Forever Magazine 82

Neil Clarke (Hrsg.)

Neil Clarke philosophiert in seinem Vorwort nicht nur über den Herbst und sogar einige Cons mit Besuchern, sondern gibt einen kleinen Ausblick auf das nächste, hoffentlich bessere Jahr.

Die erste der beiden Kurzgeschichten ist „Ruminations in an Alien Tongue“ von Vandana Singh, die in allen wichtigen „Year´s Best“ Anthologien vertreten gewesen ist. Der Protagonist geht durch eine Zeitschleife auf einer fremden Welt. Dort trifft er immer wieder auf die gleiche Frau. Für sie kommt er aber immer aus einem anderen Universum. Wie viele von Singhs Geschichten ist die Science Fiction Prämisse im Grunde eine Art Katalysator, um sich auf der emotionalen zwischenmenschlichen Ebene mit Beziehungen und nicht selten auch deren Scheitern auseinanderzusetzen. Dabei verlangt die Autorin ausgesprochen hohe Aufmerksamkeit von ihren Lesern und bietet an keiner Stelle eine Lösung  oder gar Erklärung an. Wissenschaftliche Hintergründe interessieren die Wissenschaftlerin nur bedingt und sie dienen ausschließlich als Mittel zum Zweck. Diese Vorgehensweise ist bei einigen ihrer Arbeiten auch störend, da vor allem im Bereich der Science Fiction gegen die Naturgesetze zu argumentieren arrogant und selbstverliebt erscheinen mag. Bei der hier vorliegenden Geschichte dient die Zeitschleife genau wie bei den entsprechend bekannteren Filmen wie „Und täglich grüßt das Murmeltier“ nur als Anstoß, damit der Protagonist auf eine ungewöhnliche Art und Weise eine Liebe findet und sie natürlich lange Zeit auch jeden Tag wieder verliert. Der Abschluss der Geschichte ist zufriedenstellend und vor allem im Gegensatz zu vielen anderen thematisch vergleichbaren Arbeiten nicht vom ersten Moment an zuckersüß.

Die zweite der drei ausschließlich aus der Feder von Frauen stammenden Geschichte ist Lettie Prells „The Three Lives of Sonata James“, eine Tor Original Onlinegeschichte. Die Protagonistin Sonata will in einem kypernetisch perfektionierten Chicago der Zukunft relative Unsterblichkeit erlangen, in dem sie ihr Bewusstsein in einen Cyborg übertragen lässt.

Auch wenn die Grundidee dem Leser aus einigen anderen Werken vertraut vorkommen mag, betrachtet die Autorin das Thema aus einer etwas anderen Perspektive. Ab welchem Moment ist die Idee der Unsterblichkeit im Vergleich zu einem intensiv gelebten Leben wichtiger oder unwichtiger? Sonata James ist auf den ersten Blick ja nicht nur ein Mensch, der anders weiterleben möchte. Sie ist auch eine Künstlerin, die ihren sozialen Abdruck in der Gesellschaft durch den Wechsel in einen Roboterkörper aufgeben könnte oder müsste. Die Zwangsläufigkeit dieser Entscheidung wirkt ein wenig konstruiert, aber sonst würde der Plot nicht funktionieren. Im Gegensatz zu einigen anderen Autoren verzichtet Lettie Prell nicht auf eine markante Position hinsichtlich ihrer Protagonistin. Sie muss nachhaltige Entscheidungen treffen und anschließend auch mit den Konsequenzen leben. Das macht den besonderen Reiz dieser Geschichte aus und hebt sie auch inhaltlich vergleichbaren Texten positiv heraus.

Die Novelle  „Books of the Risen Sea“ von Suzanna Palmer stammt aus dem Jahr 2017. Das Thema der steigenden Meeresspiegel ist aktueller denn ja. Negativ ist, dass die Autorin einen einzigen Handlungsstrang erstaunlich stringent und manchmal alle Klischees bedienend erzählt. Die Schurken sind austauschbar. Es könnten auch Indianer, Banditen aus einer Karl May Geschichte oder die von Dennis Hopper angeführten Piraten aus „Waterworld“ sein. Alles erscheint schematisch. Es ist aber die einzige Schwäche dieser emotional sich zwar immer wieder am Rande des Kitsches bewegenden, aber trotzdem eindrucksvoll interessanten Novelle.

