Nicht in diesem August

Cyril M. Kornbluth

Mit “Nicht diesen August” legt der Apex Verlag eine in den fünfziger Jahre entstandene dunkle paranoide Invasionsgeschichte inklusiv der entsprechenden Angst vor der roten Infiltration vor.  Aber im Gegensatz zum Kino mit seinen propagandistischen teilweise an Hetz erinnernden Streifen wie „Invasion USA“ hat Cyrl M. Kornbluth ein Auge für die Details und entwickelt auf dieser Basis eine noch heute faszinierende, teilweise verstörende, aber niemals wirklich hetzerische Studie einer besiegten und besetzten USA.

In den fünfziger Jahren gehörte der junge Cyril Kornbluth mit seinen Kurzgeschichten und seinen Satiren, teilweise mit Fredrik Pohl zusammen geschriebenen zu den aufstrebenden Stars des Genres. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs hatte sich der in der Infanterie dienende Kornbluth ein Herzleiden zugezogen, an dem der Exzentriker aber auch Autodidakt Kornbluth mit Mitte 30 gestorben ist. Zurückgeblieben ist ein erstaunlich umfangreiches Werk, denn unter verschiedenen Pseudonymen hat der Amerikaner auch historische Romane geschrieben. In den achtziger und neunziger Jahre legte der Bastei Verlag eine Reihe seiner Kooperationen mit Frederik Pohl, aber auch sein alleinstehendes Werk in neuen ungekürzten Übersetzungen als Taschenbuch wieder auf.  Allerdings ignorierte der Bastei Verlag das Nachwort von Frederik Pohl und drückte nur die wohlklingenden Eingangsworte in der deutschen Taschenbuchausgabe ab.

Der Titel stammt aus Ernest Hemingsways „Notes on the Next War“.  Ursprünglich ist die Geschichte unter dem Titel „Christmas Eve“ auch im MacLeans Magazine in Kanada veröffentlicht worden. Eine Nominierung für den HUGO erfolgte ein Jahr später. Die in den USA publizierte Doubleday Taschenbuchausgabe wurde 1981 von Frederik Pohl durchgesehen und behutsam in erster Linie stilistisch überarbeitet.

Seit drei Jahren kämpfen die USA in einer nahen Zukunft – dabei gilt das Entstehungsdatum des Romans – sowohl mit der Sowjetunion als auch der Volksrepublik China allerdings inzwischen auf dem eigenen Kontinent. Eine vernichtende Niederlage droht. Im Mittelpunkt der Handlung steht wie nicht selten bei Kornbluth als auch Pohl ein durchschnittlicher Amerikaner. Billy Justin ist 38 Jahre alt, hat in Korea gekämpft und sich eine Beinverletzung zugezogen. Ursprünglich ist er Werbetexter gewesen.  Inzwischen arbeitet er als Milchbauer auf seinem eigenen kleinen Hof in Chiunga Country, einem abgelegenen Flecken im Bundesstaat New York.

Zu Beginn hört er wie viele andere Menschen die Kapitulation der amerikanischen Truppen, die meisten Mitglieder der amerikanischen Regierung werden von den Besatzern hingerichtet. In den ersten Monaten etablieren vor allem die Russen in seinem Gebiet ein erstaunlich laxes Regierungssystem, wobei gleich nach der Kapitulation alle Schläfer der eigenen Partei ebenfalls erschossen worden sind. Anscheinend passen potentielle Revolutionäre gegen den Kapitalismus nicht mehr in das Konzept der siegreichen Kommunisten.

Dieses überraschende wie schockierende Element wird sich wie ein Faden durch den ganzen Roman ziehen. Die Besatzer sind hart gegenüber den Amerikanern, die Arbeitsleistung wird auf allen Ebenen mehr und mehr angehoben, das Volk soll quasi auf diesem Weg ausgeblutet werden. Auch hier dient Billy Justin als klassisches Beispiel, der anfänglich die Milchquoten ohne Probleme erfüllen kann, nur wenige Jahre später aber unterernährt nicht mehr mithalten könnte, wenn ihm der plottechnische Zufall nicht ein As zugespielt hätte.

