Arrivals

Melissa Marr

Mit „The Arrivals“ legt Melissa Marr ihren zweiten Roman nach „Graveminder“ für Erwachsene vor. Auch wenn das Ende des stringenten, vielleicht sogar zu kompakten Romans wie ein Happy End erscheint, bleiben zu viele Fragen offen, um keine Fortsetzungen zu verlangen. Erfahrene Leser werden verfremdete Ideen aus anderen Büchern wie Farmers „Flusswelt“ Serie und vor allem Stephen Kings „The Dark Tower“ – der Westernhintergrund und die Idee des Wastelandes – wiedererkennen.

Aus Farmers „Flußwelt“ Serie stammt allerdings ohne die Idee des Wurmlochs die Prämisse, dass sich in einer fremden, zeitlosen Welt Menschen aus verschiedenen Zeiten gegen ihren Willen wiederfinden. Nur handelt es sich im Gegensatz zu Farmers empfehlenswerter Serie um keine Toten, die quasi in eine Seelenwelt hinüberwechseln, sondern nur um eine Handvoll von mehr oder minder zufällig ausgewählten Menschen, die aus verschiedenen Zeiten kommend Ersatz für die Unsterblichen bilden.  Selbst die Idee der Unsterblichkeit wird variiert. Es ist sinnvoller, von einer Wiederkehr zu sprechen, da die Menschen in dieser fiktiven Welt durchaus sterben können. Nur werden die Auserwählten wieder geboren und erinnern sich an ihre Tode. Das letzte sogar auf den zweiten Blick vertraute Element aus Stephen Kings „The Dark Tower“ Serie ist der skurrile Westernhintergrund, der im Gegensatz allerdings zu Joe Lansdales Weird Western Geschichten nicht so sperrig, brutal oder verfremdet erscheint, sondern sich teilweise an die Klischees der Klassiker des Genres anlehnt.  Zur Überraschung der Leser definiert sich "The Arrivals" weniger über den Plot oder gar die Action, sondern fast ausschließlich leider nicht gänzlich zufriedenstellend über die Charaktere.

Es lohnt sich, mit dem Erzschurken anzufangen. Ajani ist ein klassischer Psychopath, der seine brutale Seite exzellent hinter den guten Manieren verstecken kann. Er hat seine Helfer, von denen einer zumindest eine Frau aus der anderen Fraktion - Katherine - geliebt hat.  Auf den letzten Seiten erfährt der Leser mehr über Ajani, ohne das die Autorin frustrierend in die Details geht. Mitglieder seiner Gruppe scheinen wirklich unsterblich zu sein, während die anderen "Arrivals" wie schon angesprochen eher eine befristete Anzahl von Malen wiederbelebt werden können. Es besteht weiterhin die Möglichkeit, durch Verrat von einer Gruppe zur anderen zu wechseln. Da im Gegensatz zu den eher desinteressierten Ureinwohnern die Zahl der ankommenden menschlichen und damit nutzbaren „Seelen“ begrenzt ist, entbrennt immer ein Kampf um die Neuen. Über den ganzen Roman bleibt Ajani allerdings sehr farblos und gegen Ende des Plots erscheint er eher wie ein pragmatisches Schemata als ein abgerundeter Charakter.  Das wirkt sich während des emotionalen Showdowns genauso negativ aus wie in den voran gegangenen "Verführungsphasen". Einige der "Fakten", welche Melissa Marr hinsichtlich der potentiellen Entstehung dieser Welt und ihres Schöpfers präsentiert, machen allerdings kritisch gesprochen keinen Sinn. Wenn es eine Verbindung gibt, dann sollte sie in dieser künstlichen (?) Welt über den Tod hinaus bestehen, wenn es diese Verbindung nicht gibt, ragt Ajani mit seinen scheinbar Gott ähnlichen Kräften zu weit hinaus. 

