Clarkesworld 186

Neil Clarke (Hrsg.)

Clarkesworld 186 

Während Neil Clarke in seinem Vorwort auf die Preisträger des Jahres 2021 eingeht, konzentriert sich Carrie Sessarego auf das Frauenbild in modernen Horrorfilmen. Die Autorin trägt selbst den Namen einer tragischen Horrorfigur. Dem Thema neue Aspekte abzugewinne ist schwer. Sie geht dabei geschickt vor, in dem sie erst die grundsätzlichen Aspekte von starken Frauen in Horrorfilmen definiert und anschließend auf einige eher unbekannte Beispiele des 21. Jahrhunderts eingeht. 

Zwei Interviews mit John Scalzi und Regina Kanyu Wang & Yu Chen führte Arley Sorg.  Die beiden aus China stammenden Frauen gehen nicht nur auf ihre Autoren und Herausgebertätigkeit ein, sondern auch auf die Schwierigkeiten, im Land der Mitte gegen den Strom in sozialer Hinsicht zu schwimmen. John Scalzi spricht ausführlich und nicht zum ersten Mal in “Clarkesworld” über den jeweils neuesten Roman, aber auch die Schwierigkeiten, die Erwartungen der Leser angesichts seines inzwischen umfangreichen Werkes zu erfüllen. 

Bei den folgenden acht längeren Kurzgeschichten fällt auf, dass es dieses Mal kein gemeinsames Thema gibt, der Humor sich aber mehr Raum schafft und Neil Clarke vor allem auf Novelletten zu Gunsten einer weiteren Kurzgeschichte verzichtet hat.  Aber in einigen der hier gesammelten Texte zeigt sich mehr und mehr eine kritische Grundnote gegen die sozialen Exzesse, den Kapitalismus oder die Vernichtung der Umwelt. 

Naomi Kritzer eröffnet die Ausgabe mit “The Dragon Project”. Humorvoll spricht ein Bioingenieur von einem besonderen Auftrag. Auch wenn es das Jahr des Tigers  möchten ihre Kunden mittels 3 D Drucker einen Drachen haben.  Nur weichen die Vorstellungen vom Kunden von der gängigen Definition eines Drachen ab. Naomi Kritzers Stärke einer absurden Handlung, angetrieben von pointierten Dialogen und vor allem einigen sozialen Seitenhieben zeigen sich in dieser kurzweilig zu lesenden Farce. 

Der Ton wird mit den nächsten Kurzgeschichten aber deutlich dunkler. E.A. Mylonas “Saturn Devouring His Son” könnte auf einem anderen Planeten spielen oder in einer anderen Zeit. Es sind alle klassischen Züge einer Tragödie vorhanden. Ein Mann kehrt fast gegen den eigenen Willen in den Heimatort zurück. Sein Vater ist verstorben. Der Ort wird von einer gigantischen Fleischverarbeitungsfabrik dominiert, dem einzigen Arbeitgeber.  Sicherheitsbestimmungen gibt es nicht. Nicht selten verlieren die Arbeiter Gliedmaßen in den wie Molochs erscheinenden Maschinen. Dafür stellt ihnen die Firma - wie sich herausstellt nur leihweise bis zum Tod - künstliche Arme oder Beine zur Verfügung. Alternativen gibt es nicht. E.A. Mylonas lässt zwar den zurückkehrenden Sohn als Außenseiter Argumente gegen die Firma suchen, aber fatalistisch hat sich die breite Masse in dieser lesenswerten Geschichte schon lange ihrem Schicksal ergeben. 

Während E.A. Myolonas den klassischen Kapitalismus angreift, konzentriert sich Ray Naylor auf die soziale Veränderung. In “Rain of Days” - der Titel bezeichnet sowohl die äußere Welt als auch den inneren Zustand der Protagonisten - beschreibt er das Leben von Senioren, die von Robotern gepflegt in einem abgeschieden in einem ehemaligen Leuchtturm bzw. dessen Anbau leben. Eine ältere Frau versucht sich an die inzwischen verstorbene große Liebe zu einer anderen Frau zu erinnern. Gedächtniskurse sollen ihr dabei helfen. Erinnerungen sind das einzige, was die Einwohner innerlich in der im Grunde Isolation am Leben hält. Wie auch bei E.A. Myolonas überzeugen vor allem die gut charakterisierten Protagonisten mit ihren alltäglichen kleinen oder auch großen Problemen.  