 Die Disziplin der eigenen Truppe gegenüber wird manchmal auch durch standrechtliche Erschießungen ganzer Truppenteile in Sportstadion aufrechterhalten.

Direkte Grausamkeiten erfährt der Protagonist erst am Ende der Geschichte, als er als möglicher Spion festgenommen und wie sein Begleiter – ein Laienprediger – gefoltert wird. Alle andere Gewalt gegen Amerikaner findet quasi außerhalb des Blickwinkels sowohl des Protagonisten als auch der Leser statt.  Wahrscheinlich handelt es sich um Tatsachen, aber alle die sich vervielfältigenden Gerüchte reichen aus, um die Bevölkerung unter Druck und soweit es irgendwie für eine Besatzungsmacht geht auch unter Kontrolle zu halten.

Billy Justin ist Single, was ihn zu einem begehrten Objekt des immer noch vorhandenen Widerstands macht. Über Nacht versteckt er anscheinend spaltbares Material, ein Gefallen der ihn anschmachtenden Postbotin Betsy Cardew gegenüber. Cardew bittet ihn auch, einen Helfer bezahlt vom Staat auf der Farm unterzubringen.

Damit eröffnet sich für Billy Justin umgeben von inzwischen kriegsversehrten ehemaligen hochrangigen Offizieren die Tür zu einer angeblich vernichteten Geheimwaffe.

Sowohl die militärische Besetzung des kleinen, auf den ersten Blick unbedeutenden Dorfes – John Milius wird für „Red Dawn“ dieses Buch gelesen haben – mit den vielen kleinen Details als auch die Protagonisten heben das Buch aus der Masse hervor. Kornbluth selbst ist als Kriegsversehrter zu bezeichnen. Selten hat man einen Roman vor allem aus den fünfziger Jahren gesehen, in denen vom Krieg gezeichnete Männer eine derartig wichtige Rolle spielen. Billy Justin humpelt nach seiner Verletzung im Koreakrieg. Ein an beiden Beinen amputierter, sich in einem per Hand betriebenen kleinen Wagen fortbewegender Mann ist ein ehemaliger General. Ein anderer Mann mit einer Phobie, Türen zu öffnen, erweist sich als hochrangiger Planer eines Geheimprojektes, dessen Wissenschaftler und Soldaten vor dem Feind durch Vergasung – natürlich auf amerikanischer Seite schmerzlos – in „Sicherheit“ gebracht worden sind. Kornbluth gibt allen Protagonisten mit kleinen pointierten Beschreibungen entsprechende Persönlichkeiten. Es sind keine Übermenschen, es sind keine zum Himmel schreienden Patrioten oder Supersoldaten. Es sind aber Menschen, die sich gegen die Besatzer zu organisieren beginnen, deren Widerstandswillen im Grunde von den Kommunisten kontinuierlich aufgebaut wird, weil die Planwirtschaft in Russland genauso wenig funktioniert wie ihre nachhaltigen Eroberungspläne über die erste Phase der Besetzung hinaus gegangen sind.      

Im letzten Viertel des Romans beschreibt Kornbluth den amerikanischen Widerstand. Hier spielt auch der ursprüngliche Titel des Romans „Christmas Eve“ eine wichtige Rolle. Auch wenn Kornbluth die Geschichte auf einer nachdenklich stimmenden Note nach einem Pyrrhussieg mit vielen Opfern markanter Charaktere enden lässt, wirken einzelne Passagen doch eher konstruiert und abrupt entwickelt als aus dem Handlungsverlauf heraus erarbeitet.

