Christopher Priest zweiter Roman „Fugue for a Darkening Island“ entstand 1972, der Goldmann Verlag veröffentlichte den Roman ein Jahr später unter dem Titel “Schwarze Explosion”. Der Plot reiht sich in einer Reihe von Katastrophenbüchern der britischen Science Fiction ein, in denen entweder durch die nicht kontrollierbare Technik oder eine sich zur Wehr setzende Natur die britische Lebensart im Allgemeinen und Großbritannien als Ganzes vom Untergang bedroht wird. Diese teilweise sehr nihilistischen Romane beschreiben den Kampf der entwurzelten Mittelklassemenschen gegen eine Umgebung, die sich nicht mehr kontrollieren können. Christopher Priest fügt diesem Subgenre schon in den siebziger Jahre eine unangenehme Note hinzu, die angesichts der Flüchtlingsströme vor allem aus Afrika nach Europa nicht aktueller sein könnte.
Ausgangspunkt einer unbeschreiblichen Flüchtlingswelle sind kriegerische Auseinandersetzungen in Afrika, angeheizt auch von den Interessen der chinesischen Machthaber, die schließlich in der Explosion mehrerer Atombomben endet.
Christopher Priest hat seinen Roman fragmentarisch angelegt. Immer wieder springt er in der Zeit hin und her, obwohl der Leser dem Geschehen gut folgen kann. Dabei reicht das Spektrum weit in die Vergangenheit des verheirateten Protagonisten, in welcher nicht nur seine ersten sexuellen, aber auch verklemmten Erfahrungen macht, sondern auch seine Frau Isobel kennenlernt. Die Gegenwartsebene besteht nicht nur aus einer Flucht durch das Land, sondern mehreren, die irgendwann ineinanderfließen.
Die außenpolitischen Ereignisse und nur einige nachgeschobene Erklärungen werden in der Mitte des stringenten Buches erläutert. Ergreifend beschreibt er die Ankunft eines Schiffes, das cineastisch die Themse herauffährt. Mehrere tausend Afrikaner befinden sich an Bord, drängen bis an die Oberdecks. In einem Dock verlassen diese fluchtartig bevor die Militärs eingreifen können teilweise ohne Kontrolle der Behörden das Schiff. Mehrere hundert Leichen werden an Bord gefunden. Es ist das erste Schiff einer ganzen Flüchtlingswelle, wobei viele der Schiffe auch vor der Küste sinken. Die Ignoranz eines großen Teils der Bevölkerung führt schließlich zu einer paramilitärischen Gruppe bewaffneter Schwarzer, die anfangen ganze Häuserblöcke zu besetzen, die Weißen aus ihren Straßen zu vertreiben und das Land – in diesem Fall Großbritannien – in einen Bürgerkrieg stürzen.
Auch wenn die Thematik einer ganzen Flüchtlingswelle aktueller denn je ist, wirkt die Ausgangslage des Romans eher schwach. Wahrscheinlicher ist es, dass sich vor Ankunft dieser Schiffe Millionen von Menschen zu Fuß entweder über die Route Vorderasiens oder mit vielen kleineren Booten Gibraltar in Bewegung gesetzt hätten. Die britischen Behörden wären also gewarnt worden.
Das Angesichts der humanitären Katastrophe Menschen in anderen Ländern im Allgemeinen und Großbritannien im Besonderen Hilfe angeboten wird, ist nachvollziehbar, aber die Art der unkontrollierten Landungen erscheint ebenso unglaubwürdig wie die Tatsache, dass sich die Afrikaner schnell gut bewaffnen und den „normalen“, aber phlegmatischen britischen Kräften einen derartigen Widerstand leisten, das sie große Teile des Landes verlieren.
Es ist selbst für Christopher Priest ein ungewöhnliches Buch, das schnell als rassistisch und frauenfeindlich abgetan werden kann. Dabei geben sich alle Seiten keine Blöße.
Politisch impliziert Christopher Priest, dass die radikale Politik einer erzkonservativen Regierung zum Bürgerkrieg mit geführt hat. Beweise gibt es nicht, denn die Afrikaner erweisen sich auch nicht unbedingt als höfliche Flüchtlinge. Aktien und Reaktion führen zu einem militärischen Konflikt.
