Als fünfter Band der Herbert W. Frankes Werksausgabe erscheint der 1962 veröffentlichte Roman „Die Stahlwüste“. Wie die beiden Herausgeber am Ende des Werksausgabe festhalten, handelt es sich um die inzwischen siebente Ausgabe des Romans. Die letzten vier Veröffentlichungen inklusive des E Books im Heyne Verlag basierten auf der von Herbert W. Franke überarbeiteten Fassung.
Der österreichische Wissenschaftler ist niemals ein Mann des geschwungenen Wortes gewesen. Seine Romane wirkten immer ausgesprochen kompakt und nicht agierte der Leser ausschließlich auf Augenhöhe der Protagonisten. Die Pointen kamen für ihn genauso überraschend wie für die gequälten Protagonisten.
„Die Stahlwüste“ skizziert ein Szenario, in dem es zu einem begrenzten taktischen Atomkrieg gekommen ist. Auch wenn es radioaktive Wüsten und zerstörte Städte – darauf weist der Titel hin – gibt, hat ein Teil der Menschheit nicht nur überlebt, sondern konnte sich einen gewissen Lebensstandard erhalten. Inzwischen stehen sich zwei verfeindete Lager gegenüber. Auf der einen Seite Amerika und auf der anderen Seite ein vereintes Europa, wobei Herbert W. Franke in einem Punkt vage bleibt. Ist ganz Europa inklusiv der ehemaligen Ostblockstaaten vereint? Die Hinweise sind vage. Auf der anderen Seite Amerika, das sich vom Rest der Welt abgeschottet hat. Wirtschaftlich stehen die USA besser da und politisch ist deren Demokratie durch eine wehrhafte Oligarchie mit weiterhin Unternehmen als treibende Kraft abgelöst worden. Europa schickt immer wieder Kommandounternehmen in das amerikanische Mutterland, die dort nicht nur Spionage, sondern aktive Sabotage verüben sollen. Eine dieser Missionen von drei Männern begleitet der Leser zu Beginn der Geschichte.
In einem Krieg ist es immer schwer, Täter und Opfer zu unterscheiden. Die eindringenden Europäer machen ihren Standpunkt relativ schnell klar. Amerika hat sich besser vom Krieg erholt als die vereinigten europäischen Länder. Die Mission dient der Sabotage und auch der Tötung von Unschuldigen. So sollen sie an einem der Dämme eine Bombe anbringen, welche die darunter liegenden Städte mindestens schwer beschädigt. Auch wenn sie gegenüber den ein wenig naiven amerikanischen Helfern die Mission als Abhöraktion hinsichtlich eines Präventivschlags der Amerikaner tarnen, die unter dem Damm eine wichtige Atomraketenbasis haben. In Vorbereitung auf die Mission erkunden sie die Gegend. Die Arbeit in den Vereinigten Staaten leben zwar einfach, müssen aber nicht hungern. Rassismus ist allgegenwärtig, so muss eine der weiblichen Helfer einen Farbigen küssen, um ihn abzulenken und dann zu betäuben. Das geht für die Weiße nur mittels eines erotischen Aufputschmittels.
Bislang hatten die Europäer auch mit einigen radikalen Organisationen in den USA Kontakt, deren Forderungen wie bei den Waffenfirmen fast absurd erscheinen. Die Waffenfirmen sind bereit, den Feind im Krieg gegen das eigene Land nicht nur gegen Bezahlung, sondern im Fall eines Sieges ganze Landstriche in den USA zu unterstützen. Auch wenn Franke nicht näher auf die Details eingeht, macht er deutlich, was er von diesen durch und durch kapitalistischen Opportunisten hält.
Die Verhandlungen mit einem wichtigen Vertreter der Waffenlobby und die Entdeckung zweier der drei Europäer in unmittelbarer Nähe des Privathauses eines der führenden Vorstandsmitglieder beenden auch den ersten wichtigen Abschnitt des Buches, in dem die drei ausgeschickten Saboteure aus ihrer allerdings falschen Sichtweise das Heft des Handelns in der Hand haben. Ab diesem Moment sind sie ausschließlich zum Reagieren gezwungen. Am Ende des Romans kehrt Herbert W. Franke noch einmal auf das Thema zurück. Der Roman wird durch einen langen Mitschnitt, eine Art Hörspiel aufgeteilt. Nicht nur die Leser, sondern auch der überlebende Agent Ralph werden vom Autoren geschickt manipuliert. Sollte diese „historische Aufzeichnung“ echt sein, dann unterstreicht sie, das die Waffenlobby immer und überall ohne Gewissen oder moralisch politischer Rücksichtnahme ihr Geld verdient. Nicht umsonst unterstreicht Herbert W. Franke zynisch, dass weniger der Krieg per se, sondern die Waffenproduzenten die Stiefväter des Fortschritts sind.
