Phantastische Miniaturen 41: Türen

Sabine Frambach

Die 41. Ausgabe der Phantastischen Miniaturen basiert zwar wieder auf einem gemeinsamen Thema „Türen“, aber alle 28 Kürzestgeschichten stammen aus der Feder einer Autorin. Ein Novum in dieser Reihe. Wie Herausgeber Thomas le Blanc in seinem Vorwort zusammenfasst, hat Irene Frambach alle Geschichten innerhalb eines halben Jahres für die Sammlung geschrieben.

Zwei Jahre nach dem Erscheinen der ersten Miniatur trat die Autorin quasi in die Riege der regelmäßigen Mitarbeiter ein und hat seitdem zu fast allen Themen interessante, bizarre oder auch nur emotionale Beiträge beigesteuert.

Anstatt auf die anscheinend imposante Anzahl von mehr als neunzig Geschichten zurückzugreifen, entschlossen sich Thomas leBanc und Irene Frambach, „Türen“ zu einer Originalanthologie zu machen.

 Dabei finden sich schon einzelne Miniaturen, die inhaltlich nicht nur miteinander verbunden sind, sondern aufeinander aufbauen. „Im Eingang wartet der Troll“, „Im Durchgang lauert der Speyer“ und „Am Ausgang winken die Medusen“ fasst im Grunde auch den humorvollen Inhalt der drei Miniaturen perfekt zusammen. Zwei Freunde wollen unbedingt in den angesagtesten Club der Stadt und begegnen dabei sowohl dem Troll als Türsteher, dem Speyer und schließlich am Ende nicht bei ganz klarem Bewusstsein den Medusen. Dabei kennt nur der Leser das Geheimnis dieses besonderen Clubs.

 Bei anderen Miniaturen streift sie eine Reihe klassischer Themen. Die Angst von Jugendlichen vor diesen imaginären Türen in ihren Bildern oder das Warten auf den Vater, der schließlich wie in Im Schrank“ zu „spät“ kommt. Die Autorin konzentriert sich in diesen Texten eher auf Stimmungen als Plots. Bei „Eskapaden“ dreht die Autorin die bekannte Monster-im-Schrank Variante, in dem sie eine überforderte Mutter kurzzeitig in ein märchenhaftes Paradies entführt. Natürlich wird am Ende der Miniatur eine bittere Rechnung präsentiert.

 Die Ignoranz gegenüber Traditionen spielt in „Über die Schwelle“ eine wichtige Rolle. Der Bräutigam folgt nicht den Anweisungen eines älteren Familienmitglieds und trägt seine Braut über die Schwelle. Die Konsequenzen ahnt der Leser schneller als der Protagonist. Es ist bei manchen Plots auch schwer, die Pointen auf dem sehr kurzen Weg zu verstecken, aber die Masse der Geschichten mit sehr guten überraschenden Paukenschlägen am Ende entschädigt auch ein wenig für die ruhigeren Reisen, in denen sich der Leser weniger auf den Plot denn auf die einzelnen Protagonisten konzentrieren kann.

 Selbst die virtuelle Realität für die Eingeschlossene undurchdringbar wird von einem bekannten Lied wie „In allen Wipfeln spürest Du...“ begleitet. Aber die Technik ist immer gefährlich, wie die pointierte „Die verschlossene Tür“ zeigt. Sich in einem Callcenter bei einem Notfall richtig zu legitimieren, kann abschließend auch zum Tod führen. Selbst die letzte Reise muss in „Das Bewertungsportal“ mit digitaler Hilfe angetreten werden. Die Satiren auf gegenwärtige Entwicklungen ragen aus dieser „Türen“ Sammlung positiv heraus, weil auch der Weg zur Pointe originell und dank der gut geschriebenen Dialoge entsprechend doppeldeutig ist. 

 Fortschritt – selbst auf einer eher phantastischen denn technischen Idee basierend – kann auch negativ sein, wie die urzeitliche Erfindung einer mit „Muskelkraft“ angetriebenen Drehtür in „Tür ohne Luftzug“ aufzeigt. Der exzentrische Protagonist, die seltsame Lösung und schließlich die Pointe heben die Geschichte aus der Masse der Türen positiv hervor. 

