Tödlicher Auftrag

Joe Haldeman

Joe Haldemans neuer nur semifuturistischer Thriller „Tödlicher Auftrag“ ist einer russischen Puppe vergleichbar. Jede Hülle, die der Leser stellvertretend für den allgegenwärtigen Protagonisten aufmacht, entpuppt sich als weitere Schale auf der Suche nach dem Kern. Der Originaltitel „Work done for Hire“ strahlt besser als der plumpe deutsche Titel die Ironie zwischen den Zeilen aus, die aber auf beiden relevanten Handlungsebenen in einem nicht gänzlich befriedigenden Schluss gipfelt.  Der Protagonist Jack Daley erhält zwei Auftragsarbeiten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Zum einen soll er für einen noch zu produzierenden Film eine Romanvorlage schreiben, die ambivalent als Drehbuch genutzt werden könnte. Zum anderen erhält er den Auftrag, einen Unbekannten mit einem modernen Gewehr zu erschießen. Es gibt noch einen dritten, sehr viel versteckteren Auftrag in dem Roman. In Jack Daleys Roman wird ein fast mittelloser Detektiv und Ex- Anwalt von einem der Väter des Opfers des psychopatischen Massenmörders/ Aliens namens „Jäger“ angeheuert, diesem Verrückten eine Falle zu stellen und ihn zu töten.

Alle drei Aufträge entwickeln sich nach dem Prinzip des Zufalls, werden über eine gewisse Zeit fortgeschrieben und dann mehr oder weniger fallen gelassen. Wenn an einer Stelle Joe Haldemans fiktives Alter Ego von Lustlosigkeit allerdings angesichts ungewöhnlicher Umstände spricht, dann lässt es sich ohne Probleme auf den ganzen Roman übertragen, der als Ausgangspunkt das Konzept einer Novelle sehr stark extrapoliert und rückblickend ausschaut, als habe der Autor aus zwei unterschiedlichen Konzepten eher bemüht/ verzweifelt als geplant einen Roman zusammenzubauen gesucht.  Frustrierend ist, dass einer der Beauftragten nach einem ausführlichen Rückblick auf sein eher gescheitertes Leben förmlich aus dem Buch verschwindet und nicht offen als Köder agiert. In einem hektisch abgeschlossenen Zwischenkapital taucht er dann im Hintergrund noch einmal auf, während Haldeman schon auf den obligatorischen Epilog eines mittelklassigen B- Films zusteuert und die Auftaktszenen anscheinend vergessen hat.  An einer anderen Stelle wird Daley in ein Krankenhaus eingeliefert und ans Bett gefesselt. Wie gut, dass es hilfsbereite Krankenschwestern mit entsprechenden Werkzeugen gibt, deren Pläne/ Absichten vielleicht auf der letzten Seite erläutert werden, deren Handlung aber nur in einer unwirklichen Konstruktionen einen Sinn macht.  Der Hinweis auf ein Telefon mit Wählscheibe, der eine offensichtliche Spur öffnet, könnte rückblickend Absicht auf Seiten der Antagonisten gewesen sein, macht aber auf der anderen Seite nur mit viel Hoffen/ Harren Sinn. Einige Passagen wie diese wirken zu roh, zu wenig nachhaltig in den Roman eingearbeitet, um als Ganzes überzeugen zu können.

Es ist sinnvoll, mit dem Ende des Buches anzufangen, ohne die Plot technischen Details zu verraten. Auf der letzten Seite versucht der Autor während des Höhepunkts die ganze Romanhandlung zu erläutern und Teile des bisherigen Geschehens zu relativieren. Dabei wirkt dieser ganze Komplex leider aufgesetzt und unglaubwürdig. Ohne Zweifel standen Stephen King, Robert Sheckley und andere Autoren Pate. Ohne Frage wollte sich Joe Haldeman auch kritisch über bestimmte Medienexzesse äußern. Aber anstatt dieses Subgenre sinnvoll zu ergänzen, ist er im Grunde auf die Fallstricke hereingefallen und bietet einen unglaubwürdigen Kompromiss an, dem eine ideelle Grundlage wie in den beiden signifikanten Romanen David G. Comptons sowie der entsprechenden Verfilmung.  Joe Haldeman bewegt sich zu ambivalent in seinem überraschend fetischistischen Roman. Neben den ausführlichen Beschreibungen moderner Waffen sind es die kontinuierlichen Sexszenen zwischen Jack Daley und seiner Freundin Kit Majors, die dezent eher Wunschdenken als Realität sind. Zusammengefasst macht hart gesprochen in der präsentierten Form der Plot als Grundlage und nicht Vollzug einer neuen medialen Entwicklung keinen Sinn. Unbegreiflich erscheint auch, dass es nur einen Planer geben soll, der mittels zweier Handlanger eine derartig totale Überwachung anzustreben sucht. Wenn Haldeman wenigstens den Mut gehabt hätte, den keim des Verrats zu setzen und damit sich in gänzlich andere Gefilde zu bewegen, dann wäre das Geschehen phasenweise glaubhaft und nachvollziehbar. So wirkt der rudimentäre Plot enttäuschend und ohne Frage ist „Work done for Hire“ im vorliegenden Mantel tatsächlich eine weitere Auftragsarbeit.          

