Demnächst oder Nie

Fritz Heidorn

Nach dem im Jahre 2016 veröffentlichten Essayband "Kurz vor ewig" legt der promovierte Erziehungswissenschaftler Fritz Heidron einen zweiten Band mit teilweise vorher schon veröffentlichten Artikeln zu zwei sehr komplexen Themenbereichen vor. Der erste und beste Abschnitt des Buches setzt sich mit "Unsere Verantwortung für die Erde" auseinander, während es im mittleren Bereich um die Zukunft der Menschheit im Sonnensystem sowie schließlich als eher kurzen Exkursion um das Jenseits von Zeit und Raum geht. Fritz Heidorn hat die Essays für diesen Sammelband ergänzt bzw. überarbeitet. Wer genau liest, wird den unglücklichen Hinweis auf den "Quarber Merkur" als sehr empfehlenswerte Lektüre finden, an dem Fritz Heidorn mit zwei hier gesammelten Artikeln mindestens mitgearbeitet hat.
Aber unabhängig von dieser kleinen Schleichwerbung sollte der Leser den schwächsten Abschnitt des Buches schnell hinter sich bringen. Der Titel ist populistisch. „Demnächst oder nie“ erinnert an ein wenig an den immer wieder zitierten Carl Sagan, der mit seiner damaligen Fernsehsendung fast im Alleingang den Forschergeist hinsichtlich des Sonnensystems und darüber hinaus fernen Sonnensystem lange vor Hubble und seinen faszinierenden Fotos am Leben gehalten hat.

Fritz Heidorn beginnt "Unsere Zukunft im Sonnensystem" mit einem kleinen Exkurs zu der populären Kult Comicserie "Nick, der Weltraumfahrer", wobei er sich auf die anfänglich erschienenen Piccolos konzentriert. Neben sehr vielen teilweise auch farblichen Wiedergaben der zeitlosen Wäscher Zeichnungen geht Fritz Heidron erst einmal im Groben auf den Inhalt der Serie ein und versucht dann exemplarisch die erstaunlich technologische Weitsicht Wäschers herauszuarbeiten, der im Grunde würdig in die Fußstapfen von Freder van Holk alias Paul Alfred Müller getreten ist. Anschließend verfolgt der Leser textliche getrennt eine faktenreiche Reise durch unser Sonnensystem beginnend neben der Erde und dem Erdorbit inklusiv der ISS - es gibt zwar keine Science Fiction Geschichten, die auf der ISS im Allgemeinen spielen, aber unzählige Storys mit Stationen im erdnahen Orbit - zum Mond und später über das Sonnensystem hinaus soagr zu den Exoplaneten außerhalb des Sonnensystems. Während die meisten Fakten komprimiert zusammengefasst, aber auch im Internet gut nachlesbar sind, versucht Fritz Heidron anschließend exemplarische Science Fiction mit fundierten wissenschaftlichen Basen zu finden, welche entweder im All oder auf den entsprechenden Planeten/ Monden des Sonnensystems spielen. Dabei geht er teilweise ein wenig zu unkritisch an die vorgestellten Serien heran. Ohne Frage ist Ben Bova inzwischen mehr als zwei Handvoll Romane umfassende "Grand Tour" eine schriftstellerische Leistung und Ben Bova gehört zu den Autoren, die sich bemühen, die wissenschaftlichen Grundlagen möglichst exakt wiederzugeben, erwähnt werden muss aber auch, dass vor allem die später verfassten Teile dieser Serie vor inhaltlichen Klischees strotzen und teilweise qualitativ eher zusammengeschustert bempüht erscheinen. Hier fehlt die kritische Distanz zu den ohne Frage populistischen Sternenabenteuern der dreißiger und vierziger Jahre, die wissenschaftliche Fakten durch Phantasie ersetzt haben und deswegen so gut unterhalten konnten. Mit denen geht Fritz Heidorn erstaunlich oberflächlich um, obwohl gerade viele dieser Pulps im Sonnensystem gespielt haben.
Das ganze Essay liest sich unrund und bedenkt man zusätzlich, dass dieser Artikel im Science Fiction Jahrbuch 2018 veröffentlicht worden ist, fragt man sich nach der Zielgruppe.
Positiv ist, dass der Leser zu einigen wahrscheinlich wieder vergessenen oder vor der Lesezeit veröffentlichten Werken kurze Zusammenfassungen und Hinweise erhält. Sie laden zu einer weiteren Lektüre ein, aber im Gegensatz vor allem zum in die Tiefe gehenden ersten Teil des Buches wirkt diese Reise durch das Sonnensystem zu oberflächlich und dadurch auch zu unkritisch.

"Jenseits von Zeit und Raum" wendet sich nach einer kurzen Einführung vor allem Cixin Lius "Trisolaris" Trilogie vor, einem ohne Frage empfehlenswerten Epos, über das in letzter Zeit sehr viel geschrieben worden ist. Neue Gedanken kann Fritz Heidorn den verschiedenen Analysen nicht hinzufügen. So ist dieses Essay vor allem für Leser empfehlenswert, die nach der Lektüre der drei Romane verschiedene Standpunkte gegenüberstellen wollen, um die eigene Meinung entweder zu vertiefen oder zu verwerfen. Wer diese Bücher noch nicht gelesen hat, sollte mit der Lektüre von "Jenseits von Zeit und Raum" warten.

