Home, sweet Home

Home, sweet, Home, Phantastische Miniaturen, Rezension
Thomas le Blanc

Das kuschelige Haus kann zum Alptraum werden. In dieser neunten Sammlung der phantastischen Miniaturen haben sich Herausgeber Thomas  le Blanc und seine vielen Mitstreiter sehr viel Mühe gegeben, es dem wahrscheinlich zu Hause bequem auf dem Sofa oder in einem Lesesessel verweilenden Leser ungemütlich zu machen.

 Karl Ulrich Burgdorf eröffnet die Miniaturen mit „Liebesdienst“, dem perfekten und dem Bewohner fast einen Mutterleib bietenden Haus. Kompakt geschrieben und auf den Punkt gebracht ist die Idee vielleicht nicht unbedingt gänzlich neu, aber zumindest kurzweilig interessant. Natürlich gibt es auch die Perversen, die „Mit all meiner Liebe“ (Thomas le Blanc) sich eine ideale und dann bis zum Lebensende verweilende Bewohnerin suchen.

Aber kein Haus ist wirklich perfekt, wie Hans Dieter Furrer in „Die Reparatur“ feststellen muss. Oder Berüchtigt genug, um wie bei Holger Marks nicht an der „besten Casting- Show der Galaxis“ teilzunehmen, wobei der Science Fiction Gehalt eher an einer anderen Sphäre kommt.

 Auch Kai Focks „Mysophobie“ geht es um die perfekten Lebensbedingungen des Bewohners, wobei dieser selbst schließlich zu einem der Probleme wird. Der Umkehrschluss hinsichtlich der Pointe ist natürlich auf der einen Seite konsequent, auf der anderen Seite stellt sich die Frage, warum die künstliche Intelligenz überhaupt eine weitere Verunreinigung in der Theorie zugelassen hätte, wenn das Problem ab Ticket 987 durch präventiv Maßnahmen gar nicht mehr hätte entstehen müssen. Aber sowohl Karl Ulrich Burgdorf als auch Kai Focke treiben die guten Intentionen der mit künstlichen Intelligenz ausgestatten Wohnungen auf die pointierte Spitze.

 Anders herum kann die Technik auch genutzt werden, um eine Art der modernen Zwangsräumung zu initiieren, wie Andre Fock pointiert und originell in „Herrliche Aussichten“ feststellen kann.  „Smart Living“ von Marc- Andre Pahl führt den Gedanken eines perfekten und perfektionierten, von seiner künstlichen Intelligenz gesteuerten Hauses auf einen konsequenten wie zynischen Höhepunkt, wobei sich der Leser unwillkürlich fragt, ob nicht gerade für einen solchen Vorfall nicht auch vorgebeugt worden ist. Rainer Schorm nimmt in „Stubenhocker“ diese Facette auf und führt sie zu einem entsprechenden Ende. Aber es geht auch anders herum, wie Bernd Schuh in „Locked In“ extrapoliert. Die intelligenten Häuser brauchen anscheinend die gleiche Liebe und erdrückende Fürsorge, welche sie ihren Menschen angedeihen lassen. Einsamkeit ist tödlich und nicht vor zu programmieren. Dazu kommen andere Emotionen wie Eifersüchteleien -  „Dein Wunsch ist mir Befehl“ von Jacqueline Montemurri – der künstlichen Intelligenzen. Die Folgen sind immer gleich und nutzen sich angesichts der Vielzahl der Miniaturen auch teilweise ab. Auch Karla Weigands „Schöner Wohnen“ zielt in diese Richtung, wobei die Autorin nicht konkret auf die Idee der überwachenden künstlichen Intelligenz eingeht, sondern eher vage bei besonderen Baustoffen bleibt.  Thomas le Blanc zeigt in „Die perfekte Frau“, das Makel liebens- und ablenkenswert sind. Auch wenn die Idee des intelligenten Hauses außerhalb der Kommentatorenrolle keine wirkliche Relevanz hat, ist die Pointe wenigstens zufrieden stellend.

 Kai Riedemann in „Wie Vanessa Wagner starb“ oder auch Monika Niehaus in „Hulda XP Comort“ zeigen die enge Verbindung zwischen Verbrechen nicht selten mit einem leidenschaftlichen Hintergrund und der perfekten Umgebung. Auch wenn beide Miniaturen sehr direkt auf ihre jeweiligen, wer genau liest erkennbaren Pointen hinsteuern und nicht jedes Element wirklich originell erscheint, machen subversiven Enden trotzdem Spaß und zeigen, wie eng die vom Menschen doch irgendwie gesteuerte Synthese zwischen Haus und Künstlicher Intelligenz nur in der Theorie ist. Für den Leser stellt sich bei „Asyl für die Ewigkeit“ von Jörg Weigand unwillkürlich die Frage, ob das rücksichtslose Ausnutzen zukünftiger Resourcen nicht eine Art Bestrafung nach sich ziehen muss. Der Autor kann der Idee des „Schläfers“ eine unorthodoxe Wendung geben und zynisch die Folgen eines solchen Verhaltens extrapolieren.

 Abschließend beschäftigen sich Bettina Lutze mit „Smarthome“ und Jörg Weigand in „Zukunftsaussichten“ mit den fürsorglichen Häusern, welche ihren Besitzern aktiv mit Rat und Tat so stark zur Seite stehen, dass ein normales Leben nicht mehr möglich ist. Die sehr kurzen Miniaturen unterhalten vor allem auch durch die fast surrealistisch zu nennende Extrapolation der typischen Alltäglichkeiten.  

