C.C. Finlay leitet die Sommerausgabe mit mahnenden Worten zur Covid Krise ein. Auch im Abschnitt mit den Buchrezensionen geht Michelle West auf ihre nicht leichte finanzielle Situation mit geschlossenen Läden ein. Nur Charles de Lint rezensiert stoisch seine Bücher. Im Filmbereich geht David J. Skal auf den neuen Film über den Unsichtbaren ein. Dazu ein Essay über Spiele und ein sekundärliterarisches Artikel.
Die Kurzgeschichten streifen wieder alle Genres mit Schwerpunkten allerdings bei Science Fiction und Weird Fiction.
„Knock Knock Said the Ship“ von Rati Mehrotra eröffnet die Ausgabe. Das Frachtraumschiff verfügt über eine künstliche Schiffsintelligenz, die gerne Witze erzählt. Ein Flüchtling vom Mond versteckt sich quasi als Hilfsarbeiter an Bord des Schiffes, um ihre Schulden abzuarbeiten. Das Raumschiff wird von Piraten überfallen, die wie sie früher auf einer Station gelebt haben. Natürlich wird die Loyalität der Protagonisten in Frage gestellt und sie muss schwere, aber wenig überraschende Entscheidungen treffen. Solide mit einem Spritzer Humor erzählte Space Opera.
Das alte Thema des Fahrstuhls zu den Sternen nimmt Bennett Norths „A Bridge from Seat o Sky“ als Ausgangsbasis, um neben der Beschädigung der Struktur durch einen herumirrenden Satelliten die Unabhängigkeit der im Orbit lebenden Menschen zu demonstrieren. Es steckt sehr viel mehr Potential in dieser kurzweiligen Geschichte, als sich die Autorin selbst zutraut. Während die Rettungs- und Reparaturaktion vor allem auch aufgrund der Budgetkürzungen zu einem lebensgefährlichen Unterfangen wirken, folgen die politischen Implikationen und Folgen eher im Nachgang und hätten eine breitere und vor allem auch differenziere Auseinandersetzung verdient.
Die dritte reine Science Fiction Geschichte ist Brian Trents „The Monster of Olympus Mons“, die an eine Variation einzelner „Twillight Zone“ Themen erinnert. Der Mars wird von einem Bürgerkrieg förmlich gespalten. Ein berühmter Bergsteiger lange über seinen körperlichen Horizont hinweg stolpert in ein altes längst verlassenes Museum auf dem roten Planeten, wo sehr ambivalent beschriebene marsianische Kreaturen leben. Diese werden von einem Offizier verfolgt, der die Legenden am liebsten mit dem Sand des Mars bedecken möchte, damit sie in seine Weltordnung passen. Am Ende dieser moralischen Geschichte entlarvt die Autor die potentiellen „Helden“ als die wahren Monster. Melancholisch im Ton mit gut gezeichneten, kantigen Charakteren lässt Brian Trent seine Leser selbst entscheiden, wie sie sich in dieser schwierigen, aber nicht aussichtslosen Situation entschieden hätten.
James Morrow hat in den letzten zwanzig Jahren eine Reihe von biblischen Themen auf die Science Fiction umgeschrieben. „Bible Stories for Adults No. 37: The Jawbone“ ist die bislang letzte Story dieser Art. Es geht um Samson und die Herkunft seiner aus heutiger Sicht Superheldenkräfte. James Morrow spinnt die Idee weiter, wenn man feststellt, dass diese Kräfte übertragen und in eine Art Superwaffe umgewandelt werden können. Zynisch, bitterböse und mit einem Augenzwinkern geschrieben zeigt sich James Morrow weiterhin als auch zeitkritischer Betrachter der Gegenwart, scheinbar harmlos in den Mantel einer Farce gepackt.
Die anderen Geschichten stammen aus verschiedenen Bereichen der modernen Fantasy mit einem Einschlag von Weird Fiction. M. Rickert präsentiert mit „Last Night at the Fair“ präsentiert den letzten Tag eines Vergnügungsmarktes, an dem alle Attraktionen kostenfrei sind. Es ist eine dieser wundervollen Hommages an Ray Bradbury, die mehr Wert auf die Stimmung als auf einen Plot legen.