Wie eingangs erwähnt ist mit seiner nuancierten pointierten vor allem weniger populistischen, sondern sachlichen Kritik der erste Abschnitt des Buches der mit weitem Abstand beste Teil des Romans. "Unser Verantwortung für die Erde" ist gleichzeitig ein Blick in die beunruhigend nahe von ökoloischen Katastrophen gekennzeichnete Zukunft basierend auf den nicht immer richtigen Thesen, aber zumindest relevanten Wegen der Ökologieforscher beginnend mit dem "Clube of Rome" aus den siebziger Jahren. Dabei greift Fritz Heidorn spekulative Ideen anderer Autoren und Forscher auf, um sie auf eine sehr konzentrierte Art und Weise zu extrapolieren. Vor einigen Jahren sind Bücher erschienen, die sich mit einer Regenerierung der Erde ohne Menschen beschäftigen und Fritz Heidorn fasst zum Beispiel diese Thesen zusammen, um daraus einige Ideen zu bilden, welche diese fatalistische Entwicklung stoppen könnten.

Deutlich effektiver baut der Autor bei den wichtigen Themen über eine Erde ohne Menschen hinaus Science Fiction bzw. utopische Werke in seine Thesen mit ein. Dabei ist die Wechselwirkung zwischen den inzwischen von der Zeit eingeholten Dystopien zum Beispiel eines John Brunners und der sozialen wie auch politischen Bestrebungen überzeugend herausgearbeitet. Fritz Heidorn beschränkt sich eben nicht nur auf die dunkle Schwarzmalerei verschiedener durchaus auch populistischer Medien, sondern versucht selbst bei kritischen Themen wie der gegenwärtigen, eher sinnfreien da alternativlosen Diskussion um den Dieselmotor weitere Informationen beizufügen. Nicht selten ist die überraschende Erkenntnis, dass die Industrie vieles schon in der Theorie könnte, in der Praxis es aber nicht nur aus Eigeninteresse, sondern politischen „Komplikationen“ noch nicht oder nie umsetzte.

Aus der Gegenwart in die Zukunft zu extrapolieren, ist immer subjektiv und Fiktion. Fritz Heidorn müht sich, diesen Ideen eine wissenschaftliche Basis an Hand der realistischen und weniger der realen Vorgaben zu geben. Dadurch sind einzelne Teile dieses langen, empfehlenswerten Essays eine ideal, vielleicht auch manchmal ein wenig idealisierte Diskussionsgrundlage, die zeigt, das niemals nur eine Seite recht hat oder alleine recht haben sollte.

Vor allem fasst er den gegenwärtigen Stand der verschiedenen Erkenntnisse sehr fundiert und stets fair zusammen. Die Bandbreite ist wie an den einzelnen Kapiteln zu erkennen sehr breit. Dabei kritisiert Fritz Heidorn auf der einen Seite die Amerikaner, die inzwischen Huckepack dank der Russen oder Chinesen zur ISS müssen und zeigt auf der anderen Seite auf, welche Erkenntnisse vor allem die vor vielen Jahren oder teilweise Jahrzehnten gestarteten Sonden entgegen aller Unkenrufe gebracht haben. Wie eingangs erwähnt ist der Titel dieses Essaybandes eine kleine Provokation. Trotz aller Bemühungen beginnend mit der Eigenverantwortung der Menschen für das eigene Nest kann der Leser auf der Lektüre dieses Buches basierend die Frage mit einem klaren „nie“ beantworten. Alle Versuche wie die Russen mit der Überprüfung der amerikanischen Mondlandung oder die bislang theoretische Planung einer Marsexpedition werden im öffentlichen Sektor durch die Schuldenproblematik scheitern. Die Zeit des Gelddruckens ist vorbei. Der Privatsektor verfügt wahrscheinlich angesichts der unglaublichen Reichtümer einzelner Privatpersonen, aber viel mehr Private Equity oder Hegdefonds über die Mittel, derartige Expeditionen auszustatten, alleine die Idee der Gewinnmaximierung im direkten Vergleich zu den langfristig positiven Ergebnisse dieser Forschungen steht einem Engagement entgegen. Und bei den angesprochenen Privatpersonen wie Teslas Musk muss angesichts der Erkenntnisse der letzten Monate angezweifelt werden, ob ein echter Wille vorhanden oder eine Jointvision gepflegt wird.

„Demnächst oder nie“ ist trotz der angesprochenen Schwächen vor allem im ersten Abschnitt eine interessante sekundärliterarische Arbeit auf der kritischen Höhe der Zeit, welche indirekt die Science Fiction wieder ihrer wichtigsten originären Aufgabe zuführt. Den möglichen technischen Fortschritt in einem unterhaltsamen Rahmen zu präsentieren und gleichzeitig wachsamer Mahner gegenwärtiger sozialer wie ökologischer Fehlentwicklungen zu sein. Dank Fritz Heidorn sehr ruhigem, sachlichen, manchmal ein wenig zu fokussierten Stil liest sich die Essaysammlung überraschend eingängig und stets dank vielen Beispielen plastisch dreidimensional.
Die Bilder im Textteil sowie der farbige Fotoabschnitt sind wieder von exemplarisch guter Qualität.

Reisen zu fremden Welten
Gedanken über die Erde, die Menschen und ihre Besuche anderer Himmelskörper
Klappenbroschur, 239 Seiten, 34 Abb., davon 30 farbig
20,00 € – ISBN 978-3-945807-27-9

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