Sherlock Holmes und der bengalische Tiger

Michael Butler

In „Sherlock Holmes und der bengalische Tiger" präsentiert Michael Butler vier Kurzgeschichten um Sherlock Holmes und Doktor Watson.

 Die erste Geschichte Sherlock Holmes und das blaue Kaninchen" beginnt vielversprechend. Nach einer Zechtour mit seinen ehemaligen Kollegen sieht der angeheiterte Doktor Watson eine Wandzeichnung eines blauen Kaninchens. Anscheinend finden sich die Zeichnungen überall, wo spektakuläre Einbrüche stattgefunden haben. Sherlock Holmes möchte die Diebe mit einer Finte ans Tageslicht treiben.

 Der Auftakt ist wie angesprochen humorvoll und originell. Das große Problem ist eher die Auflösung der Geschichte. Während das Motiv noch verständlich ist, wirkt die Vorgehensweise des Täter naiv. Absichtlich erweckt er die Aufmerksamkeit und mit einem derartig auffälligen Markenzeichen kann sich der Kreis nur auf im Grunde eine Person und sein Umfeld beschränken.

 Die "Falle" ist solide, basiert aber auch auf Zufälligkeiten. Wie in vielen von Michael Butlers Texten geht es auch weniger um die Deduktionsarbeit, sondern bluffen und/ oder ein wenig die Täter zu provozieren.

 Deutlich tragischer ist "Sherlock Holmes und die schwarzen Beine der Madame". Eine Frau wird an der Bahnstrecke tot aufgefunden, anscheinend hat sie ein Zug erfasst. Eine Frau mit auffällig dunklen Beinen hat den Tatort verlassen. Sherlock Holmes macht sich an die Ermittlungsarbeit, trifft dabei gleichzeitig auf ein an den Rollstuhl gefesseltes Medium. Der große Nachteil vieler Sherlock Holmes Geschichten ist die begrenzte Anzahl der Protagonisten.  Wie bei Nero Wolfe oder auch Poriot muss der Verdächtige aus dem bekannten Personenkreis stammen. Im Gegensatz zu den originalen Sherlock Holmes Storys ist es auch wichtig, dass diese Person einen entsprechenden Auftritt in der Geschichte selbst hat. So schränkt der Autor bei dieser Story den Personenkreis der Täter schon von Beginn zu stark ein, auch wenn das Finale mit seiner Tragik, aber doppelten Wirkung packender und überzeugender ist als in der ersten Kurzgeschichte dieser Sammlung. 

 Die dritte Geschichte „Sherlock Holmes und die falsche Tempeltänzerin“  ist die schwächste der vier Kurzgeschichten. Sherlock Holmes soll in einer verruchten Gegend eine junge Tempeltänzerin schützen, die zusammen mit einem englischen Professor aus Indien aus der implizierten sexuellen Knechtschaft geflohen ist.

 Die Vorgehensweise von Sherlock Holmes ist eher opportunistisch zu nennen. Er provoziert den indischen Fürst, der mit seinen Leuten nach London gekommen und zwingt sie auf königlichen Befehl zur Ausreise und damit zum Handeln. Es ist erstaunlich, dass dieser Fürst auf den Bluff hereinfällt. In der Nacht täuscht Sherlock Holmes nicht nur die Täter, sondern vor allem auch seinen Freund Doktor Watson auf eine bekannte Art und Weise. Die abschließende doppelte Auflösung der Handlung impliziert aber angesichts der Exposition mindestens eine homosexuelle Neigung bei mehr als einem Charakter. Damit wird auch wieder die Ausgangsbasis hinterfragt.

Abschließend kommt hinzu, dass dieser Bluff nur unter im Grunde im Computer konstruierten Prämissen in dieser Form nachhaltig funktionieren kann. Michael Butler agiert in dieser Hinsicht überambitioniert und verfällt der Versuchung, einer geradlinigen Sherlock Holmes Geschichte unbedingt nur ein süffisantes Ende hinzuzufügen, das absichtlich oder unabsichtlich so viele Fragen hinsichtlich des Anfangs der Geschichte aufwirft, dass irgendwie das ganze Konstrukt nicht zufriedenstellend erscheint.