John Kessels „Spirit Level““ stellt den Leser nicht zufrieden. Ein Mann sieht den „Geist“ seiner Frau, obwohl sie in Wirklichkeit noch am Leben ist. Dazu kommen eine Reihe von schwer erklärbaren, aber deswegen nicht gleich übernatürlichen Ereignissen, für welche der Autor abschließend allerdings keine Erklärung liefert.
Auch „Madre Nuestra“, Que Estas en Maracaibo“ von Ana Hurtado gehört leider in die Kategorie der eherr durchschnittlichen Storys. Eine Großmutter liegt im Sterben, ihre Tochter will es nicht wahrhaben, das Enkelkind erkennt die Wahrheit. Leider macht die Autorin aus diesem im Grunde alltäglichen Szenario bis auf eine Mischung von spanisch englischen Dialogen handlungstechnisch gar nichts.
Mel Kassels „Crawfather“ beschreibt eine besondere Familientradition. Einmal im Jahr treffen sich die einzelnen Mitglieder, um nahe ihrer Berghütte einen gigantischen besonderen Flusskrebs zu jagen. Ab und zu kommt dabei auch einer aus ihrem Kreis um Lebens. Die Prämisse wirkt absurd, weitere Hintergrundinformationen gibt es leider auch nicht.
Die Titelbildgeschichte ist David Erik Nelsons „All Hail the Pizza King and Bless His Reign Eternal“. Ein Pizzaofen ist im wahrsten Sinne des Wortes von einem Dämonen besessen. Die neue Besitzerin des ehemaligen Taccoladens kennt das Geheimnis und versucht mit einigen Freunden, ihn erst zu bekämpfen und schließlich zu vertreiben. Das Spektrum der Novelle ist ausgesprochen breit. Der Autor nimmt seine Ausgangsbasis ernst und spinnt darum einen kurzweilig zu lesenden, natürlich sich ins Absurde steigernden Text mit einem erstaunlich emotionalen Ende.
Auch Stephanie Feldmans „The Staircase“ ist eine der Höhepunkte dieser Ausgabe. In einer kleine Stadt gibt es eine Wendeltreppe, die anscheinend Menschen verschwinden lässt. Man muss sie nur bis zum Ende gehen. Jo macht es und verschwindet zumindest für einige Minuten. Stimmungstechnisch sehr überzeugend verzichtet die Autorin allerdings auf eine abschließende Präsentation.
Auch Natalia Theodoridous „The Shape of Gifts“ präsentiert einen überzeugenden Aufbau, aber kein zufriedenstellendes Ende. Die Protagonistin beobachtet die Vögel in einem stetig schrumpfenden Wald, dessen Struktur vom Menschen konsequent zerstört wird. Dabei hat sie dunkle Visionen, denen sie nichts entgegenstellen kann. Aber vieles wirkt zu unspezifisch, zu allgemein formuliert, als das der Text vor allem angesichts der sehr aktuellen Ausgangslage nachhaltig überzeugen kann.
Dagegen hat Madeleine Robins mit ihrer Steampunk Interpretation „omunculs“ mehr Glück. Die Geschichte greift politisch hintergründig das zeitlose Thema der Frauenemanzipation in einer engen Kombination mit einer mechanischen Frankenstein Version auf. Professor Higgins wirkt wie eine Hommage an „My Fair Lady“ oder der klassischen Geschichte Pygmalion. Auch Rossum aus „R.U.R. von Karel Capek spielt eine Rolle. Dazu kommen eine Reihe von Querverweise auf die Forschungen der sechziger Jahre. Unabhängig von diesen Anspielungen funktioniert die Geschichte aber durch die dreidimensionalen Charaktere ausgesprochen gut und rundet ein Trio mindestens zufriedenstellender Storys ab.
Insgesamt präsentiert sich der Sommer 2020 durchschnittlich. Viele der Texte präsentieren gute Ideen, die aber aufgrund der Kürze zu wenig herausgearbeitet worden sind. Novellen wären in diesen Fällen besser gewesen. Vor allem routinierte Autoren wie John Kessel überzeugen mit ihren Arbeiten nicht. Positiv ist ohne der Frage der Versuch, neue Autoren auch von außerhalb der USA zu präsentieren. Damit folgen die Herausgeber dem „Clarkesworld“ Weg, aber wie Neil Clarkes Magazin sollten sie mehr Wert auf Qualität als Quantität setzen. Aber drei längere Arbeiten sind vor allem für Abonnenten des Magazins den Kaufpreis Wert.