Clarkesworld 175

Neil Clarke (Hrsg.)

Neil Clarke geht auf verschiedene, für dieses Jahr noch geplante Projekte in seinem Vorwort ein. Der fünfzehnjährige Geburtstag im Oktober 2021 wirft seine Schatten voraus. Andrew Liptaks „Wagon Train to the Arctic“  geht auf verschiedene Ideen der Science Fiction ein, wobei Liptak in vielen Punkten sehr vage bleibt und die ökologischen Anspielungen eher eingeworfen als wirklich integriert erscheinen.

Zwei Interviews finden sich in dieser „Clarkesworld“ Ausgabe.   Harry Turtledove spricht über seine Anfänge und die Länge seiner Karriere. Arley Sorg stellt die richtigen Fragen und erhält einen Einblick in Turtledoves Vorgehensweise. Sehr viel interessanter ist Bo- Young Kim. Eine junge koreanische Autorin. Das Gespräch wird geführt von Gord Sellar und Jihyun Park. Kim geht nicht nur auf ihre literarische Karriere ein, sondern vor allem auch auf die besondere Situation im koreanischen Buchmarkt. Das Gespräch ist ebenfalls sehr ausführlich, gibt aber zusätzlich wie angesprochen einen sozialen Einblick in ein Land, das vor allem im Westen mehr Aufmerksamkeit gewinnt, aber deswegen nicht gleich verstanden wird.

Sieben Geschichten inklusiv einer Übersetzung bilden den Kern dieser Ausgabe. Dabei reicht das Spektrum von im Grunde Miniaturen bis zu einer Novelle.

Ray Nayler eröffnet mit „Sacrophagus“ den April. Es ist eine klassische Science Fiction Geschichte. Ein Explorer hat quasi eine Kopie von sich per Laser zu einem neuen, 300 Lichtjahre entfernten Planeten geschickt. Seine Kollegen sterben allerdings alle bei seiner Ankunft. Er muss die unwirtliche Landschaft durchqueren, bevor die Energie in seinem Anzug schwindet. Hinzu kommt, dass anscheinend zwar alle menschlichen Explorer ums Leben gekommen sind, aber hinter den Gletschern der Eiswelt doch etwas auf ihn wartet. Ray Nayler nutzt allerdings die Klischees des Genres und entwickelt seinen Plot mit einigen kleineren inhaltlichen Überraschungen, aber generell entlang der Survivallinie solcher Geschichten weiter. Der Transport mit dem Leser ist vielleicht gewöhnungsbedürftig, da dem Leser nicht klar wird, das tatsächlich eine Art Original transportiert wird. Ray Nayler wickelt den Plot aber mit einer überraschenden Pointe zufriedenstellend ab. Die Atmosphäre ist stimmig, das Tempo hoch, auch wenn Ray Nayler seinem geschundenen Protagonisten nur des Kaisers alte Kleider frisch aufgebügelt umhängt.  

Noch eine zweite Geschichte spielt auf einem fremden Planeten, auf dem jemand strandet. Chen Qians „Catching the K Beast“ ist aus dem Chinesischen überstezt worden. Ein Alienjäger strandet auf dem Planeten Lamo,wo sie eigentlich das K Beast suchen und fangen wollen. Wie in der berühmten Philip K. Dick Geschichte kann diese Bestie insgesamt zwölf Minuten in die Zukunft schauen, was technisch eine Gefangennahme unmöglich macht. Die Jäger lernen die einheimische Sprache innerhalb von zehn Tagen.  Die Einheimischen bieten ihre Hilfe an. Im Grunde wird der Plot nicht zufriedenstellend zu Ende geführt. Es gibt auch keinen echten Zusammenhang zwischen Einheimischen und der Bestie.  Der Hintergrund wird spärlich entwickelt. Die Übersetzung ist holprig und der Text wurde zu wenig lektoriert. Der Spannungsbogen ist hektisch und die Grundidee wird im Gegensatz zu Philip K. Dicks „Minority Report“  abschließend ignoriert. Es ist schade, dass die Autorin  so wenig aus einem vor allem gängigen Thema macht.     

Endria Isa Richardsons „The Field Tiger” ist eine der Miniaturen, die nicht funktionieren. Der vage Plot um eine dystopische Gesellschaft und quas einen Mann auf der Flucht wird durch Einschübe in Computercode unterbrochen.  Stilistisch eher expressiv als zusammenhängend versucht die Autorin die Hintergründe mit kurzen plakativen Details zu beleuchten. Ein Handlungsbogen ist nur rudimentär feststellbar.

Sehr viel besser ist die zweite Miniatur „A House is Not a Home“ von L. Chan. Sie erinnert an eine der besten Geschichte Ray Bradburys „There Will Come Soft Rains“. Der Plot wird aus der Perspektive einer künstlichen Intelligenz erzählt, die ein inzwischen leeres Haus bewacht. Der Bewohner ist mit Gewalt weg geschafft worden, ohne das die Intelligenz weitergehende Informationen hat. Bradburys Geschichte ist eine seiner besten und damit gleichzeitig auch eine der besten des Genres. Diesem Vergleich hält L. Chans Text selbst als Hommage nicht stand. Auch wenn die Autorin andere Wege gehen möchte, ist die Miniatur stimmungstechnisch überzeugend, aber inhaltlich zu kompakt geschrieben, zu wenig aus sich selbst heraus originell, um länger im Gedächtnis zu bleiben. 

