Treffpunkt Unendlichkeit

John Brunner

Robert Silberberg hat ganz offen von mehreren Trennlinien in seinem Werk gesprochen. Dem Übergang vom schnell geschriebenen Abenteuergarn zu den sozialkritischen Werken der siebziger Jahre nach einer längeren Pause und schließlich wieder nach einigen Jahren des Schweigens der Rückkehr zur Science Fantasy.

 Bei John Brunner scheint die Karriere ähnlich verlaufen zu sein. Allerdings ist der Eindruck falsch. Sein ebenfalls schnell heruntergeschriebenes Werk aus den fünfziger und sechziger Jahren ebnet ein wenig versteckt den Weg zu den herausragenden wie provozierenden Büchern der späten sechziger und siebziger Jahre. John Brunner muss diese Romane vielleicht auch aus wirtschaftlichen Notwendigkeiten nicht so schlecht gefunden haben, denn nicht selten überarbeitete er sie und publizierte sie zwischen seinen Kompositionen noch einmal. Dadurch wirkte oberflächlich sein Werk ein wenig ambivalent, qualitativ schwankend, aber die wirtschaftlichen Notwendigkeiten haben ihn gezwungen, schreibende Kunst mit harten „Broterwerb“ durch Neuveröffentlichungen zu verbinden.

 Auf der anderen Seite soll damit auch nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass jeder der frühen Romane ein verkapptes Meisterwerk ist, dessen Erweckung durch den Kuss einer neuen Lesergeneration unmittelbar bevorsteht. Einige der Abenteuerstoffe sind schon zum Zeitpunkt ihrer Publikation uninteressant gewesen.

 Bei anderen Büchern finden sich immer wieder Ideen und Strukturen, die sich wie rote Fäden durch John Brunners Werk ziehen und später noch einmal aufgegriffen worden sind. Zu diesen Bücher gehört auch „Treffpunkt Unendlichkeit“. Das Buch erschien im Original 1961, der Pabel Verlag legte den Roman neun Jahre später im Rahmen der „Terra Taschenbücher“ in Deutschland auf.

 Wie in einigen seiner anderen Romane scheint jegliche „menschliche“ Gesellschaft – auch wenn seine Büchern nicht selten auf fremden Welten spielen, sind Ähnlichkeiten zur Erde mit einer in Vergessenheit geratenen technologischen Vergangenheit nverkennbar – immer wieder von den Sternen bedroht zu werden. Nicht unbedingt auf eine klassische kriegerische Art und Weise, sondern vor allem durch Krankheiten oder Viren, die ohne Kontrolle von den Sternen entweder selten an Bord von Raumschiffen, sondern vor allem durch das zeitlose „Springen“ zwischen den Planeten.

 Vor vielen Jahren entdeckte Mr. Tacket das Prinzip von sogenannten Knochenpunkten zwischen den Weltlinien. Die Menschheit konnte quasi in eine unendliche Zahl paralleler Welten treten. Interessant ist, dass Stephen Baxter und Terry Pratchett in ihrer Buchreihe um die „lange Erde“ dieses Konzept ein wenig verspielt auf eine intellektuelle Spitze getrieben haben. Natürlich eroberte die Menschheit schnell neuen Lebensraum. Die Rückkehrer brachten den Weißen Tod zur Erde. Eine Virusseuche, die Millionen von Menschen das Leben gekostet hat.

 Die Geschichte  beginnt auf einem gigantischen Marktplatz, auf dem vor allem in der Blütezeit der intergalaktischen Aktivitäten Waren von den Sternen gehandelt worden sind. Der Markt befindet sich über einer Stadt mit noch mehr als zehn Millionen Einwohnern – in den sechziger Jahren eine gigantische Ansiedlung - , die sich immer noch nicht vom weißen Tod erholt hat.

