Pater der Sterne

Philip Jose Farmer

„Pater der Sterne“ ist kein klassischer Philip Jose Farmer Roman. Viele seiner in den fünfziger und sechziger Jahre veröffentlichten Kurzgeschichten und Novellen hat der Amerikaner zu Romanen oder ganzen Serien erweitert. „Pater der Sterne“ besteht aus den insgesamt fünf Novellen um einen Terraner Pater Carmody auf der Flucht, die zwischen 1953 und 1961 alle in „The Magazine of  Fantasy & Science Fiction“ erschienen sind. Dabei greift die Sammlung auf die inhaltlich chronologische Reihenfolge zurück und nicht deren ursprüngliche Entstehung und Veröffentlichung.

Die Auftaktgeschichte „The Night of Light“ erschien zum Beispiel im Juni 1957, fast vier Jahre nach der ersten Novelle als insgesamt dritte Story. In ihr erfährt der Leser sehr viel über den auf der Flucht befindlichen Protagonisten, wobei nicht gänzlich klar ist, ob es sich um die Realität oder Traumvorstellungen/ Visionen handelt.

Farmer hat die erste Geschichte noch einmal in den sechziger Jahren aufgegriffen und zu einem Roman „Night of Light“ erweitert, aus dem angeblich Jimmy Hendrix den Begriff Purple Haze entnommen haben soll.  Es empfiehlt sich, sowohl die Novelle zuerst und dann die Romanfassung zu lesen, da Farmer die Ausgangsbasis seiner Geschichte erweitert und Carmody auf diesen besonderen Planeten zurückkehren lässt.

Zusätzlich interessant ist, dass Farmer wahrscheinlich absichtlich die Grundidee von Isaac Asimovs „NightfalL“ genommen und entsprechend verfremdet hat.  Alle sieben Jahre wird dieser besondere Planet durch sein Zweisonnensystem in eine bizarre Strahlung getaucht, welche die Realität verzerrt und im Grunde auch Anstand und Moral außer Kraft setzt. Die meisten Bewohner des Planeten bevorzugen es, diese vierzehn Tage im Tiefschlaf zu verbringen. Nur unwissende Neuankömmlinge, Mystiker und schließlich Anhänger der immer stärker das Universum erobernden Religion eines im Grunde freien und freizügigen Lebens bleiben wach. Und Carmody als einziges auf dem Planeten stationiertes Mitglied einer wissenschaftlichen Expedition. Carmody kann den Planeten nicht verlassen, denn überall wird es wegen Mordes an seiner Frau gesucht. Seine Auftraggeber weigern sich als klassische Religionsvertreter, diesen Sündenpfuhl zu betreten.

Farmer beschreibt nicht nur Carmodys Hintergrund, der ein durchaus sympathischer Verbrecher ist. Anscheinend hat er seine Frau aus Leidenschaft in einem Moment der Schwäche getötet. Er bedauert die Tat zwar, aber da sie seine Männlichkeit angezweifelt hat, ist er auch nur konsequent. Im Gegensatz zu den Erstveröffentlichungen mit zwei vorgelagerten Abenteuern ist es schwer, Carmody generell als Charakter zu beurteilen. Viel interessanter sind die pychedelisch wirkenden Szenen während der besonderen Strahlenzeit der Sonnen, in denen sich ein Mann in eine Art Baum verwandelt; die Guten noch besser werden und die Schurken ihre unterdrückten Triebe ausleben. Ohne ein generelles Chaos zu beschreiben konzentriert sich Farmer auf einzelne Szenen, während Carmody in erster Linie versucht, nicht zu sehr unter den sein Gewissen ansprechenden Visionen zu leiden und gleichzeitig einen Plan zu entwickeln, wie er den Planeten ohne Festnahme verlassen und den Kirchenvertretern ein Schnippchen schlagen kann.

Die Knaur Ausgabe bringt die Geschichten außerhalb der ersten Story in einer eher wilden Reihenfolge. „A few Miles“ aus dem Jahr 1960 und „Prometheus“ (März 1961) gehören zusammen und werden nur durch eine Pointe getrennt. Die beste und vielleicht wichtigste Geschichte „Father“ erschien schon als zweiter Teil des Zyklus fünf Jahre früher, findet sich aber in der Knaur Anthologie erst nach diesem bizarren Doppelpack.

Am Ende seines Lehrjahrs und kurz vor der Entscheidung, endgültig Pater zu werden wir Brer John auf einen entfernten Planeten geschickt. Im ersten Teil der kurzweiligen Novelle muss er sich mit dem Sozialismus in Reinkultur auseinandersetzen. So werden die Streikposten besser bezahlt als die arbeitende Bevölkerung. Selbstständige müssen auf ihre Kosten das Licht anlassen, damit die ihre Arbeit unter dem Mantel von Verbesserungen störenden Personen der öffentlichen Hand besser sehen können. Die Farce endet mit Brer Johns Flucht, nachdem er eigenhändig einen Küchenroboter repariert hat und damit natürlich den Gewerkschaftsvertretern auf die Füße getreten ist. Auf seiner Flucht wird er überfallen und in einen Graben geschubst, in dem gerade ein sehr seltener Vogel einen willigen Träger ihres Eis sucht. Sie pflanzen diese Eier auf die Brust von Wirtträgern. Natürlich töten sie diese Träger kurz nach dem Schlüpfen. In der zweiten Geschichte meldet sich Brer John inklusiv Ei „freiwillig“, um auf dem eigentlichen Planeten der seltenen Vögel als Eiträger zu fungieren und hoffentlich in letzter Sekunde gerettet zu werden. Dabei stellt er fest, dass die Tiere deutlich intelligenter als von den Wissenschaftlern angenommen sind und startet eine Art persönlichen Evolutionsprozess natürlich gegen die passiven ausschließlich beobachtenden Forscher.

