Der Pontifex

Karla Weigand

Karla Weigand veröffentlicht mit „Der Pontifex“ keinen klassischen utopischen Roman, sondern wie sie selbst auf dem Titelbild schreibt, eine Projektion. Seit 2005 hat sie unter ihrem richtigen Namen eine Reihe von historischen Romanen veröffentlicht.

Betrachtend man die Titel, so spielen immer wieder Frauen eine wichtige, vielleicht sogar die gewichtige Rolle. Bei „Der Pontifex“ konzentriert sich die Autorin vordergründig auf eine „männlich“ dominierte Gesellschaft, das schlechte Gewissen, der Mittler zum Leser und vor allem die erste Person, die einen Wahnsinn in der Methode erkennt ist allerdings eine Frau.

Wichtige Aspekte von „Der Pontifex“ basieren auch auf historischen Fakten, so dass ihre bisherige literarische Arbeit ihr in diesem Punkt auf jeden Fall zu Gute kommt.  Zwei Bände mit phantastischen Geschichten erschienen ebenfalls unter ihrem Namen, während sie für die Heftroman und Taschenhefte auch zusammen mit ihrem Mann Jörg Weigand verfasst verschiedene Pseudonyme wählte.

Wie erwähnt ist „Der Pontifex“ der eine Projektion, eine machtpolitische Spielerei, deren Wurzeln im 19. Jahrhundert liegen.  Der Klappentext wirkt sehr viel reißerischer als es dieser kompakt entwickelte Roman verdient. Allerdings erwartet Karla Weigand im ersten Drittel des Buches auch ein wenig Geduld vom Leser.

Auch wenn die Handlung im Jahre 2039 beginnt, ist kein technischer Fortschritt festzustellen. Der Autorin konzentriert sich den ganzen Plot betrachtend auf einzelne gegenwärtige soziologische und politische Extrapolationen und zeichnet das Bild einer Welt, die nicht von Amts wegen friedlicher geworden ist, sondern sich irgendwie an den religiösen Konflikten, den Diktatoren und vielleicht auch den soziologischen Strömungen erschöpft hat. Reduziert der Leser das politische Bild der Autorin alleine auf die Anspielungen hinsichtlich Deutschlands, dann agiert sie wie ein pragmatischer Optimist, welcher der Ansicht ist, dass sich vieles besser regeln lässt, wenn unfähige Politiker oder machtgierige Opportunisten ignorant über die Details hinwegschauen. Damit propagiert die Autorin keine Chaostheorie, sondern nutzt auf der einen Seite die vorhandenen rechtsstaatlichen Möglichkeiten bei ihrer Projektion, impliziert aber auch auf der anderen Seite, dass zum Beispiel die Flüchtlingswelle  auch sehr viele gut inzwischen integrierte und gut ausgebildete, lernwillige Menschen nach Deutschland gebracht hat.

Dreh- und Angelpunkt des Buches ist die Wahl eines neuen Papsts. Nachdem man sich auf keinen Kandidaten aus dem asiatischen Raum einigen kann und vor allem die Italiener im Grunde niemanden außerhalb Italiens akzeptieren, wird ein anziehender, charmanter, charismatischer und vor allem entschlossener Schwarzafrikaner gewählt, der sich zwar um die armen Menschen kümmert, aber nicht aus armen Verhältnissen kommt.

Relativ schnell beginnt er sich allerdings ohne den großen frischen Wind im Vatikan zu etablieren. Auf der einen Seite muss er weiterhin gegen eine Reihe von Dogmas ankämpfen und sich bei brisanten Themen wie dem Missbrauch von Jugendlichen durch Kirchenvertreter auseinandersetzen, auf der anderen Seite allerdings verfolgt er eine Art Langzeitplan, ein Vermächtnis seines Urgroßvaters, der unter der Knute der deutschen Kolonialherrschaft gelitten hat.

Karla Weigand zitiert immer wieder auf den von einer Generation zur nächsten weitergereichten Aufzeichnungen der Ahnen, in denen es um das unmenschliche Knechtschaft der Sklaven nicht nur durch die dominierenden Weißen, sondern vor allem auch deren farbigen Handlangern geht.

Ein anscheinend dilettantisch ausgeführter Anschlag auf eine Wunderquelle droht den labilen Frieden zwischen Moslems und Christen zu zerbrechen. Ein Nährboden für einen Papst, dessen Ziel nicht das Wohl, sondern die Vernichtung der katholische Kirche und damit auch der weißen westlichen Welt ist.

Diesen Aspekt des Plots treibt Karla Weigand auf mehreren Ebenen voran. Es ist nicht nur der Wolf im Schafspelz, der Rache für Verbrechen nehmen will, die mehr als einhundertfünfzig Jahre zurückliegen. Auch andere, durch dessen Wahl brüskierte wichtige Mitglieder der Kirche sehen eine Chance, mit einer Art christlichen Terrormiliz die Moslems zu provozieren und damit eine neue Art des Glaubenskriegs auszulösen. Zum Wohle der aus ihrer Sicht nicht mit Mitgliedertechnisch stagnierenden Kirche.