Tegan Moore zeigt auf, wie sehr die Menschen ihren Planeten und dessen komplexe ökologische Zusammenhänge mißverstehen und vor allem auch mißbrauchen. Ein Ökologe will in einem der berühmten Ozeanwelt Themenparks eine Rede halten. Anlass ist der Tod des letzten dort lange Zeit lebenden Wals der Erde. Die Holographien scheinen nicht zu funktionieren, was den Vortrag oder besser die Trauerrede noch gespenstischer erscheinen lässt.  Tegan Moore konzentriert sich nicht auf Vorwürfe, sondern zeichnet ein leider zu realistisches und damit auch provozierend unangenehmes Bild des menschlichen Verhaltens als buchstäblicher Elefant im ökologisch sensiblen Porzellanladen.     

Cal Ritterhoffs “Wanting Things” steht inhaltlich zwischen Naomi Kritzers Farce und den dunkleren Geschichte. Manches erinnert ein wenig an Thomas M. Disch Geschichte um den kleinen Toaster. Die künstliche Intelligenz eines Haushalts versucht sich mit den aus ihrer Sicht unlogischen Empfindungen und dem entsprechenden Verhalten ihrer frisch verliebten Hausherrin auseinandersetzen. Die künstliche Intelligenz beginnt sich nicht weiter läutert in einen Toaster zu verlieben. Dabei erlebt sie den Gefühlssturm, den der Mensch im Haus gerade erlebt, ohne diese Emotionen richtig einordnen zu können. Die eigentliche Maschinenliebesgeschichte wirkt albern und ist auch nicht ausreichend vorbereitet, aber die guten Dialoge inklusiv einer Reihe von Anspielungen überzeugen trotz oder vielleicht auch gerade wegen der vorhersehbaren Handlung.   

Priya Chand schlägt einen zu weiten Bogen. Kinder auf einen Generationenraumschiff erhalten immer die gleiche Litanei. Es soll sie auf bestimmte, aber ausgesprochen ambivalent beschriebene Katastrophen vorbereiten. Vieles bleibt in der ganzen Geschichte wage. Das rächt sich gegen Ende des Handlungsbogen, als neben der Genderdiskussion tatsächlich etwas geschieht oder weder die Protagonisten noch die Leser wirklich darauf vorbereitet sind. Vieles wirkt eher wie Stückwerk, wie eine Argumentationskette als eine wirklich in sich abgeschlossene Geschichte.  

R.T. Easter geht bei “Meddling Fields” in eine andere Richtung. Er packt zu viele Informationen auf zu wenigen Seiten zueinander. Anscheinend hat eine Kollision eines Meteoriten das Raumzeitkontinuum zerstört. Wie das technisch gehen soll, steht auf einem anderen Blatt. In einer dieser Ebenen leben die Meddlers, sie sprechen nur in einem inzwischen vergessenen Dialekt. Ein Inspektor soll untersuchen, ob Fragmente des Meteoriten von den Bewohnern vor der Öffentlichkeit versteckt worden sind. Es stellt sich nicht selten die Frage, ob es besser ist, wenige vielleicht auch bekannte Ideen gut herauszuarbeiten oder zu viel in die metaphorische Suppenschüssel zu rühren.  Die Ansätze sind interessant, auch die einzelnen Welten scheinen gut herausgearbeitet worden zu sein. Aber andere Passagen wirken wie die Entwürfe eher zu einem Roman als einer Novelle oder Novellette. Wahrscheinlich wäre es tatsächlich sinnvoller, den Meteoritenstein noch einmal auf den Anfang zu legen und den Plot als längere Arbeit ausführlicher und strukturierter neu zu beginnen. 

Auch die einzige Übersetzung “Commencement Address” von Arthur Liu leidet unter diesem fehlenden Fokus und einer wirren Handlungsführung. Dazu kommt die nicht zum ersten Mal statische Übersetzung durch Studenten. Postmoderne Stil, viele fragmentierte Ideen, keine Struktur machen den Text eher schwierig zu lesen. 

Generell ist “Clarkesworld” 186 eine eher solide Ausgabe mit einer Handvoll sehr guter Geschichten, aber auch zwei Texten, welche qualitativ nach unten ausbrechen. Eine Augenweide ist wieder das schöne Titelbild.

cover for issue 186

E Book, 112 Seiten

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