 Die Titelgeschichte ist eine Novelle. Auch bei seinen bisherigen Veröffentlichungen im Rahmen dieser Reihe hat der Autor bewiesen, dass ihm dieser Zwitter – nicht mehr eine Kurzgeschichte, aber noch kein echter Roman – sehr liegt. Der Hintergrund der Novelle ist am nachhaltigsten von allen vier Texten ausgearbeitet. Das Tempo ist sehr viel besser ausbalanciert worden und die einzelnen Schritte bis zum Lösen des Falls sind vielleicht nicht unbedingt Deduktionsarbeit, aber sie entsprechenden einer Guy Ritchie/ Robert Downey jr. Interpretation des Sherlock Holmes Charakters und unterhalten deswegen auch ausgesprochen kurzweilig.

 Eine junge Frau vermisst ihren Verlobten, der ihr unmittelbar vor seinem Verschwinden gesagt hat, dass er bald sehr viel Geld verdienen könnte. Gleichzeitig werden mehrere verstümmelte Männerleichen gefunden. Es geht in den Kneipen das Gerücht, dass man mit einem Kampf gegen einen bengalischen Tiger auf die Schnelle viel Geld verdienen kann.

 Sherlock Holmes entschließt sich, den harten Weg bis zum finalen Kampf gegen diese Bestie zu gehen und sich als Kämpfer in die Szene einzuschleusen.

 Der Plot ist solide entwickelt. Viel reine Deduktionsarbeit muss Sherlock Holmes nicht unternehmen. Beginnend bei der Werft, auf welcher der Verschwundene gearbeitet hat, kommt der britische Detektiv schnell ans Ziel. Die Exkursion mit der Zeitungsmeldung seines bevorstehenden Reichtums irritiert eher als das es ihn wirklich einen Schritt weiter bringt. Mit der entsprechenden Verkleidung hätte Holmes auch ohne diese ungewohnte Publicity effektiver weiterkommen können. Vor allem, weil er nach seinem neugierigen Herumfragen plötzlich das Interesse an der Werft verliert und quasi untertaucht.

 Die Kämpfe selbst inklusiv der Sensationslust sind gut und spannend beschrieben worden. Während in den ersten Runden die untere Mittelschicht auch mit Wetten auf ihre Kosten zu kommen sucht, ist das Finale den dekadenten Reichen vorbehalten. Sherlock Holmes geht ein hohes Risiko und hat natürlich auch während des Finals Glück, sonst wäre diese Serie mit Sherlock Holmes Fällen ja zu Ende. So kann nur bedingt Spannung aufkommen. +

 Alleine die Frage nach der Identität des bengalischen Tiger sorgt für zusätzlich Spannung.  Doktor Watson als heimlicher Beobachter und später hilfloser Freund in der Masse wird überzeugend geschildert, wobei aus seiner Sicht die Gefahren auch deutlich realer und greifbarer erscheinen als bei den anderen hier versammelten Fällen.

 Michael Butler gibt einen guten Einblick in die verschiedenen sozialen Strömungen des viktorianischen Großbritanniens und beschreibt die Motive der einzelnen Parteien sehr gut. Sherlock Holmes ist bei einem wichtigen Zeugen und Hinweisgeber mit seiner Mischung aus Autorität wie auch Bluff lange Zeit überzeugend, auch wenn der Detektiv seine gute Position vielleicht aus Herzensgüte schon vor den finalen Informationen aufgibt.

 Generell gesprochen sind die vier hier versammelten Texte mindestens solide geschrieben, wobei die Novelle positiv in mehrfacher angesprochener Hinsicht herausragt. Auffällig ist allerdings das Muster, in dem Michael Butler seine Geschichten inzwischen fast ein wenig zu stereotyp anlegt. Sherlock Holmes muss dem Publikum stellvertretend Doktor Watson gleich zu Beginn bei jedem neuen Besucher beweisen, was für ein scharfer Beobachter er doch ist, während es in den anschließenden Fällen vor allem auf Entschlossenheit und einen Bluff im richtigen Moment ankommt. Ein wenig mehr Deduktionsarbeit für das eigentliche Lösen der Fälle könnte die Qualität der hier vertretenen Arbeiten noch steigern. In diesem Punkt macht es sich Michael Butler nicht nur in der vorliegenden Sammlung zu einfach und unterminiert seinen unterhaltsamen Stil, seine gute Zeichnung der Protagonisten und vor allem die in den Novellen dreidimensionalen überzeugenden Hintergründe.  

Sherlock Holmes - Neue Fälle 27: Sherlock Holmes und der Bengalische Tiger

Taschenbuch, 224 Seiten

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