Das Bronzetor

Manuel Romero de Terreros y Vinent, Marques de San Francisco

Der Herausgeber und einfühlsamer Übersetzer Detlef Eberwein hat insgesamt elf phantastische Geschichten des mexikanischen Autoren Manuel Romero de Terreros y Vinent, Marques de San Francisco zusammengestellt. Es handelt sich neben einem Büchlein mit kurzen Theaterstücken aus dem Jahr 1956, um die einzige Veröffentlichung des 1880 geborenen und 1968 verstorbenen Autoren. Das Hauptwerk des ebenfalls als Wissenschaftler agierenden Autoren bestand aus sekundärliterarischen Studien über Kunst und Architektur des Kolonialzeit in Mexiko. Viele dieser Forschungen sind indirekt und niemals belehrend, sondern informierend in die etwas längeren Kurzgeschichten dieser Sammlung mit eingeflossen. Die Erstveröffentlichung dieses Geschichtenbandes erfolgte schon 1922. Detlef Eberwein hat auch die individuellen Widmungen einzelner Storys für die deutsche Ausgabe übernommen und dem Band ein schlichtes optisches Aussehen geschenkt, das aber in einem starken Kontrast zur Qualität der einzelnen Texte steht.

Die Titelgeschichte „Das Bronzetor“ ist eine der Geschichten, deren Plot im kirchlichen Umfeld beginnt. Ein reicher und die Kunst liebender Kardinal setzt sein Testament auf. Der einzige Erbe scheint vor vielen Jahren in der Neuen Welt verschollen. Kaum geht es um das Einsetzen des Erben, steht der Verschollene vor der Tür. Der Kardinal beginnt zu erkranken und stirbt schließlich. Der Erbe wird aber auch nicht lange glücklich. Es ist nicht das einzige Mal, das die Schatten der Vergangenheit weit in die Gegenwart reichen und direkt oder vielleicht auch nur durch das schlechte Gewissen des Verursachers Katastrophen auslösen. „Das Bronzetor“ ist die perfekte Eröffnungsgeschichte und  rückt  die Stärken des Erzählers gleich ins richtige Licht. Er legt Wert auf eine stimmige Atmosphäre; Details werden für die Länge der Texte ausführlich, aber auch prägnant beschrieben. Vielleicht ist die Pointe nicht nur bei dieser Geschichte für aufmerksame Leser vorhersehbar, aber sie ist immer passend und präsentiert keine aus dem Nichts konstruierten Auflösungen.

„Ein praktisch denkender Mensch“ hat eher einen realen Hintergrund. Die Arbeitslosigkeit zwingt einen Mann bei dem Pater Verwalter um Arbeit zu betteln. Der Autor beschreibt den Pater als einen Pedanten und Geizkragen. Er gibt dem Arbeiter aber einen Brief für einen befreundeten Pater mit. Die Pointe ist pragmatisch, konsequent, zynisch und beinhaltet das übernatürliche Element dieser Geschichte.

Nicht jeder der Texte enthält phantastische Elemente. Diese Storys wie „Similia similibus“ sind dann auch lustiger, atmosphärisch nicht so bedrückend. Ein schwerkranker Mann findet im Grunde sich schon mit dem nahenden Krebstod abfindend einen Homöopathen, der ihm zwei Sorten von Tabletten verschreibt. Innerhalb einer Woche soll er gesund sein. Die Heilung tritt ein. Der Heiler wird reich und verrät sein Geheimnis. Es soll aber bis zu dessen Tod bewahrt werden. Auch hier kann ein aufmerksamer Leser die Pointe erahnen, aber es ist die Zeichnung des ein wenig naiv gezeichneten Ich- Erzählers, welche den Reiz dieser Geschichte ausmacht.

Die Schatten der Vergangenheit kehren in einer der längsten Arbeiten der Sammlung „Der alte Herr“ zurück. Der Erzähler reist mit einen Freund auf dessen Hazienda. Die Familie ist eine der Reichsten des Landes.  Im Hof befindet sich die seltsame Statue eines Mannes. Sie wird jedes Jahr gestrichen, aber niemals schwarz. Der Besucher hört erst jede Nacht ein seltsames Husten, später kommt das Miauen von anscheinend hunderten von Katzen hinzu. Die Statue hat natürlich mit diesen nächtlichen Störungen zu tun. Dabei reicht der Plot weit in die Vergangenheit, in die Zeit der Inquisition zurück. Das Ende unterstreicht, dass der Aberglaube wahrscheinlich basierend auf einem Zufall doch kraftvoller ist als es viele Menschen glauben wollen.

„Die Truhe“ ist eher eine Miniatur. Auch hier sind die phantastischen Ideen eher impliziert, setzen sich vielleicht aufgrund der Stimmung in der Phantasie der Leser zusammen. Ein alter Mann sitzt in seinem auch durch das brennende Feuer weiter kalten Zimmer und denkt über sein Leben nach. Die Truhe ist die einzige Hinterlassenschaft des Vaters,  bislang hat er sie nicht öffnen können. Plötzlich steht der Deckel auf, darinnen nur ein Brief. Die Auflösung verweigert der Autor nicht nur dem Leser, sondern auch seinem Protagonisten. Am Ende ist alles wie am Anfang und doch ganz anders.  Auch „Tristis imago“ geht es vor allem um Erinnerungen, die mit den Eltern oder besser in diesem Fall der Mutter verbunden sind. Wieder scheinen die Toten den Lebenden Botschaften zu hinterlassen. Bei „Die Truhe“ wird der alte Mann niemals den wahren Inhalt erfahren, in „Tristis imago“ ist es eine Warnung vor den Mitmenschen.

