Forever Magazine 58

Neil Clarke (Hrsg.)

In seinem Vorwort spricht Neil Clarke von den Conbesuchen, blickt aber auch noch ein wenig in die Vergangenheit als Buchhändler.

Aus der Anthologie „Meet Infinity“ stammt von Nancy Kress „Cocoons“. Der Erzähler hat berechtigte Angst, dass eine Krankheit die Kolonisten auf einem neu entdeckten Planeten in Aliens verwandelt. Nancy Kress ist eine emotional sehr überzeugende agierende Autorin. So weiß sie, dass das Herz ihrer Geschichte ein Klischee ist und sie unternimmt sehr viele Wendungen, um die Erwartungen der Leser nicht zu befriedigen. So behalten die Kolonisten während des Wandlungsprozesses ihre vollständigen Gedächtnisse bei. Am Ende des Prozess entstehen auch keine Monstren, sondern impliziert neue Menschen, die sich an die herausfordernde Umgebung auch besser anpassen können.

Leider etabliert Nancy Kress mit Jamison auch eine Art Schablonencharakter, das er mit seiner berechtigten Argumentation hinsichtlich der Verwandlung der Kolonisten keinen nachhaltigen Eindruck macht. Aber auf der anderen Seite benötigt die gut geschriebene Kurzgeschichte auch eine ausgeglichene Basis, um einer alten Idee neues Leben einzuhauchen.

Die zweite Geschichte stammt aus der Anthologie „Bridging Infinity“. Karin Lowachees „Ozymandias“ ist auf den ersten Blick eine Krimigeschichte, deren Ausgangsbasis erklärungsbedürftig ist. Luis verpflichtet sich für sechs Monate alleine auf einer fast fertigen Raumstation mit nur einer KI. Warum er sechs Monate dort alleine leben kann, wird genauso wenig erläutert wie die Tatsache, dass nicht weitergebaut wird. Alleine die Kosten der Verzögerung müssen gigantisch sein.

Auch wird nicht die Frage beantwortet, warum die KI einen Menschen braucht. Anders herum ist das verständlich, denn die Persönlichkeit der KI gehört gehört zu den besten Schöpfungen des Genres. Mit viel Gefühl, aber auch Respekt vor der reinen Logik hat die Autorin sie/es/er entwickelt.

Schnell hat Luis wie bei einer klischeehaften Krimigeschichte das Gefühl, als wenn er nicht alleine auf der Station ist, obwohl ihm alle bestätigen, dass niemand anders an Bord sein kann. Am Ende werden fast alle Fragen nicht beantwortet. Zwar kann Luis den komplizierten, aber nicht unbedingt komplexen Plan der Schurken durchkreuzen, aber sowohl der Weg dahin als auch die vielen Zufälle machen die Lektüre eher zu einer Art intellektuellen Hindernislauf als zu einem befriedigenden Krimi.

Es ist schade, dass handlungstechnisch bei einer sehr guten Zeichnung der Protagonisten so viel Potential verschenkt wird.    

„The Stars do not lie“ vom viel zu früh verstorbenen Jay Lake ist für den HUGO nominiert worden. Es ist eine kraftvolle Novelle, in welcher sich der Autor in einer möglichen Alternativwelt mit der Diskrepanz zwischen Glauben und religiösem Aberglauben auf eine ambitionierte, vor allem auch ambivalente Art und Weise auseinandersetzt. Wer unbedingt ein Genre zuordnen möchte, kann auch vom Steampunk sprechen.

In Jay Lakes Welt am Rande des technischen Durchbruchs von einem reinen industriellen Zeitalter in das dem Leser vertraute frühe 21. Jahrhundert herrscht immer noch der kirchliche Glaube vor, dass vor sechstausend Jahren ein göttliches Wesen die Erde an sechs Punkten berührt hat. An diesen Orten ist die gegenwärtige Zivilisation entstanden.

