Forever Magazine 36

Forever Magazine 36, Neil Clarke, Cover
Neil Clarke (Hrsg.)

Wenige Tage nach Weihnachten veröffentlicht mit einem sehr kurzen Vorwort von Herausgeber Neil Clarke präsentiert „Forever Magazine“ eine Geschichte, die einen Monat vorher besser platziert wäre. „A Midwinter´s Tale“ von Michael Swanwick ist eine dieser SF Geschichten, welche Klassiker der Literatur wie Dylan Thomas „A Child´s Christmas“ in eine dunkle Zukunft übertragen. Interessant ist, dass auch in der Januar 2018 Ausgabe von „Clarkesworld“ eine Kurzgeschichte von Michael Swanwick in der Nachdruck Sektion präsentiert wird. Unglücklich ist, dass unabhängig von der Qualität der vorliegenden Story und der passenden Jahreszeit „A Midwinter´s Tale“ sehr oft in Anthologien und jetzt auch in der neu zusammengestellten „Best of Michael Swanwick“ nachgedruckt worden ist.

 Ein Raumsoldat unter Gedächtnisverlusten leidend trifft auf einer der zahllosen Welten, die er während seines Diensts besucht hat und auf denen er teilweise auch kämpfen musste, auf eine unscheinbare, namenlose Frau. Der Soldat erzählt ihr von seiner eigenen Jugend auf einem anderen Planeten, der ursprünglich von einer kleinen Gruppe von menschlichen Siedlern eingenommen worden ist. Die Menschen lebten aber nicht alleine auf der Welt. Die Ureinwohner – Lards genannt – sind große an Raubtiere erinnernde Jäger, welche zwar nicht verbal kommunizieren können, aber trotzdem auf einer primitiven Stufe eine Intelligenz zeigen. Zwar haben die Menschen und die Lards zusammengelebt, aber wie in den alten Sagen hat diese Kooperation im fremden Land auch ihren brutalen Preis.

 Der Rahmen könnte anfänglich die grundlegende Spannung der Hauptgeschichte unterminieren. Ein großer Teil dieses Rückblicks wird aus der Sicht des Soldaten alleine erzählt, so dass er zumindest überleben muss. Swanwicks getragener, aber niemals kitschiger Stil passt erstaunlich gut zu der dunklen, immer brutaler werdenden Handlung mit dem zynischen nihilistischen Ende. Allerdings fragt sich der Leser, wie der Soldat sich an die Ereignisse erinnern kann, da er zwar mittelbar betroffen, aber gleichzeitig viel zu jung ist. Es schleicht sich das unbestimmte, aber nicht störende Gefühl ein, als hätte der Erzähler ihm zugetragene Geschehnisse auf sich selbst übertragen, um so vielleicht auch Mitleid in dieser dafür so typischen Jahreszeit zu erwecken. Unabhängig von dieser kleinen Schwäche ist es eine ungewöhnliche First Contact Geschichte mit einer wirklich fremden Rasse, deren ungeschriebene Gesetze auf der einen Seite so exotisch erscheinen, auf der anderen positiven Seite auch aus der irdischen Sagenwelt extrapoliert worden sind.

 Auch Dominic Greens „The Clockwork Atom Bomb” ist inzwischen mehrfach nachgedruckt worden. Allerdings nichts in den letzten Jahren. Es ist eine dunkle Geschichte. Mativi ist UN Waffen Inspektor, unterwegs in einem futuristischen Kinshasa. Vor einigen Jahren haben die verschiedenen Machtgruppen im Kongo einen brutalen Krieg gegeneinander geführt und dabei auf verbotene wie geheime Waffen zurück gegriffen. Er soll diese Waffen entfernen. Die zynische Komponente ist, dass diese Waffen in der vorliegenden Form auch die Grundlage des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Krieg darstellen. Die Funktionalität der Bomben wirkt zwar konstruiert, ist aber als Grundlage des Plots auch notwendig. Es handelt sich um kleine künstliche schwarze Löcher, welche die Feinde und deren Waffen förmlich einsaugen und zu einer verdichteten Materie verarbeiten. Das grundlegende Problem ist, dass zur Entsorgung dieser Waffen im Grunde die Erschaffung eines weiteren künstlichen schwarzen Lochs notwendig ist. Außer Kontrolle könnten sie die ganze Erde vernichten, in dem sie deren Materie derartig verdichten, das sie in diesen künstlichen schwarzen Löchern verschwindet. Im Ruhezustand erzeugen diese Superbomben aber auch billige Energie, welche sich die Afrikaner zu Nutze machen. Es ist ein schmaler Grat, auf dem sich der Charakter im Grunde nur mit der Unterstützung der Bevölkerung, aber niemals gegen sie bewegen kann. Am Ende präsentiert Dominic Green zumindest ein kleines Happy End, aber sowohl die Art der Erzählung als auch deren Struktur stimmen nachdenklich, so dass „The Clockwork Atom Bomb“ – der Titel symbolisiert die Art der Bedrohung nicht adäquat – viel länger im Leser angesichts der aktuellen politischen Lage nachhallt als es der Autor selbst gedacht hat.