Die Wasserspiegel sind extrem gestiegen und haben ganze Siedlungen überflutet. Caer lebt alleine in einem teilweise überfluteten Haus, einer ehemaligen Bücherei. Er hat es in den letzten Jahren mehr und mehr nicht nur gegen die Fluten, sondern auch die Mitmenschen gesichert. Sein einziges Hobby ist die  Restauration von alten Büchern. Zu seiner Umgebung hat er nur wenig Kontakt, wird auch nicht von den meisten Menschen akzeptiert. Seine Einöde wird das erste Mal durch einen Roboter gestört, den Caer aus dem Wasser zieht. Der Roboter ist keine künstliche, aber eine mechanische Intelligenz mit eigener Sprache und fähig zum Eigenständigen handeln. Er liebt auch Bücher.

Durch den Überfall auf die naheliegende Siedlung muss Caer in der Nacht mehrere für ihn schwere Entscheidungen treffen. Er nimmt seine schwangere Schwester auf, später auch ihren Mann. Die Gemeinschaft beginnt ihn zumindest indirekt zu akzeptieren, da er der einzige Mann ist, der sich mittels einer primitiven Schleuder gegen die gut bewaffneten Banditen zu wehren weiß. Auch wenn er für jede Hilfsaktion sich immer wieder neu überwinden muss, agiert er abschließend nicht nur entschlossen, sondern auch entsprechend konsequent.

Aber diese Coming- of-Age Geschichte ist nicht unbedingt ein relevantes Bestandteil des Plots. Die Autorin impliziert zwar, dass Caer von der Gemeinschaft nicht als vollwertiges Mitglied anerkannt wird, aber Caer hat auch kein entsprechendes Interesse an einer Aufnahme in die kleine Gruppe von Überlebenden. Er will seine Ruhe haben und in die Bücherwelt verschwinden. Berührend ist, mit wieviel Liebe er die Bücher in der feuchten Meeresluft zu restaurieren sucht, wie er sich aber auch von einigen unvollständigen Werken verabschieden muss, um zusammen mit dem in seinem Haus Gestrandeten zu überleben. Jede Entscheidung von der Bergung des Roboters bis zur finalen Konfrontation ist ein mühsamer innere Kampf, was den Reiz dieser auch atmosphärisch ungemein schönen Novelle ausmacht.

Suzanne Palmers Charaktere leben. Nicht immer ein für den Leser nachvollziehbares Leben, aber ihre Handeln werden nicht selten indirekt gut begründet und sind jederzeit für den Leser in der jeweiligen Situation auch akzeptabel und nachvollziehbar.

Auch wenn der Plot vielleicht wie eingangs erwähnt ein wenig zu simpel gestaltet worden ist,  hat sie den Hintergrund ihrer Geschichte ohne alles mit Details zu erdrücken sehr schön entwickelt. Der Leser fühlt sich in diesem rauen Klima nicht wohl, aber Suzanne Palmer zeigt auf, dass es ein Überleben unter diesen klimatischen Extremsituationen basierend auf den Resten der untergegangenen Zivilisation durchaus geben kann. Daher lädt die Novelle zu weiteren Abenteuern ein. Vielleicht muss man „Books oft he Risen Sea“ eher als eine Art Einladung betrachtend, als ein geöffnetes Tor denn als hintergrundtechnisch gänzlich alleinstehende Geschichte.    

Die vorletzte Ausgabe des Jahres 2021 ist eine überzeugende Zusammenstellung dreier thematisch sehr unterschiedlicher Geschichten von drei Autorinnen, die gut wie packen  erzählen können. 

Forever Magazine Issue 82 ebook by Neil Clarke,Suzanne Palmer,Lettie Prell,Vanda

E Book, 122 Seiten

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