Inzwischen ist die Astronomie technisch allerdings so weit, dass es technische Möglichkeiten gibt, ein anscheinend künstliches Objekt im erdnahen Raum zu beobachten und zu verfolgen.

Bislang konnte die Kirche in dieser eng eher mit Mythen als historischen Fakten dominierten Welt alle geistigen Abweichler als Ketzer anklagen, verurteilen und dadurch mundtot machen. Jay Lake legt vor allem in der ersten Hälfte seiner ausgesprochen kraftvollen Geschichte sehr viel Wert auf diese Tatsache,

Natürlich lässt sich nicht alles unterdrücken. Doctor Morgan Abutti ist Astronom. Er beobachtet seit vielen Jahren die besondere Ecke des Himmels. Er kann im Gegensatz zu den Lesern nicht sagen, was er entdeckt hat. Aber er weiß, dass es ungewöhnlich ist und laut den kirchlichen Lehren auch nicht dorthin gehört.

Wie jeder Forscher will er seine Vorgesetzten aufmerksam machen. Natürlich schockiert er die Gesellschaft. Gleichzeitig scheinen sich aber die kirchlichen Wände durch den Tod des Papsts aufzuweichen.

Jay Lake wechselt immer wieder die Perspektive und baut durch die unterschiedliche Erwartungshaltung seiner Protagonisten eine natürliche Spannungskurve auf. Mit Morgan und dem kirchlichen „Sendboten“ in Form einer durchaus weltoffenen Kirchenmannes Quinx kann der Autor beide Seiten dieser Grundsatzkonfrontation beleuchten.

Die Dialoge sind hervorragend geschrieben. Jay Lake ist immer ein Autor gewesen, der vor allem auch in seinen kürzeren Werken nicht nur ausgesprochen viel Wert auf die Zeichnung seiner Welten und damit Hintergründe gelegt hat, sondern dem Leser positiv wie negativ zugängliche Menschen in diese fiktiven Szenarien positioniert hat.

Es passt zu so einer kraftvollen Geschichte, das das Ende zufriedenstellend und gleichzeitig zynisch offen ist. Die Ansichten der beiden intelligenten Männer sind viel zu unterschiedlich, als das sie am Ende einen Konsens finden können. Beide erhalten ihre Antworten. Beide haben auf die eine Art recht, auf die andere Art und Weise aber auch unrecht. Vor allem kann einer der beiden Männer nicht der Öffentlichkeit über seine Beobachtungen berichten.

Im übertragenen Sinne wirkt Morgan Abutti wie der Galileo einer Parallelwelt. Er muss gegen kirchliche Dogmen kämpfen. Dabei spielt es im Laufe ihrer gemeinsamen Reise fast keine Rolle mehr, welche Seite recht oder unrecht hat. Politik und Glauben bilden eine nicht heilige Partnerschaft, in deren dunklem Herz es vor allem um Macht und die Ausübung von Macht geht.

Jay Lake überlässt es seinen Lesern. Er manipuliert nicht, er bietet keine Lösungen an. Der Epilog ist wahrscheinlich kraftvoller als der Prolog. Aber sie verlangen Geduld von den Lesern. Erst langsam muss er sich in diese irgendwie vertraute und doch fremdartige, im Grunde sozial aus der Zeit gefallene Welt gedanklich hineinarbeiten. Diese Mühe belohnt der Autor aber mit einem intellektuell stimulierenden Spiel voller Exotik und kleinere intelligenter Einfälle.

Es ist einer der besten Novellen Jay Lakes, der vor allem in Langform Fantasyromane für jugendliche Leser geschrieben hat.

Die beiden anderen Kurzgeschichten verblassen angesichts des Potentials dieses Textes, wobei jede Story für sich genommen relevante Themen anspricht und unterstreicht, wie gut das Nachdruckmagazin „Forever“ weiterhin ist.       

 

Forever Magazine Issue 58 cover - click to view full size

E Book 112 Seiten