„Die Schachspieler“ ist eine Geistergeschichte, die sich im Grunde auf einer Lüge aufbaut. Einen Jungen wird erzählt, das die Toten nachts aus ihren Grüften kommen und bis zum Verlesen der Messe in den Gewölben Schach spielen. Als Erwachsener kehrt er nach dem Tod der Eltern auf die Hacienda zurück. Er hat Kunstschätze aus der ganzen Welt mitgebracht, die er im Rahmen einer Feier präsentieren möchte. Sie werden in der Gruft ausgestellt. Dem gegenwärtigen  Verwalter traut er nicht. Auch wenn die Auflösung der Geschichte sich früh abzeichnend, ist „Die Schachspieler“ eine dieser typischen, vertrauten und trotzdem lesenswerten Geistergeschichten, wie sie seit Jahrhunderten erzählt werden, ohne das möglicherweise Übernatürliche überhaupt ansatzweise rational zu erklären zu suchen.

Die letzte Story der Sammlung „Der Papagei des Huitzilopochtli“ ist ein wunderbarer Abschluss der mystischen Geschichten dieser Sammlung. Der Erzähler wird in eine kleine Stadt entsandt, wo er für seinen Fürsten nach seltenen Dokumenten suchen soll. Auf seinem Balkon lässt sich ein farbenprächtiger Papagei nieder, den er erst besitzen und aufgrund des Nichterfolgs töten möchte. Alle anderen Ereignisse bauen auf dieser Begegnung auf.  Es ist eine phantastische Geschichte, in welcher die Legenden wahr werden. Dabei vermischt der Autor lateinamerikanische Mythen mit dem Glauben, vielleicht auch Aberglauben der alten Welt. Ohne die Stimmung mit detaillierten Erklärungen kaputt zu argumentieren,  sollte der Leser die sprachlichen Bilder auf sich wirken lassen.     

Eine inhaltlich klassisch, aber deutlich moderner als die Geistererzählungen zu betitelnder Text ist „Der Beruf des Reporters“. Der Erzähler berichtet anscheinend einem Reporter von seinen Fähigkeiten als Chirurg. Der Wahnsinn scheint mehr und mehr bis zum bitterbösen Ende durch. Der Autor erzählt die Handlung ausschließlich aus einer Perspektive. Die Reaktionen kommen aber gefiltert. Auf der einen Seite erzählt der Protagonist absolut subjektiv seine Ideen, auf der anderen Seite kann der Leser die Aktionen seines Umfelds verfolgen. Am Ende schließt sich der Kreis und der Leser muss auch den Titel der Story hinterfragen. 

Auch bei „Bruder Baltasar“ ist die Wahrheit im Auge des Betrachters zu sehen. Der Bruder glaubt, seine Fähigkeit zur Lithographie verloren zu haben. An dieser Trauer zerbricht er. Aber die Tatsachen sind ganz anders. Wie viele der hier gesammelten Geschichten offenbart sich die „Wahrheit“ erst durch die Augen Dritter.

„Der Hut des Königs von Tibotu“ ist eine Parabel. Der gerade verstorbene König vererbt sein Vermögen auf den ersten Blick ungerecht zwischen seiner Ehefrau und den drei Söhnen. Am Ende ist es der jüngste Sohn, der am wenigsten erbt und am meisten draus macht.           

Die insgesamt elf hier gesammelten Geschichten sind atmosphärisch und durch die gute Übersetzung Detlef Eberweins auch stilistisch von überdurchschnittlicher Qualität. Durch seine Arbeit als Kunstwissenschaftler ist es nicht verwunderlich, dass im Grunde alle seine prägnant gezeichneten Protagonisten ein Auge für die schönen Dinge im Leben haben. Im Alter erkennen sie, das reiner Besitz vergänglich sein könnte. Die übernatürlichen Elemente lassen sich in einigen der Texte auch als Einbildungen interpretieren. Diese pragmatische Vorgehensweise nimmt aber den Geschichten auch einen Teil ihres Reizes.

Wie bei Borges „Bibliothek von Babel“ öffnen derartige nicht despektierlich gemeint Bändchen dem  Leser ein Tor eine andere, in diesem Fall mexikanische Kultur abseits vom Mainstream, die mit sehr viel Liebe zum Detail zum Leben erweckt wird. Nicht alle Pointen überzeugen, manchmal sie sie auch bei den längeren Texten frühzeitig zu erkennen, aber in allen elf Texten ist die eigentliche Reise der größte Genuss.  

  • Herausgeber ‏ : ‎ BoD – Books on Demand; 1. Edition (29. Januar 2021)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 106 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3752658223
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3752658224
  • Das Bronzetor: Fantastische Erzählungen
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