 Aber manchmal ist der Mensch selbst eine Höhle, wie Ansgar Schwarzkopf mit „Innenleben( im Schneckenhaus)“ impliziert. Auch wenn nicht jede Pointe erklärbar sein muss, sollte der Leser zumindest die Möglichkeit haben, den Gedanken des Protagonisten zu folgen und daraus die entsprechenden Handlungen abzuleiten. Phantastisch surrealistische Enden sind ohne Frage interessant, in diesem Fall wirkt es leider wie ein eher konstruierter Ausweg aus einem anfänglich interessant aufgebauten Innenlebenszenario.

 Katja Göddemeyers „House of Memories“ ragt aus dieser Masse der Geschichten mit künstlichen Intelligenzen positiv heraus. Die Grundidee ist interessant und wahrscheinlich in der Theorie der immer älter werdenden Bevölkerung gegenüber auch hilfreich.

 Am Ende steht „Eigentum verpflichtet“ von Maike Braun. Die Menschen sind schon länger nicht mehr die Bewohner der intelligenten Häuser und diese müssen für sich selbst sorgen. Ein melancholischer, wenn auch nicht chronologischer Abschluss der vielen Storys um die künstlichen Intelligenzen in den Häusern der Zukunft.

 Selbst Drachen können sich der Technik in „Die Höhle“ nicht einziehen. Es handelt sich um eine der Geschichten, in denen absichtlich aus bekannten Versatzstücken etwas Neues und Originelles gebaut worden ist. „Seppis Haus“ von Frank G. Gerigk könnte in die gleiche Richtung gehen und wirkt auch visuell eindrucksvoll, es fehlt aber eine abschließend zufrieden stellende Erklärung.  Oder „Putztag“ von Monika Niehaus, in dem der Titel  Programm ist und intelligentes Leben eher wie Ungeziefer angesehen wird.

 Robert Jäger mit „Viele, viele, viele Polysacharide“ und Merlin Thomas Anzeige vom „Traumhaus in idyllischer Lage“ konzentrieren sich auf eine märchenhafte Bauweise. Schön ist, das diese beiden so stilistisch wie inhaltlich unterschiedlichen Beiträge sich gegenüber stehen und dadurch zeigen, dass manche Märchen immer wieder in modernem Gewand erscheinen können. 

 Tim Piepenburg schießt mit seiner Zombie Farce „Schöner Wohnen“ humoristisch den Vogel in dieser Sammlung ab. Wie bei einigen anderen Texten gelingt es aus bekannten handlungstechnischen Mustern neue Ideen zu generieren und vor allem den Blick in das kombinierte Wohn- und Schlafzimmer eines Zombies zu werfen.

 Alexander Roeders „ Moderner Wohnen 1910“ führt den Leser in die inzwischen vertraute Atmosphäre seiner exzentrischen Professoren und vor allem auch dem besonderen Clubleben zurück. Nur fehlt diesem Stillleben dieses Mal eine entsprechende Pointe, so dass die zahlreichen Ideen im Nichts verpuffen.

 Geister gehören auch zu Häuser. Friedhelm und Helen Schneidewind versuchen in ihren sehr unterschiedlichen Miniaturen diese Stimmungen einzufangen. Dabei hat Friedhelm Schneidewind mit „Geister im Gemäuer“ die Nase nicht zuletzt aufgrund der zahllosen Anspielungen auf andere Werke und populäre Autoren vorne, während Helen Schneidewinds „ Ellonore“ den Konzepten klassischer Gruselstorys eher entspricht und keine nachhaltigen Überraschungen in sich trägt. Bei Michael Wink findet sich eine überzeugende Erklärung, warum es in Südafrika und Ägypten Pyramiden gibt. Verantwortlich sind die göttlichen Boten.  „Das Medusenhaus“ von Ansgar Schwarzkopf reiht sich auch in diese Mischung aus gotischem Grusel und einer direkten Pointe ein, wobei dem Autoren die unangenehmsten Beschreibungen eines der unzähligen  in diesen Miniaturen vorgestellten Gebäuden gelingt. Aber selbst unter der Gartenlaube  kann ein Geheimnis lauern, wie der gleiche Autor in seinem “Innenleben(In der Ballerbude“) herausarbeitet.   

 Selbst Monika Niehaus macht aus Donnas Kaschemme mit „Der Hausflüsterer“ einen Umweg in weit entfernte Galaxis und gleichzeitig in den Hühnerhof nebenan. Trotzdem will der Funke bei dieser Miniatur im Gegensatz zu ihren anderen Geschichten nicht wirklich überspringen.  

 Es gibt aber auch kurze Texte, die leider gar nicht funktionieren. „Intelligentes Leben wurde nicht gefunden“ von Gudrun Reinboth übernimmt leider eine alte Idee aus dem Golden Age und kann sie nicht neu gestalten.  Rainer Schorm fügt mit „Gastropodum scutum nigrum“ dieser Miniaturensammlung eine zweite Schneckengeschichte hinzu, die unnötig kompliziert erscheint und deren Pointe leider ebenfalls eher aufgesetzt wirkt.

 Zusammenfassend mit einem Schwerpunkt auf dem intelligenten Haus der Zukunft versprühen die immerhin fünfunddreißig Miniaturen von achtundzwanzig Autoren eine Reihe von interessanten, lustigen und bizarren Geistesblitzen, die eine  Lektüre nicht unbedingt en Bloc, sondern eher einen überschaubaren Zeitraum empfehlenswert machen.  

DIN A 5, 80 Seiten