Im letzten Drittel fließen diese einzelnen Handlungsbögen vielleicht ein wenig zu simpel angesichts der umfangreichen Extrapolation zusammen und werden aus einer gänzlich anderen, zu diesem Zeitpunkt absolut überraschenden Quelle abrupt im übertragenen Sinne abgeschnitten. Vor allem ist der Papst zumindest aus der Perspektive der Leser in viele Vorgänge nur bedingt eingebunden. Es ist, als wenn der katholische Terror eine Art Eigenleben beginnend auf der kleinsten Gemeindeebene zu entwickeln beginnt. Unterstützt von den Männer mit den ganz besonderen Missionen im Auftrage des Herrn. Zumindest aus der verzerrten Sichtweise des Vatikans.      

Und dann beendet die Autorin den Roman im Grunde konsequent, aber auch sehr unbefriedigend. Ihre Botschaft ist klar. Die katholische Kirche möchte den im Grunde inzwischen degenerativen Status Quo und damit das eigene Image erhalten. Es geht nicht mehr um den Glauben, um die Hilfe für die Armen, sondern die eigenen Pfründe soll um jeden Preis gemästet werden. Zwar legt Karla Weigand den neuen Mächtigen im Vatikan ein Ei ins Nest, aber diese fatalistische Note lässt den Roman noch mehr wie eine theoretische Projektion, aber keine lebendige Spekulation erscheinen. Es ist schade, dass viele sehr gute Aspekte ihres Handlungsaufbaus und vor allem ihrer provozierenden Denkweise hinsichtlich der Auswirkungen eines neuen terroristischen Religionskrieges nicht auf die bittere Spitze getrieben werden.

Auf der emotionalen, charakterlichen Ebene befriedigt der Roman über die ganze Länge mehr. Wie erwähnt ist es die attraktive Geliebte des Papstes, Monica Mbeke, die mehr und mehr an Profil gewinnt und vor allem als eine der ersten augenscheinlich erkennt, dass ihr Geliebter schwer krank ist. Sie fühlt sich von den langen grausamen Schatten der Vergangenheit erdrückt und wird vor eine Herausforderung gestellt, die sie schließlich nicht umsetzen muss. Auch in diesem Punkt wirkt die Extrapolation herausfordernder und vor allem intellektuell stimulierender als die abschließende, leicht auch wie eine „Deus Ex Machina“ Lösung erscheinende Auflösung. Karla Weigand unterstreicht in diesem vorliegenden Thriller aber noch einmal nachdrücklich, dass sie vor allem überzeugende, dreidimensionale und vor allem vielschichtige Figuren entwickeln kann.

Der Pontifex, Pabst Leo der XIV. geht im Laufe des Buches verloren. Zu Beginn wird seine für viele überraschende Wahl beschrieben. Seine ersten Amtshandlungen; seine inneren Konflikte und Zweifel. Mehr und mehr kristallisiert sich heraus, dass er im Herzen kein Gläubiger und vor allem auch den Maximen der Kirche folgend nicht einmal ein Christ ist. Viel mehr ist er ein Getriebener, der von den Schatten seiner Vorfahren buchstäblich erdrückt wird. Sein Plan ist ambitioniert und herausfordernd, die Umsetzung wird allerdings eher delegiert. Und im Rahmen der Handlungserweiterung rückt der charismatische Mann mehr und mehr in den Hintergrund. Gore Vidal ist in seiner Satire „Messiah“ den umgekehrten Weg gegangen und hat sich im Laufe der Handlung sehr viel mehr auf den falschen Propheten konzentriert.

Natürlich ist die Ausbildung eines Attentäterteams; das Heranzüchten von katholischen Selbstmordattentätern ein wichtiger Bestandteil des Romans, aber die Balance geht verloren und vor allem wirkt Karla Weigand hinsichtlich des Themas Verführung der Jugendlichen zum Selbstmord mit dem Versprechen von ewigen Leben im Jenseits ein wenig überfordert. Manches wirkt mechanisch, zu distanziert erzählt und vor allem wie die beiden anderen Spannungsbögen am Ende fast erleichtert angesichts des Extrapolation und vor allem auch der Ambition des Autorin zu simpel abgeschlossen.

Vom Ausgangsthema; dem Hintergrund mit dem schwindenden Einfluss der Kirche und dank des neuen farbigen Papsts einer dogmatischen Globalisierung der Marke katholische Kirche verzweifelt auf der Suche nach Möglichkeiten, den Schwund an Kirchenmitgliedern zu stoppen und schließlich der Idee, dass dieses Mal die andere, die aus Sicht der Europäer makellose Seite zu zündeln anfängt, handelt es sich bei „der Pontifex“ um einen interessanten im Grunde nur durch die Jahreszahl als futuristisch einzuschätzenden Thriller, der aber leider am Ende zu abrupt, zu glatt und ein wenig zu konstruiert abgeschlossen wird.    

Der Pontifex: Eine Projektion

  • Herausgeber : Fehnland Verlag; 1. Edition (10. Mai 2021)
  • Sprache : Deutsch
  • Broschiert : 476 Seiten
  • ISBN-10 : 3969711649
  • ISBN-13 : 978-3969711644