Gewalt gegen Frauen beginnend mit Vergewaltigen und Ermordungen und endend bei Bordellen und zugeordneten Frauen sowohl weißer als auch farbiger Hautfarbe findet ebenfalls auf beiden Seiten statt. Ohne direkt Schuldzuweisungen greift Christopher Priest vor allem auf die Kriegsverbrechen aus dem Zweiten Weltkrieg zurück und extrapoliert diese. Dabei zeigt der Autor vor allem die Folgen und nur selten die Taten.
Brutalität genauso wie eine gewisse Fairness gibt es ebenfalls auf beiden Seiten. Für den Leser beginnen die Auseinandersetzungen mit den verbarrikadierten Straßen der Welten inklusiv der entsprechenden privat organisierten Patrouillen, mit der Straße, in welcher der Protagonist wohnt.
Die Nachbarstraßen sind schon von den Farbigen besetzt worden, die Miliz bemüht sich eher verzweifelt, die Straße nach außen zu sichern und gleichzeitig die Anwohner in ihren Häusern zu halten, um einen Berechtigungsnachweis zu behalten.
Der Rest ist die bekannte Odyssee durch ein vom Krieg verwüstetes Land mit unterschiedlichen Interessengruppen, Koalitionen und der Suche nach Frau und Tochter. Natürlich könnte man Teile des Romans auch als Allegorie auf den Zustand der Ehe des Protagonisten sehen. So folgt er immer wieder seiner zukünftigen Frau in den Rückblenden, auch wenn diese sich gleich am ersten Tag abends noch mit einem anderen Mann trifft. Sexuell scheint sie eher frigide zu sein, was zu verschiedenen Affären seinerseits führt. Zwischen ihnen steht ihre Tochter, die von der Flucht und den späteren Ereignissen traumatisiert wird.
Der Protagonist wird fast von einem schlechten Gewissen angetrieben, obwohl seine Frau ihn und seine Tochter während der Flucht verlassen hat. Dann findet er sie kurzzeitig wieder, um sie wieder aus den Augen zu verlieren. Sie scheinen Opfer einer Entführung geworden und in die Bordelle verschleppt worden zu sein. Ein Anlass für den eher gesichtslosen Protagonisten, der während des Zusammenbruchs und der Schließung der Universitäten in verschiedenen Jobs von einer Näherei bis eine Kneipe gearbeitet hat, um aus seiner Passivität zu erwachen und nicht mehr zu reagieren, sondern zu agieren.
Insgesamt bleibt aber vor allem die Zeichnung der einzelnen Protagonisten dürftig. Teilweise wie die sexuelle Aufklärung des Protagonisten bleibt Christopher Priest nicht nur oberflächlich, sondern scheint sich unnötig in die Länge gezogen an Klischees entlang zu hangeln, welche eher in einen britischen Erotikroman gehören. New Wave ist das nicht. Anstatt dann auf dieser Basis einen Übergang in die düstere Gegenwart zu finden, hat der Protagonist keine Probleme mehr, auch zu farbigen Zwangsprostituierten zu gehen, auch wenn er deren Lage auf eine ungewöhnliche Art und Weise ausnützt.
Das in sich zerfallene Großbritannien ist genau wie die ungewöhnliche Invasion von schließlich dominanten Flüchtlingen eine interessante Ausgangsbasis für einen wie eingangs erwähnt mehr denn je aktuellen Plot. Allerdings hat Christopher Priest wie teilweise John Christopher mit seinen dystopischen Romanen daraus eine Arbeit gezimmert, die ihren Ursprung in den siebziger Jahren nicht ablegen kann. Der deutsche Titel ist polemisch und prophetisch zu gleich. Wer sich mit den späteren Arbeiten Christopher Priests auskennt, wird angesichts der auf den ersten Blick Simplizität des Plots eher negativ überrascht sein. Dunkel, brutal, nihilistisch, mahnend und immer am Rande des allerdings beiderseitigen Rassismus knapp vorbei zielend zeigt Christopher Priest auf, wie schnell die Erste Welt angesichts eines humanitären Katastrophe buchstäblich zerfallen kann und wie wenig „Mann“ daran ändern kann.
In dieser Hinsicht ist der Roman aktueller denn je, auch wenn er konsequent keine Lösungen anbietet, sondern mechanisch stoisch die Katalysatoren dieser Katastrophe abarbeitet.
Goldmann Taschenbuch
202 Seiten