   

Bevor auf die handelnden Personen eingegangen warden soll und kann, ist es sinnvoll, den Hintergrund des Buches zu beleuchten. Joe Haldeman bewegt sich kriegstechnisch auf dem Niveau des Vietnamkrieges mit Anspielungen auf  den Irak- und mit Einschränkungen Afghanistan Feldzug.  Technisch gesehen findet der Krieg gegen den möglichen Terror nur aus der verzerrten Perspektive eines Veteranen statt. Der Feind bleibt gesichtslos, wie es sich für Scharfschützen gehört.  Der Hintergrund wird kaum erhellt und der einzige Hinweis auf eine mögliche Zukunft ist, dass die USA wieder die Rekrutierung aller Jugendlichen eingeführt haben. Verweigerer erhalten eine Gefängnisstrafe, die allerdings wie mehrfach erwähnt kürzer ist als der Militärdienst.  Mit Ende des Vietnamkrieges 1973/ 1974 wurde allerdings die zwangsweise Einberufung in den Militärdienst in den USA eingestellt und zumindest gibt es in diesem Roman an keiner Stelle einen Hinweis, wann sie wieder eingeführt worden ist. Vielmehr erinnert dieser semiautobiographische Roman nicht an eine Joe Haldeman Arbeit der Gegenwart, sondern an ein altes, aus den siebziger Jahren stammendes Manuskript, das der Autor wenig effektiv auf die technologische Höhe der Gegenwart gebracht hat. Das könnte einige der antiquiert erscheinenden Verwicklungen und Hinweise besser erklären.  Nur Querverweise auf einen modernsten Autopiloten, der aber nicht in allen Wagen zu finden zu sein scheint sowie eine exotische Droge reichen nicht, um den Roman nachhaltig als „Science Fiction“ in Kombination mit einem „Thriller“ erscheinen zu lassen.

Die Figur des Jack Daley erinnert ohne Frage an Joe Haldeman und die autobiographischen Züge sind unverkennbar. Dienst im Kriegsgebiet, Verwundung, Auszeichnung und Rückkehr in die USA. Erste Erfolge als Schriftsteller, wobei „Der ewige Krieg“ nicht sein Debüt gewesen ist. Während Daley zwei Bücher über seine Zeit als Scharfschütze geschrieben hat, die von der „Times“ unter anderem verrissen worden sind, bevor er diese literarische Auftragsarbeit übernommen hat, verfasste Haldeman erst eine Art semidokumentarische Abrechnung mit dem Titel „War Year“ und dann vor seinem Durchbruchsroman unter dem Pseudonym Robert Graham zwei Roman um „Attar, the Merman“. Seine Abrechnung mit dem Krieg „1968“ verfasste er erst neun Jahre nach dem Beginn seiner literarischen Karriere. Beide Männer sind aber vom Krieg gezeichnet und stehen der Gewalt, dem Morden ablehnend gegenüber.   Während die offensichtlichen Fakten stimmen, wirkt Jack Daley allerdings teilweise als phlegmatischer Wunschtraum eines alten Joe Haldemans.  Seine Beziehung zu seiner Freundin – immerhin sind die beiden schon ein Jahr zusammen – erscheint eher wie die Liebelei mit einer Zufallsbekanntschaft, die auf Sex aufgebaut ist. Haldeman kann keine Chemie zwischen ihnen aufbauen und angesichts der sich später entwickelnden offensichtlichen Gefahr reagiert Daley fast stoisch bis dummdreist. An vielen Stellen hat der Leser das Gefühl, als nehme der Charaktere berechtigt die Gefahr nicht ernst. Daleys Alltag wird bis ins kleinste Detail beschrieben und der Roman nimmt erst nach gut einem Drittel des Umfangs ein wenig an Fahrt auf. Ausführliche Beschreibungen von Fahrradtoruren, die nur rudimentär in einem Zusammenhang mit der Auftragsarbeit stehen, obwohl hier die Planungen offensichtlich in andere Richtungen gingen, füllen die schleppende Handlung im entscheidenden ersten Drittel des Buches atmosphärisch nachvollziehbar, aber in dieser Fülle ermüdend auf. Daley liebt Alkohol und bemitleidet sich zunehmend mehr. Obwohl er einen gigantischen Vorschuss erhalten hat und ihm im Verlaufe seiner „Reise“ durch die USA   immer wieder „Geld“ findet, erscheinen seine Reaktionen nicht natürlich genug.   Auch Daleyss Vorgehensweise ist stellenweise ambivalent. Als seine Freundin entführt wird, um ihn hinsichtlich eines politischen Attentats – hier bleibt alles absichtlich vage – zu motivieren, will er die Aufmerksamkeit der ländlichen Polizei auf sich lenken, obwohl er anscheinend unter ständiger, nicht näher erläuterter Überwachung steht.  Joe Haldeman gelingt es nicht, Daleys Figur zugänglicher, emotionaler zu machen. Diese Schwäche zeichnet auch einige seiner anderen Romane im Gegensatz zu wirklich originellen und solide präsentierten Ideen aus, aber dieser „Thriller“ braucht einen lebendigen Charakter mehr denn je als eine fiktive, teilweise ermüdende semiautobiographische Selbstabrechnung ohne Überzeugung.  An manchen Stellen möchte man Daley über sein Trauma aus dem Krieg hinaus schütteln und ihm zeigen, dass nicht nur er es im Leben schwer hat. Auf der anderen Seite könnte Haldeman das perverse Spiel als eine Katharsis ansehen, die schließlich Daley zu einem fürsorglichen zukünftigen Vater macht und ihn in ein bürgerlich langweiliges Leben überführt.       