In beiden Geschichten ist natürlich passend kein Aspekt aus der später geschriebenen, aber früher veröffentlichten Story „The Night of Light“ vorhanden. Es ist bis auf eine einzige Stelle schwer, Brer John als John Carmody zu erkennen. Charakterlich sind sich die Figuren ähnlich, aber nicht deckungsgleich. Die beiden Handlungsbögen sind bizarr, wobei die politische Satire gleich zu Beginn deutlich stärker ist. Der zweite längere Text mit Carmodys durchaus pragmatischen Versuchen, die Vögel auf eine neue Stufe zu heben, sind fundiert recherchiert und mit einem Augenzwinkern, aber durchaus ernsthaft erzählt. Nur zu Beginn von „Prometheus“ mit der notwendigen Zusammenfassung kommt die Handlung ein wenig schwer in die Gänge.  

„Father“ ist die beste Geschichte der Sammlung. Sie stammt aus dem Jahr 1955 und ist damit erst die zweite Veröffentlichung um diesen Charakter. Pater Carmody muss mit einer Gruppe von Mitreisenden auf einem Planeten notlanden. An Bord befindet sich unter anderem ein junges Pärchen auf der Flucht vor ihrem Vater, wobei sich herausstellt, dass sie auch einen Teil dessen Geldes mitgenommen haben.  Der Planet ist idyllisch. Es stellt sich allerdings heraus, dass eine besondere Art von allgegenwärtiger Intelligenz dort lebt. Zusätzlich finden die Gestrandeten während der Reparatur des Raumschiffs Berge von Knochen menschenähnlicher Kreaturen.

In dem Disput zwischen dem Carmody begleitenden Bischoff und dem „Vater“, der allgegenwärtigen fremden Kreatur kann Farmer religiös aus dem Vollen schöpfen. Er stellt unterschiedliche Arten des Glaubens gegenüber. Der Amerikaner bietet keine Lösungen an, sondern konzentriert sich auf unterschiedliche Thesen. Das Ende ist konsequent wie zynisch. Es ist im Einklang mit den biblischen Ideen. Die Charaktere sind gut gezeichnet und Farmer bemüht sich um entsprechende Zwischentöne. Bedenkt man, dass die Leser zu diesem Zeitpunkt Carmody erst aus einer für die ganze Serie untypischen, ans Ende dieser Anthologie gestellten Kurzgeschichte kannten, könnte der Charaktere noch ein wenig unfertig, klischeehaft erscheinen. Auf der anderen Seite demonstriert Farmer allerdings auch, dass Carmody ein nicht einfaches Leben vor seiner Priesterschaft gehabt hat und auf diese Dinge auch zurückgreifen konnte.

Die letzte Geschichte ist die Erste. „Attitudes“ erschien schon im Oktober 1953 in „The Magazine of Fantasy & Science Fiction“.  Vergleicht man die Struktur der letzten beiden Stories der Anthologie, so hätte aus der Serie eine Art Planetenhopping werden können. In beiden Fällen landet eine Crew auf einem exotischen Planeten. In diesem Fall werden die Passagiere expliziert gewarnt, den Umkreis um den Landeplatz verlassen. Es gibt mit den Einheimisch ein Abkommen, dass sich die Menschen in einem begrenzten Umkreis aufhalten dürfen. Ein Spieler sieht die Chance seines Lebens, in dem er sich mit einer Handvoll Einheimischer auf ein seltsames Spiel einlässt. Er gewinnt und gewinnt, bis ihn Carmody stoppt. Dieser hat zufällig in einem Magazin etwas über eine Besonderheit gelesen. Es ist eine klassische Pointengeschichte mit leicht religiösen Untertönen, aber vor allem dem dominanten wie zurückhaltenden Carmody im Mittelpunkt der Handlung.

Ergänzt um die Romanfassung von „The Night of Light“ lässt sich die im Knaur Verlag veröffentlichte Kurzgeschichtensammlung auch heute noch gut lesen. Man sollte sich bewusst sein, dass Farmer die Reihenfolge der einzelnen Texte zwar änderte, sie aber durchaus nicht automatisch homogener wirken.   Pater Carmody ist aber eine der besten Eigenschöpfungen in Farmers langer Karriere. Während er mehrmals mit fiktiven Figuren anderer Autoren spielte, ist der Leser ein wenig enttäuscht, dass es nicht mehr Texte um den Pater gibt. Die exotischen Hintergründe erreichen das Niveau Jack Vances und die versteckten Spitzen machen Carmody zu einem bodenständigen, aber auch glaubwürdigen Pater, der auf eine pragmatische, aber nicht nur religiöse Art und Weise das Seelenheil seiner Schäfchen immer im Augenwinkel hat.    

 

  • Broschiert: 302 Seiten
  • Verlag: Knaur (1983)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3426057670
  • ISBN-13: 978-3426057674

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