Interessant ist, dass John Brunner eine im Grunde schizophrene Gesellschaft entwickelt. Auf der einen Seite sind viele Millionen von Menschen durch die Seuche von den Sternen gestorben und die menschliche Kultur ist technologisch im Grunde zurückgefallen, da das Tacket Prinzip technischen Fortschritt vor allem hinsichtlich der Raumfahrt ad absurdum geführt hat. Auf der anderen Seite sind die Menschen auf den Import von Technik sowie Nahrungsmitteln angewiesen. John Brunner macht  aber als große Schwäche des vorliegenden Buches nicht deutlich, wie sich die Menschen gegen eine neue/ andere Seuche schützen wollen und warum sie vor allem auf Nahrungsmittel angewiesen sind. Das Thema Technik behandelt der Autor ausgesprochen ambivalent. Mal hat man das Gefühl, eine Variation des Themas aus Strugatzkis „Picknick am Wegesrand“ zu verfolgen, dann wieder erinnern die „Funde“ an Notwendigkeiten, welche die stringente oligarchische Regierungskaste nur noch importieren, aber nicht mehr herstellen lassen kann.    

 John Brunner geht aber noch einen Schritt weiter. Er impliziert das diese nur vordergründig so fortschrittliche Gesellschaft nur als parasitäre Kultur überleben kann. Sie saugt als antikapitalistische Botschaft quasi die „dritte Welt“ oder besser die anderen Parallelwelten förmlich aus. Hinzu kommt ein fragwürdiges politisches System, in dem viele Menschen vom Denunzieren der Konkurrenten wie Nachbarn leben.  

 Wie in seinen späteren Romanen führt John Brunner verschiedene Handlungsebenen gerne gegen Ende zusammen. Zu Beginn scheint es eine Art Mosaikroman zu sein. Der Eindruck täuscht. Nicht selten ist der auslösende Katalysator selbst auf den zweiten Blick unscheinbar. Akkilmar ist eine friedliebende, im Grunde auch archaische Kultur. Sie versorgt Ahmend Lynken mit Technik. Lynken ist der Handelsfürst, der den Planeten entdeckt hat. Auch hier bleibt John Brunner ein wenig ambivalent hinsichtlich der zugrundeliegenden Ausrichtung des Tacket Prinzips, mit dem immer wieder neue Welten entdeckt werden können. Bei den langen Erden muss der Reisende nur einen Schritt nach Westen oder Osten machen, hier scheinen die Weltenlinien nicht nur den Kosmos zu durchqueren, es ist auch möglich, ohne größere Kosten Material zu transportieren.

 Jome Kenard ist ein berühmter Arzt. Er hat medizinische Ausrüstung von Lynken gekauft, mit deren Hilfe er Verbrennungsopfer behandeln kann. Eines dieser Opfer Alyn Vage scheint trotz seiner den ganzen Körper einfassenden Verbände besondere Fähigkeiten zu entwickeln.

 Während die Handlungsführung ein wenig improvisiert erscheint und John Brunner sich an einigen wichtigen Stellen eher von Stimmungen als geplanten Situationen treiben lässt, gibt es zwei relevante Punkte, welche den Roman nicht nur aus der subjektiv Masse seiner früheren Arbeiten herausheben.

 Die kapitalistische Idee einer gänzlich auf der Kolonisierung/ Ausbeutung anderer Welten aufgebauten Gesellschaft. Immer wieder setzte John Brunner mit seiner sozialen Kritik an, ohne dass diese Welt wirklich in der Lage ist, sich freizuschwimmen und zu verändern.

 Auch Tacket und seine „Erfindung“ werden ambivalent behandelt. Da die weiße Seuche durch seine Idee eingeschleppt worden ist, gilt er als verfluchter Mann. Verschiedene Kulte wollen seinen symbolischen Tod.  Auf der anderen Seite könnte und kann diese parasitäre Gesellschaft nicht ohne die moderne, auf andere Welten exportierte Sklaverei überleben. Welche neuen Sicherheitsmaßnahmen erlassen worden sind, zeigt der Roman dann wieder nicht.

    Diese extremen gegenläufigen Positionen führt John Brunner in seinem kompakt, kurzweilig zu lesenden Roman nicht unbedingt zu Ende, sondern relativiert den anfänglich angedachten Konflikt, aber unabhängig von den allerdings eher hölzern gezeichneten Protagonisten sind es die Ausgangspunkte, aber nicht alle Handlungsverläufe, welche „Treffpunkt Unendlichkeit“ zu einem der interessanten frühen Romane des Engländers machen, der eine ungekürzte und überarbeitete Neuauflage verdient hätte.

 

Terra Taschenbuch 182

160 Seiten 

Verlag Moewig