Seine Freundin Kit Majors erscheint eher aufgeweckt bodenständig, intelligent und sexuell in mehrfacher Hinsicht aktiv. Sie wird erstaunlicherweise von den Ereignissen weniger aus der Bahn geworfen als manche denken. Über die Beziehung zu ihren sehr konservativen Eltern hinaus erfährt der Leser wenig über sie. Sportlich schlank, eher bescheiden reizt sie plötzlich das Abenteuer.

Joe Haldeman versucht sich noch an einer Karikatur Hollywoods. Er selbst hat  ja neben seinen Arbeiten für „Star Trek“  Mitte der achtziger Jahre an einem Drehbuch für Stuart Gordons „Robotjox“ mitgearbeitet und dieser Frust scheint sich in der Schattenfigur seines Hollywoodproduzenten zu entladen, der als Figur eindimensional beschrieben wird. Leider unterminiert der Autor durch diese oberflächliche Vorgehensweise einen Teil seiner stark konstruierten Prämisse.

Der vierte wichtige Charakter ist „Der Jäger“ aus Haldemans/ Daleys Novelle, die er im Auftrag des Produzenten geschrieben hat. Der Roman muss schon sehr weit in der Zukunft spielen, um dem Leser glaubhaft zu machen, dass Daley mit diesem Kannibalen Stoff den Hauch einer Chance im Kino oder Fernsehen hätte. Es wirkt auch unglaubwürdig, dass Daley im Grunde drauf los schreibt, ohne zumindest die Grundidee abgestimmt zu haben. Vor allem wirkt der fiktive Stoff bis auf die brachialen Exzesse, die ekelerregend überzogen über das Ziel hinausschießen und die Wirkung dieses Drehbuchs fast negieren.  Daley/ Haldeman bleiben ambivalent und der Leser muss  sich entscheiden, ob diese Figur ein Nachkomme von „Fettsack“ aus der Feder Rex Millers oder wirklich ein zu einfach geschmiedeter außerirdischer Roboter ist, der auf der Erde gestrandet erscheint. Die Passagen gehen in ihrer explizierten Beschreibung außergewöhnlicher Gewalt vielleicht fast zu weit, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Sollte es eine Satire hinsichtlich der gegenwärtigen Splatterexzesse sein, ist sie auf den ersten Blick nicht zu erkennen.

 „Work done for hire“ ist leider einer der schwächsten Haldeman Romane der letzten Zeit. Als Autor hat der Amerikaner immer wieder bewiesen, dass er aus einfachen, vielleicht sogar bekannten wie abgenutzten Ideen neue originelle und kraftvolle Stoffe zaubern konnte. Beim vorliegenden Text wollte der Autor auf zu vielen Hochzeiten tanzen und hat erst am Ende eine zu scharfe Kurve zur potentiellen Grundidee seines Plots ziehen können, die rückblickend nicht überzeugend genug erscheint. Diese Fokussierung auf die Pointe funktioniert eher bei Novellen. Zu dieser Schwäche kommt hinzu, dass ausgerechnet auch der fiktive Text ähnlich überstürzt und schwach endet.  Diese Doppelung wird begleitet von einer Reihe von roten Nebenfäden, die buchstäblich im Nichts enden und unbearbeitet erscheinen. Stilistisch ordentlich, von Michael Iwoleit adäquat übersetzt  ist „Work done for Hire“ leider eher der Rohentwurf eines Romans als eine abgerundete zufriedenstellende und vor allem mit Herzblut geschriebene Arbeit.

  • Broschiert: 300 Seiten
  • Verlag: Mantikore; Auflage: 1. (22. Januar 2014)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3939212458
  • ISBN-13: 978-3939212454
  • Originaltitel: Work done for hire
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