Werwolffluch genommen wird oder Nele wirklich wieder jung oder zumindest sterblich werden kann, aber trotz oder vielleicht gerade wegen der im Klappentext angedeuteten Katastrophe wird am Ende dieser atmosphärisch sehr guten Handlung zu wenig von beiden Autoren geliefert. Eine vergleichbare Schwäche wies schon der ersten Zaubermond Nele Roman auf. Im Rahmen der fortlaufenden Heftromanreihe mag man derartig offene und episodenhaft erscheinende Enden ohne Probleme präsentieren können, da zwischen dem Erscheinen der einzelnen Nele Teil im Taschenbuchformat aber ein Jahr oder vielleicht mehr ins Land streichen könnte, wäre eine bessere und nachhaltigere Fokussierung der Geschichte sinnvoller gewesen.

Erschwerend für den ganzen Roman kommt hinzu, dass Nicolas Flamel mehr und mehr von seiner geheimnisvollen Faszination verliert. Für den aufmerksamen Leser ist es keine Überraschung, das dieser anfänglich charismatische Charakter natürlich keine einhundert Jahre früher verstorben ist. Nicolas Flamel ist in seiner Position als ambivalenter Lehrmeister der jungen Nele der interessanteste Charakter des "Codex Satanicus" gewesen. Im vorliegenden Roman findet die Begegnung zwischen Nele und ihm fast im Vorbeigehen statt, was ihr nicht nur Effektivität nimmt, sondern angesichts der langen Exposition überhastet erscheint. Das Zusammenspiel der beiden markanten Figuren mit so unterschiedlichen Interessen ist dagegen wieder überzeugender geschrieben und die Dialoge wirken aus heutiger Sicht natürlich entsprechend modernisiert natürlich und überzeugend. Problematisch ist, dass Neles Charakter zu wenigen überraschenden Entwicklungsschüben unterliegt und dieser "kurze", aber zu wenig prägnante Abschnitt in ihrem Leben in erster Linie im historischen Kontext einer Abenteuergeschichte mit einem im Verlauf der Handlung leider immer blasser werdenden Werwolf gesehen werden muss und kann. Dabei wird nicht einmal Potential verschenkt. Es wird zu wenig Dynamik aufgebaut und die Motivation der Protagonisten trotz klarer Herausarbeitung gegen Ende des Buches zu wenig in Aktionen und Handlung umgesetzt.  

Stilistisch ist "Materia Prima" ein ansprechend geschriebener Roman um zumindest im Verlauf der ganzen Serie betrachtet interessante, ambivalente und ausbaufähige Figuren, die in der hier vorliegenden Kooperation leider nicht ihr ganzes Potential entfalten und deren Einbindung in den etwas zu dünnen, vorhersehbaren Plot zu spärlich erfolgt.
 

 

Zaubermond Verlag, 160 Seiten, Taschenbuch

Erschienen September 2013

www.zaubermond.de

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