 Ein verbindendes Element der drei Geschichten ist die notwendig der Protagonisten, meistens gegen den eigenen Willen Reisen anzutreten und durch das Erlebte oder manchmal auch Erlittene zu wachsen. „Breathmoss“ als dritter und längster Text der Sammlung schließt diese Komponente auf vielen Ebene perfekt ab. Ian R. MacLeods Kurzroman ist im Grunde ebenfalls mehrfach veröffentlicht worden. Aber als Titelgeschichte einer der wenigen Storysammlungen des britischen Autoren liegt die Veröffentlichung einige Jahre zurück und das Buch ist nur in kleiner Auflage veröffentlicht worden, so dass diese erneute Präsentation für eine neue Lesergeneration überfällig ist.  

 „Breathmoos“ ist die Geschichte eines jungen Mädchens. Jalila lebt mit ihrer Familie auf dem Planeten Habara. Interessant ist, dass die Gesellschaft nur aus Frauen zu bestehen scheint. Mit ihren drei „Müttern“ zieht sie aus den Bergen in die Stadt, die in der Nähe des Raumhafens liegt. Ian MacLeod hat sich von Beginn an Mühe gegeben, eine dreidimensionale und doch fremdartige Kultur zu entwickeln. Vielleicht vermisst der Leser zu Beginn eine umfangreichere Einführung in die ländliche Kultur dieses Planeten. Aber wenn der Autor die Versatzstücke des Genres wie Raumfahrt und Aliens sowie als Höhepunkt die Begegnung mit einem Mann nutzt, um eine klassische Entwicklungsgeschichte zu erzählen, dann wirkt diese Konstruktion nicht nur überzeugend, sondern diese ganze Welt lebt. Dabei bezieht sich Ian MacLeod hinsichtlich dieser gänzlich weiblichen Gesellschaft auf die Haremkultur des Nahen Ostens, ohne die Männerdominanz mit zu übertragen. Dank dieser kleinen geschickten Wendung trennt er seine Welt noch weiter von den irdischen Vorlagen ab und kann sie an Hand vieler kleiner, rückblickend aber wichtiger Elemente gänzlich eigenständig extrapolieren und folgt der Tradition Ursula K. Leguins, ohne die Grand Dame der Science Fiction zu kopieren.

 Interessant und fast experimentell ist, dass der Autor auf einen stringenten Plot verzichtet und sich die ganze „Lebensgeschichte“ aus diesen kleinen Gesten, aus den Begegnungen mit dem Fremden – in diesem Punkt sind Jalila und der Leser auf Augenhöhe – heraus entwickelt. Wichtig ist, dass zwischen den kleinen Erfolgen und Tragödien der Autor die positive Botschaft vermittelt, dass das Leben immer eine Herausforderung darstellt und kein Weg bis zum Ende vorgezeichnet ist. Es geht darum, den eigenen Platz im Leben zu finden.

 Die Science Fiction und impliziert durch den exotischen Hintergrund auch wenigen Fantasy Elemente sind in dieser Novelle Mittel zum Zweck. Der eigentliche Plot könnte auch vor einem anderen Hintergrund spielen und die nicht belehrende, aber vorsichtig dargereichte Botschaft wäre die Gleiche.

 Ian MacLeod fordert allerdings auch von seinen Lesern Geduld. Bis sich die einzelnen Versatzstücke gesetzt haben, dauert es plottechnisch einige Zeit. Wie ein Maler entwickelt der Autor zuerst den Hintergrund, wobei er nicht selten auf ausführliche Erklärungen verzichtet und den Leser mit den „Fakten“ konfrontiert, auf denen diese seltsame, aber funktionierende, im Kern pazifistische Kultur basiert. Alles aus der Perspektive der heranwachsenden, sich entwickelnden Protagonistin. Aber diese Geduld wird durch eine ruhige, niemals sentimentale, vor allem dreidimensional entwickelte Geschichte belohnt, die vor einem Hintergrund spielt, der immer dreidimensionaler, immer vielschichtiger und vor allem immer faszinierender wird. Es ist keine Geschichte, welche die Massen anspricht, aber wie Ursula K. Leguins Romane bleibt „Breathmoss“ beginnend mit der Titel bestimmenden Idee sehr lange im Gedächtnis, zumal Ian MacLeod dem Leser keine fertigen Antworten auf dem Silbertablett präsentiert, sondern mögliche Lebenswege impliziert, an denen sich auch der im Grunde neutrale Betrachter messen lassen kann.

 Die drei Geschichten der ersten 2018er „Forever Magazine“ Ausgabe sind ungewöhnlich und positiv herausfordernd. Auch wenn mehrere der Texte mehrfach nachgedruckt worden sind, ragen Dominic Greens und Ian MacLeods Arbeiten aus der Masse soweit heraus, dass sie ein Wiederentdecken mehr als verdienen, während Swanwicks Kurzgeschichte ja auch in „Best of Swanwick“ veröffentlicht worden ist. Bei einem Autoren mit einem so umfangreichen Kurzgeschichtenwerk eine mehr als kompetente Leseempfehlung.        

 

  • Wyrm Publishing, February 2018
  • ISBN: 1230002133669
  • Language: English