 Aber hinter den Türen lebenden auch spannernde Kobole („Im Schrank“) oder ganz einfach die hilfreichen, aber auch penetranten Heinzelmännchen („Untermieter“) . Elfen spielen in einer der wenigen längeren Arbeiten eine wichtige Rolle, wobei die Idee von „Die verschlossene Tür“ die Locked Room Mysteries als Vorlage nimmt. Ein fast perfekter Mord in einem von innen abgeschlossenen Raum. Selbst Märchen wie „Der Wolf und die sieben Geißlein“ werden als Miniatur präsentiert. „Blaubarts Frau“ stellt abschließend eine ebenbürtige Ehefrau dar. In diesen Miniaturen spielt die Autorin absichtlich bis zur Pointe mit der Erwartungshaltung der Leser, in dem sie anfänglich den entsprechenden Vorlagen folgt und abschließend abbiegt. 

 Die Besucher vor der Tür wirken in anderen Texten wie aus einer anderen Welt, wobei es nicht selten der Wahnsinn der Wohnungs- oder Hausbewohnerin ist, der wie in „Der Spion“ oder „Klingelmännchen“ die Pointe darstellt. Bei „Kreideweiß“ mit einer in Venedig einziehenden Pest sind es die Zeichen, welche die Bewohner markieren sollen. Die morbide Stimmung endet in einer allerdings erkennbaren Pointe, wobei auf dem Weg der Hintergrund der nächtlichen Begegnungen ausführlicher hätte beschrieben werden können. 

Auch „Die Gruft der Familie Bergamo“ bezieht sich auf historische Gruselvorlagen, vor allem sind die Anspielungen auf Edgar Allan Poe deutlich zu erkennen. Aber auch Sabine Frambach will ihren leidgeprüften Opfern keine abschließende Erlösung zu Teil werden lassen, wobei insbesondere bei dieser Miniatur das Ende vielleicht ein bisschen zu gut vorher zu erkennen ist. „Nach altem Brauch“ lässt auf der einen Seite die Pointe schnell erkennen, auf der anderen Seite verfügt die Miniatur nicht nur über einen sehr lebensecht gezeichneten alten Herren als Protagonisten, sondern macht den Lesern auch deutlich, wie „schnell“ Zeit vergehen kann. 

 „Die Tür zur guten alten Zeit“ ist eine melancholische Geschichte über die Tatsache, dass man im Grunde niemals wirklich zurückkehren kann. Kindheitserinnerungen oder die erste Liebe wirken aus der Gegenwart rückblickend weniger verklärt und immer wieder schleicht sich beim Protagonisten während seines Jahrmarktbesuchs und einem besonderen an Ray Bradburys Geschichten erinnernden Jahrmarktstand das unbestimmte Gefühl ein, dass es doch am schönsten zu Hause ist. 

 In „Gravensteiner“ geht es um eine besondere Art der Flucht, während es in „Der Weg der Krieger“ die mentale Stärke ist, nicht den finalen Schritt zu gehen. Beide Miniaturen basieren auf Fantasyelementen, welche Sabine Frambach passend zum Grundthema der Anthologie umbaut. „Der Weg der Krieger“ ist eine der wenigen Miniaturen, in welcher das mögliche Nichtdurchschreiten einer Tür oder eines Tors Existenzen retten könnte.

 Manchmal handelt es sich wie bei „24 Türchen“ nicht einmal um klassische Storytexte, sondern die Ansammlung von Impressionen, die einen besonderen Adventskalender schmücken. 

 Wie Herausgeber Thomas le Blanc in seinem Vorwort herausstellt, ist „Türen“ ein Experiment im Rahmen dieser empfehlenswerten Reihe. Es ist nicht das Erste. Dadurch nutzen sich unabhängig von den manchmal sehr exzentrischen, aber nach der Lektüre auch faszinierenden Prämissen die Strukturen nicht ab. Positiv ist, dass sich Sabine Frambach mit ausschließlich Erstveröffentlichungen ihrem Thema angenommen hat.

 Durchgehend ist die Qualität der Miniaturen mindestens zufrieden stellend bis sehr gut. Nicht immer kann sie die Pointen vor den Lesern verheimlichen. Manchmal ist es auch die extra Würze, wenn der Leser mehr weiß als die Protagonisten. Das Themenspektrum von Märchen über in erster Linie gotischen Grusel zur Fantasy oder Science Fiction ist derartig breit, dass es viele Geschmäcker treffen wird. Alle Geschichten/ Miniaturen sind stilistisch ansprechend geschrieben worden und in mehrfacher Hinsicht ist „Türen“ eine andere, aber nicht weniger empfehlenswerte Miniatur aus dem Hause der „Phantastischen Bibliothek Wetzlar“.   

PMTueren

Heft DIN A 5

78 Seiten

Phantastische Bibliothek Wetzlar