Ajani gegenüber stehen die Geschwister Katherine und Jack Reed, die aus dem Wilden Westen von mehr als zwanzig Jahren in die Wastelands entführt worden sind. Jack Reed führt eine kleine Gruppe von "Arrivals" im ständen Kampf gegen Ajani. Er ist ein treuer, vielleicht sogar ein wenig naiver Bursche, der zu Beginn des Buches seine Freundin/Gefährtin/Bettpartnerin für immer verliert. In einer der am besten funktionierenden emotionalen Szenen verfolgt der Leser, wie ein immer verzweifelter werdender Jack die sechs Tage bis zum Erwachen immer unruhiger wird. Diese Lücke schließt die Autorin mit der nächsten Ankommenden. Katherine dagegen steht intellektuell weniger im Schatten ihres Bruders als es ihre Herkunftszeit vermuten lässt. Wie Jack "liebt" sie ein anderes Mitglied aus ihrer Gruppe- den stummen Auftragskiller und Revolvermann Edgar, der aus der Zeit der Prohibition in die Wastelands gewechselt ist. Die beiden emotionalen Beziehungen wirken teilweise starr und angesichts der wenigen zur Verfügung stehenden "Menschen" - die Arrivals werden von den Ureinwohnern abgelehnt - zu kompliziert anstatt komplex angelegt. Dadurch erscheint das Happy End am Ende auch sehr aufgesetzt. Die Handlungen insbesondere Jacks und Katherine bestehend ausschließlich aus Reaktionen auf die von Ajani in die Wege geleiteten Aktionen. Melissa Marr bemüht sich, ihre Protagonisten zeitgemäß zu beschreiben, verfängt sich aber wie Stephen King insbesondere in den ersten "Dark Tower" Abenteuern in stoischer Eindimensionalität, welche den Figuren ihre tragische Tiefe nimmt.

Der Neuankömmling Cloe kommt im Grunde aus der Gegenwart und könnte als Identifikationsfigur der Leser dienen. Auch wenn sie ein dunkles Geheimnis in der Tradition von "Der Feind in meinem Bett" mit sich bringt, ist sie deutlich aktiver, neugieriger, aggressiver und doch eine rückblickend treue Gefährtin eines starken wie emotional auch rücksichtsvollen Mannes. Ihre begrenzte Odyssee erinnert teilweise zu sehr an die Mechanismen eines Romantic Thrillers und die Autoren macht zu wenige Versuche, aus diesem Korsett einzubrechen.

Der Hintergrund dieser Welt ist dagegen exotisch genug und entschädigt für einige Schwächen während der Handlungsführung. Neben den Mienenarbeitern, die eher an Fledermäuse erinnern und den verschiedenen Kampfmönchen, die wiederum Ajani treu ergeben sind, sind es die Bloodsucker - Bloedziger im Original-, die weniger an Vampire denn Wunderheiler erinnern. Es wirkt vielleicht ein wenig übertrieben, wenn der Anführer dieser Jack und Katherines Gruppe wohlwollend gegenüber stehenden Kreaturen sogar über die Möglichkeit verfügt, seine Gedanken fast zu einem Begleiter in den Köpfen der Arrivals zu manifestieren und sie somit fernzusteuern. Über die kleine Stadt zwischen den Lagern erfährt der Leser wenig. Vielleicht wird der Idee der Ankunft verschiedener Menschen aus unterschiedlichen Zeiten ein wenig die Schärfe genommen, weil ausgerechnet zwei der dominierenden Charaktere Jack und Katherine genau aus der Epoche kommen, die hier im kleinen Wüstenwestentaschenformat abgebildet worden ist. Nur das selbst die Hurenhäuser bei der Auswahl der Arrivals wählerisch sind. Das die fremden Mönche abschließend auch noch über besondere Fähigkeiten verfügen und die Westernatmosphäre nur an wenigen Stellen überzeugend und nachhaltig durchscheint, wirkt fast überambitioniert und negiert einige andere Prämissen der Geschichte.

Zusammengefasst erscheint "The Arrivals" fast weniger als ein eigenständiger Roman, sondern als Auftakt einer Serie von Abenteuern, welche hoffentlich die interessante wie im vorliegenden Fall weniger entwickelte als skizzierte Welt erkunden. Die Figuren sind mindestens solide beschrieben, auch wenn sie über die teilweise wahrscheinlich absichtlich genutzten Klischees hinaus mehr Freiraum gebraucht hätten, um angesichts der doch für knapp dreihundertfünfzig Seiten teilweise dünnen Handlung das Interesse des Leser stärker festzuhalten. "The Arrivals" ist ohne Frage ein mutiges Experiment, Stephen Kings "Dark Tower" Welt mit neuen Ideen aufzufüllen und vielleicht im nächsten Schritt in die übergroßen Fußstapfen eines Joe Lansdale zu treten, sowie den New Weird Western für ein breiteres, von übertriebener Gewalt abgestoßenes Publikum zu öffnen.        

 

Erschienen am 10.03.2014

Übersetzt von: Barbara Röhl

336 Seiten, Kartoniert

ISBN: 978-3-492-26941-4