Gegen Ende überschlagen sich in mehrfacher Hinsicht die Ereignisse. Das abschließende Ziel ist klar definiert. Herbert W. Franke zeigt auf, wie sehr vor allem der Agent Ralph in einer Art Rattenkäfig gefangen ist. Zwar schließt sich für ihn ein relevanter Lebensabschnitt an dem Punkt, an welchem er zumindest kurzzeitig zurückgekehrt ist, aber der Protagonist ist am Ende ein ganz anderer, vielleicht im übertragenen Sinne sogar eine Art neuer Mensch.
Der Druck, zumindest zwei Ereignisse zu wiederholen, lässt das Buch nach dem „Bruch“ mit der gestohlenen Aufzeichnung auch unrund erscheinen. Herbert W. Franke sucht das perfekte Gefängnis für politische Gefangene und initiiert quasi auch eine Befreiung. Aber diese klassischen Science Fiction Passagen wirken vor allem heute altbacken und hinterlassen viel mehr Fragen als der Autor beantworten möchte oder kann. Es kommt zu einem Widerspruch zwischen dem darnieder liegenden Europa und entsprechenden Expeditionen weit über den technischen Hintergrund der bis dato von Franke skizzierten Welt hinaus.
Noch einen weiteren Handlungsbogen möchte der Autor beenden. Ralph befindet sich schon während der ersten Mission auf einer Art Rachefeldzug. Sein letzter vor der Romaneröffnung spielender Auftrag ist gescheitert, seine Mitagenten wurden getötet. Er sieht die Verantwortlichkeit bei einem bestimmten Aufseher, einem Amerikaner und will diesen töten. Auch während der zweiten in diesem Buch beschriebenen Mission ist dieses Sekundärziel weiterhin aktiv. Franke versucht Ralph als eine Art besonnenen Racheengel zu beschreiben, wobei die europäischen Agenten in diesem Fall die Aggressoren sind. Auch wenn die Amerikaner mit ihrem allgegenwärtigen Kapitalismus nicht unbedingt sympathischer sind und ihre vor allem politischen Gefangenen auch gut zu entsorgen wissen, gehen sie nicht direkt gegen die Vereinigten Staaten von Europa vor.
Diese Ambivalenz erschwert eine abschließende Beurteilung der überwiegend pragmatisch beschriebenen Protagonisten und ihrer Hintergründe. Alleine der Abstecher zu den Verbannten mit einer Mischung aus „Flash Gordon“ Ideen und Robinson Crusoe Umsetzung in einer unwirtlichen Umgebung lässt die Protagonisten menschlicher und zugänglicher erscheinen. Diesen Abschnitt beendet Herbert W. Franke mit einem Husarenstreich Ralphs, der unterstreicht, dass er sich in Gemeinschaften einfügen und deren Hilfe auch zurückgeben kann.
Im direkten Vergleich zu seinen frühen sozialkritischen und antiutopischen Romanen ist „Die Stahlwüste“ eher der Versuch, einen futuristischen Agententhriller aus einer intellektuellen Perspektive zu schreiben. Viele Versatzstücke wie die Geheimaktionen; das Agieren hinter den feindlichen Linien; die entsprechende Gefangennahme und Folter sowie das in der Theorie ausbruchssichere Gefängnis sind Versatzstücke des Genres, die Franke effektiv, aber stellenweise auch ein wenig zu stark konstruiert nutzt. Wie alle frühen Franke Romane ist das Buch ausgesprochen kompakt geschrieben worden und eine Sympathieebene zu den Protagonisten lässt sich eher schwerlich aufbauen. Für einen Herbert W. Franke verfügt der Roman allerdings auch über ein interessantes Happy End, an dessen Ende die emotionale Wahrnehmung Ralph positiv in eine für ihn wieder fremde Zukunft schauen lässt.
Science-Fiction-Roman
SF-Werkausgabe Herbert W. Franke, Band 5
hrsg. von Ulrich Blode und Hans Esselborn
AndroSF 60
p.machinery, Murnau, April 2016, 184 Seiten, Paperback
Softcover – ISBN 978 3 95765 061 0 – EUR 10,90 (DE)
Hardcover (limitierte Auflage) – ISBN 978 3 95765 062 7 – EUR 18,90 (DE)