Detroit Undercover

Lara Möller

Lara Möllers ersten Thriller "Detroit Undercover" ist wie ein früher Quentin Tarantino Film. Elegant und rasant, unterhaltsam und doch irgendwie von irgendwoher auch vertraut. Es ist weder eine Kopie noch ein Plagiat, sondern eine Hommage an die Gangsterstreifen der siebziger Jahre bis in die Gegenwart, doppelt  ironisch eine Würdigung an die amerikanischen Automobilbauer ausgerechnet in der inzwischen insolventen und von der Depression niedergestreckten Stadt  Detroit und vor allem ist es eine ausgesprochen geradlinige Geschichte, die sich mit Männerfreundschaften und natürlich auch im Umkehrschluss dem Balzgehabe auf dem Weg nach oben ins fiktive Zentrum der Macht auseinandersetzt.

 Wie es sich für einen derartigen Thriller gehört,  muss der Auftakt den Leser an der Gurgel  packen und nicht mehr loslassen. Alec  Boyd arbeitet für die "Great Lakes Association", das mächtigste Gangstersyndikat der Stadt.  Auch wenn viele Fakten sich erst nach und nach präsentieren, ist er einer ihrer wichtigsten Fluchtwagenfahrer. 

 Andrew  Vacchs hat in "Der Fahrer" diesem besonderen Typus  Mensch mit seiner Liebesbeziehung zu schnellen Wagen und rasanten Fahrtstilen ein literarisches Denkmal gesetzt. Zu Walter Hills ersten und seinen besten Filmen gehört ohne Frage "The Driver"  mit Ryan  O´Neil und Bruce Dern; Edgar Wright hat mit dem zeitlich nach Lara Möllers Buch entstandenen "Baby Driver" in die gleiche Kerbe geschlagen.

 Im Gegensatz zu diesen angesprochenen Gangstern hat Alec Boyd aber ein anderes Geheimnis. Nach und nach indirekt und mittels kurzer Rückblenden erfährt der  Leser, dass er Polizist ist und absichtlich von langer Hand durch seinen Kontaktmann in die Gangsterorganisation eingeschleust worden ist. Das Ziel der  konzentrierten Aktion verschiedener Polizeikräfte ist es, die "Great Lakes Association" zu zerschlagen und die entsprechenden Beweise zu sammeln.  Alec Boyds Weg ist nachvollziehbar beschrieben, zumal die Autorin ihm auch eine private Seite schenkt.  Während die  Liebesgeschichte mit der Kellnerin eher den Klischees folgt und für  Undercoveragenten wegen der Verleumdung der eigenen Identität  immer tragisch enden muss, wirkt das freundschaftliche Verhältnis zu seinem Boss - er arbeitet offiziell in einer Autowerkstatt - sowie seinen Kollegen warmherzig, realistisch und vor allem "natürlich".

 Wie ambivalent und emotional irritierend die Undercoverarbeit sein kann, zeigt sich in seinem Verhältnis mit seinem offiziellen Vorgesetzten bei der  Polizei. Kaum Möglichkeiten, offen mit ihm zu sprechen; isoliert und distanziert;  zwar professionell aber von langer Hand geführt beginnt Alec  Boyd zu vereinsamen.   Positiv ist, dass Lara Möller dem Geschehen am Ende kein all umfassendes Happy End  gibt, sondern aufzeigt, wie verführerisch das Gangsterleben bis zu einem bestimmten Grat sein kann, nicht selten  von außen indirekt initiiert. 

 Ramesh Dewari stammt ursdprünglich aus Indien und hat es in die lokale Spitze der Gangsterorganisation geschafft. Er ist intelligent, verschlagen, aber nicht brutal. Natürlich fällt schmutzige Arbeit an, welche er gerne delegiert. Er ist aber nicht das Abziehbild des tumben Gangsterbosses, der schließlich wie eine Art Scareface des 21. Jahrhunderts an seiner eigenen Brutalität und seinem Scheuklappendenken scheitert.  Am Rande der Arroganz agiert er ausgesprochen souverän und manipuliert gerne Menschen.  Er sieht in dem geradlinigen, nach außen wenig Furcht zeigenden Boyd einen talentierten Stellvertreter, welcher die Stärken zeigt, die eine moderne Organisation ausmachen. Gegenbeispiele aus der brutalen wie teilweise in die Sackgasse verführenden Vergangenheit hat er ausreichend in seinem Kader. Lara Möller nutzt diese Randfiguren, um Boyd stellvertretend für den Leser, aber inzwischen nicht mehr sonderlich schockierend mit den Spuren der Gewalt des organisierten Verbrechens zu konfrontieren. 

 Im Gegensatz zum teilweise ein wenig naiv, zu pragmatisch beschriebenen Boyd ist Dewari deutlich dreidimensionaler und faszinierender.  Offene Freundschaft mit Untergebenen könnte und wird abschließend auch als Schwäche ausgelegt. Auf der anderen Seite fühlt er sich auch einsam und sucht einen Menschen, der nicht vor ihm kuscht. 