So lassen die Russen trotz der drakonischen Bestrafung durch eine Eliteeinheit in ihrer Aufmerksamkeit nach. Auch wenn der belesene Kornbluth einen Hinweis auf Stalins Methoden in der Ukraine einbaut, scheint es weder die Amerikaner zu interessieren noch die Russen zu motivieren, nach diesen Ursachen zu suchen. Hinzu kommt, dass aus dem Nichts heraus ein deutlicher Widerstand und die Ernährung einiger Spezialisten organisiert werden muss.

Bei den eigentlichen Kämpfen zeigt sich die Qualität des amerikanischen Generals, der trotz körperlicher Einschränkungen die Aktion fest im Griff hat. Aus Zusätzen der Apotheke werden Bomben gebaut, die unbewachten Waffen aus dem Schuppen befreit und ansonsten mit einer Mischung auf Partisanentaktik blockierter Straßen, aber auch dem Einsatz von Chlorgas – das haben weder die Russen noch die Chinesen gebraucht – hilft zum vorläufigen Erfolg, der durch die im Hintergrund ablaufende Aktion zu einem angesprochenen Pyrrhussieg der Amerikaner führt.

Um nicht zu viel heroischen Patriotismus aufbranden zu lassen, kommt der unfreiwillige Initiator ums Leben, nachdem er in einer weiteren wenig heldenhaften, aber opportunistisch notwendigen Aktion hunderte von russischen Soldaten vergiftet hat.  Andere Menschen opfern sich bereitwillig für das größere Ziel einer Befreiung der USA von den Besatzern. Kornbluth impliziert immer wieder, das der Aufstand landesweit stattgefunden hat, auch wenn der Plot sich überwiegend in Billy Justins neuer „Heimat“ mit Ausnahme der einen Reise nach Washington abspielt. Wie bei dem uramerikanischen Traum vom Kampf um Alamo sind es überwiegend keine Soldaten, sondern Bauern, Handwerker und eine Postbotin, welche sich gegen die Russen wehren. Notfalls dank des Hinweises, dass sie alle zwangsrekrutiert worden sind und als Amerikaner ihre Pflicht zu tun haben, ansonsten werden die verurteilt und hingerichtet. 

Kornbluth manipuliert auf diese Art und Weise auch seine Leser. Die Russen, im Hintergrund die Chinesen beginnen mehr und mehr die Amerikaner auszubeuten und treiben sie mit harter Arbeit und schlechter Ernährung in den Tod. Daher heiligt der Zweck die Mittel, in dem man  Soldaten vergiftet oder von den Genfer Konventionen verbannte Giftgase einsetzt. Auch bei der Bestrafung der eigenen Bürger ist man nicht zimperlich.

 Angesichts der paranoiden Stimmung in den USA vor allem in den fünfziger und sechziger Jahren auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges und als Mahnung an die ständige Wachsamkeit passt sich Kornbluth in der abschließenden zweiten Hälfte des Buches dem Zeitgeist an und vermeidet das dunkle, zynische Ende, das Orwells „1984“ so ausgezeichnet hat. Während die Reklame der Bastei Ausgabe von einem realistischeren Szenario als Orwells Roman gesprochen hat, bezogen sich die amerikanischen Pressetexte auf die Tatsache, dass der Plot beängstigender als der Klassiker sein könnte.

Trotz des ein wenig abrupten Endes hat Kornbluth ein Besatzerlehrbuch geschrieben, das auf einer umfangreichen Recherche der leider blutigen Geschichte basiert und auch heute noch mit den patriotisch pathetischen Einschränkungen dieses Subgenres allgemein und bei Amerika im Besonderen lesenswert ist und die vorliegenden E Book Neuauflage mehr als verdient hat. 

NICHT IN DIESEM AUGUST

  • Format: Kindle Edition
  • Dateigröße: 2222 KB
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe: 374 Seiten
  • Verlag: BookRix (25. April 2018)
  • Verkauf durch: Amazon Media EU S.à r.l.
  • Sprache: Deutsch
  • ASIN: B07CMSGS2V