Andrea Kriz „Communist Computer Rap God” leidet unter der überambitioniert auftretenden Autorin, die sich in ihrer Geschichte um einen YouTuber namens Fabian und seine künstliche erschaffene „Persönlichkeit“ Communist Computer Rap God. Eigentlich soll diese expressive Persönlichkeit die Aufmerksamkeit der Zuschauer wieder auf seinen Youtube Kanal lenken.  Da kein Übersetzer angegeben worden ist, scheint es sich um eine Amerikanerin zu handeln und nicht wie der Name, aber auch der Vorname ihres Helden implizieren eine deutschsprachige Autorin. Ihr Stil ist egal welches ihre Muttersprache ist, sehr expressiv. Sie versucht mit Jargon Ausdrücken en vogue zu sein. Die eigentliche Handlung ist rudimentär entwickelt.  Die Protagonisten eindimensional und eher unsympathisch. Eine Auflösung gibt es leider nicht. Wieder eine schwächere Geschichte, die unausgereift wirkt. Wobei der Titel phantastisch ist.    

Dean- Paul Stephens „Ouroboros“ ist nicht nur wegen des gigantischen zylindrischen Raumschiffs, sondern wegen der Gesamtlänge des Textes der Dreh- und Angelpunkt dieser „Clarkesworld“ Ausgabe.  Menschen befinden sich nicht mehr an Bord. Aber künstlichen Intelligenzen basierend auf menschlichen Vorlagen. Sie verbringen ihre Zeit damit, nach nichtmenschlichen Intelligenzen im All zu suchen oder existentielle Diskussionen zu führen. In einem Punkt sind sie weiterhin menschlich, sie brauchen Schlaf. Mehr als dreitausendfünfhundert Jahre sind sie inzwischen von ihrem Ausgangspunkt „Omega“ unterwegs im All. Zu Beginn der Novelle erreicht das Raumschiff gerade einen bewohnbaren Planeten. Er ist bewohnt, was ihrer Mission einen gewissen Sinn gibt.   

Der Autor konzentriert sich lange auf die philosophischen Diskussionen, die wie der Titel der Novelle im Grunde ein sich selbst fressender Wurm sind. Sie führen zu keinem Ergebnis. Keine der Seiten gibt nach. Vieles bleibt vage und für künstliche Intelligenzen reagieren sie ausgesprochen „menschlich“. Auf der einen Seite schränkt der Autor ihre Fähigkeiten deutlich ein, auf der anderen Seite wird immer wieder betont, wie anders sie wirklich sind. Diese Widersprüche nutzt der Autor, um künstliche Konflikte zu erzeugen, welche die Handlung aber nicht einen Deut voranbringen und vor allem langweilig wirken.

Viele Ideen werden angerissen, aber nicht wirklich vollendet. Unter diesem Manko leiden eine Reihe von Geschichten, aber in diesem Fall ist es doppelt ärgerlich, weil umfangtechnisch ausreichend Raum ist, um neben den endlosen Diskussionen auch den Plot voranzutreiben. Wenn die menschlichen K.I. schließlich auf die Fremden treffen, sind sie unsympathisch und im Grunde intellektuell egoistisch, das den Leser diese Begegnung nicht mehr sonderlich interessiert.

“The Sheen of Her Carapace” von  Richard Webb spielt ebenfalls auf einem fremden Planeten. Das Raumschiff Perseverance besucht ohne dass der Leser den Hintergrund weiß diesen Planeten. Die Geschichte ist die einzige in dieser "Clarkesworld", die aus der Ich- Perspektive erzählt werden. Es gibt keine originellen Ideen oder Hintergründe. Vor allem hat Richard Webb kein echtes Gefühl für das Sujet. Ein fremder Planet, möglicherweise sogar ein außerirdisches Volk . Und da schickt man keinen Spezialisten, sondern einen einfachen Kanonier, welcher die Geschichte den Lesern erzählt. Schon die Ausgangsprämisse ist unglaubwürdig. Zumal sich anscheinend an Bord des Raumschiffs auch noch Spezialisten befinden.  Richard Webb greift auf eine Reihe von Füllbegriffen zurück, mit denen er das Skelett seiner langweiligen Geschichte aufblähen möchte.

Auch wenn das Titelbild der im Grunde kleinen Jubiläumsnummer von "Clarkesworld"  einladend gestaltet worden ist, handelt es sich um die bislang schwächste Nummer des Jahres 2021. Keine wirklich innovativen Geschichten oder Themen. Dazu kommen stilistische Schwächen, die der Leser vor allem von den amerikanischen Autoren nicht gewöhnt ist.

 

cover

E Book, 112 Seiten

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