 Nicht selten wird beschrieben, wie ein Mann zwischen zwei Frauen steht. Oder eine Frau zwischen zwei Männern. Ohne homosexuelle Bezüge beschreibt die Autorin überzeugend, wie ein Mann zwischen zwei so unterschiedlichen, aber von ihren Aufgaben besessenen Männern steht.  Mehr und mehr fühlt sich Alec Boyd  von einem Teil des organisierten Verbrechens und dem charismatischen Dewari angezogen,  während vor allem sein Boss in der Autowerkstatt und sein Vorgesetzter bei der Polizei die mahnenden Gewissen sind.  Es ist schwierig für den Leser, den Konflikt in Boyd gänzlich nachzuvollziehen, da sich ausgerechnet sein Ansprechpartner bei  der  Polizei bis auf einige mahnende, aber nicht immer treffende Worte auch sehr rar macht.  Dewari und  Boyd verbringen mehr Zeit miteinander,  so dass automatisch diese konträre Freundschaft im  Mittelpunkt steht. 

 Während des obligatorischen und fast hektisch über den Charakteren einbrechenden Showdowns zeigt sich, dass es  im Leben wie im Sterben keine Logik geben muss.  Ihre Figuren handeln entgegen der Maxime, die sich selbst gesetzt haben und finale  Überraschung mit  dem doppelten Verrat und der „Who watches the Watcher?“ Mentalität wirkt fast zu sehr aufgesetzt. Zumindest lässt sie eine bis dahin absolute Randfigur in das dämmerige Licht treten, wobei sich hier die obligatorische Frage stellt, warum in vielen Thrillern und Filmen die Schurken immer reden und nicht handeln müssen? Ohne viele  Erklärungen hätte das Buch anders ausgehen müssen. Nicht selten  werden mit diesen literarisch dramaturgischen Erweiterungen der Gegenseite Chancen geschenkt, das Rad noch einmal zu drehen und zum tragischen Sieger zu werden. 

 Auch das semifatalistische Ende wirkt ein wenig zu hektisch. Es ist ohne Frage konsequent und ein reines Happy End mit einem überzeugenden Sieg der  Guten will Lara Möller nicht präsentieren,  aber dieser enger Grat zwischen Gangsterehrenwort und Pflichterfüllung  wirkt in einem John Woo Streifen untermalt mit der  so typisch ergreifenden kitschigen Musik besser als in einem distanzierter erzählten Roman, wobei Lara Möller  sehr nahe an die Perfektion herankommt.

 Unabhängig von den Charakteren und den gut geschriebenen, vor allem sehr gut über den ganzen Handlungsbogen verteilten Actionszenen ist „Detroit Undercover“ auch das Portrait einer Stadt, die lange Zeit das industrielle Herz der USA gewesen ist. Geblieben sind die verfallenen Gebäude, die verzweifelten  Menschen, die Kriminalität und hilflose Politiker. Zurückgelassen hat aber positiv gesprochen der Niedergang Detroits einen fast kindlich anmutenden Kult für schnelle Autos aus einer Zeit, als die USA die arrogante Weltmacht gewesen sind. Lara Möllers Figuren lieben schnelle amerikanische Autos. Entweder in die Gegenwart oder in den Garagen, in denen sie liebevoll auseinandergebaut und wieder zusammengesetzt werden.  Diese Handlungen zementieren Freundschaften und gehen weit über den Smalltalk in der Kneipe an der Ecke hinaus.

Nur wer zusammen mit dem Besitzer des jeweiligen Oldtimers an seinem Auto geschraubt hat,  kann als Freund bezeichnet werden. Fahrstunden sind der Weg dahin, aber echte Männerfreundschaften gehen nur in diesem Buch über Schraubenschlüssel und Motorenöl. Es sind Zweckgemeinschaften, aus denen schnell selbst  nette Frauen wie die  Kellnerin in einer der zahlreichen Amüsierkneipen mit einem Herzen aus Gold wieder ausgeschlossen und schnell vergessen werden.            

 „Detroit Undercover“ ist ein geradliniger, sehr unterhaltsamer Thriller, der in seinem tiefsten Inneren an das Kino der siebziger bis neunziger Jahre erinnert und diese Zeitlosigkeit unabhängig von der Nutzung moderner Handytechnik in seinem Herzen bewahrt hat.  Handarbeit ist angesagt.  Das macht das Buch in einem Zeitalter der „CSI“ Serien mit ihrer erdrückend wissenschaftlichen bis stupiden Laborermittlungsarbeit so unterhaltsam, zumal Lara Möller mit ihren vor allem aus kurzen, fast abgehackt erscheinenden Sätzen bestehenden Stil eine überzeugende Atmosphäre  und in einigen Szenen sogar eine sehr intensive Spannung aufbaut.

Detroit Undercover von [Möller, Lara]

  • Taschenbuch: 348 Seiten
  • Verlag: bookshouse (26. August 2019)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 9925331463
  • ISBN-13: 978-9925331468
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