Die letzte Astronautin

David Wellington

Der 1971 in den USA geborene David Wellington ist vor allem durch seine rasanten Horror Romane bekannt geworden. Mit einer cineastischen Leichtigkeit revolutionierte er zwar nicht das Genre, aber sowohl bei den Zombies, als auch Vampire, schließlich arktischen Werwölfen konnte er Markierungen setzen. Seine Romane zeichnen ein hohes Tempo, wechselnde Perspektiven und zumindest auf der Protagonistenseite auch gut gezeichnete Überhelden beiderlei Geschlechts aus. Unter dem Pseudonym David Chandler hat der Autor drei Fantasy Romane verfasst. Zwei der drei Romane der  Science Fiction  “Silence Trilogie” veröffentlichte der Heyne Verlag unter dessen Pseudonym D. Nolan Clark. Daher ist “Die letzte Astronautin” nicht der erste Ausflug David Wellingtons in den Bereich der Science Fiction, wie der Klappentext des Piper Verlags urtümlich verkündigt. Es ist nur der erste Ausflug unter seinem richtigen Namen in dieses Genres. 

“Die letzte Astronautin” scheint angesichts des Endes ein Einzelroman zu sein. Über weite Strecken hat der Leser das Gefühl, als wenn er nicht einen Stoff aus David Wellingtons Feder, sondern eine moderne Interpretation der “big object” Bücher aus den siebziger Jahren liest. Arthur C. Clarke hat mit seinem prämierten “Rendezvouz with Rama” diese Schublade geöffnet, andere Autoren haben in sehr unterschiedlichen Variationen - siehe Frederik Pohls “Gateaway” - diesem Thema angenommen. Im letzten Drittel des Buches zeigt sich aber wieder ein echter David Wellington mit bizarren Aggressoren, einem hohen Tempo und Kämpfen buchstäblich bis aufs Blut. 

Im Groben wirkt der Plot allerdings sehr mechanisch. Sally Jansen war vorgesehen, die erste Frau auf dem Mars zu sein. Mit ihrer Crew war sie unterwegs zum roten Planeten, als die Systeme eine Störung in einem der Treibstofftanks anzeigen. Sie geht nach draußen und findet ein Leck. Schlimmer ist, dass anscheinend der unsichtbare Treibstoff schon in die Landekapsel eingedrungen ist und einer ihrer Mitastronauten inzwischen in unsichtbaren Flammen steht. Sie muss sich zwischen der Rettung eines Einzelnen und der ganzen Mannschaft entscheiden. 

Auch wenn sie offiziell keine Schuld bekommt, ist ihre Karriere bei der Nasa zu Ende. Sie beginnt ihr Geld als Tiefseetaucherin in einem abgeschiedenen Ort der Erde zu verdienen. Auch das ganze Programm der Nase wird eingestellt. 

Ein Wissenschaftler eines privaten Raumfahrt betreibenden Unternehmen - die Anspielungen sind deutlich zu erkennen - macht eine Entdeckung und offenbart sich der Nasa. Anscheinend ist ein von ihm lange beobachtetes Objekt künstlichen Ursprungs und nähert sich der Erde. Da es keine Möglichkeit der Kommunikation gibt, entschließt sich die Nasa im Wettstreit mit dem privaten Anbieter, ein Raumschiff aus der Mottenkisten zu holen. Die einzige in Frage kommende Astronautin ist Sally Jansen. Das wirkt zwar weit hergeholt, da sie im Raumfahrtprogramm ja niemals die einzige Astronautin gewesen und die potentiellen Konkurrenten mehr als eine Handvoll von inzwischen nicht mehr grundsätzlich diensttauglicher Männer und Frauen sein kann.    

Nach dem natürlich das Szenario etablierenden Prolog konzentriert sich David Wellington lange auf die Etablierung des fremden Objektes. Die private Firma ist schneller vor Ort, kann seine Astronauten an Bord des Raumschiffs bringen, was weitere Aktionen Sally Jansens eher schwierig macht. Opportunistisches Handeln ist angesagt. 

Mit dem relativ großen Flugkörper hat der Szenarist David Wellington relativ wenig Schwierigkeiten. An einigen Stellen hat der Leser das Gefühl, als dringen die Astronauten weniger in ein fremdes Raumschiff, sondern eher in die Unterwelt, die Kanalisation einer fremden Stadt ein. Manche Szene erinnert auch ein wenig an die ersten Zombie Romane aus seiner Feder. 

Hinzu kommt eine Reihe von Anspielungen auf bekannte Szenen. Neben dem Spiel mit der Orientierung und Schwerkraft inklusiv endlos erscheinenden Seilen statt Leitern (Clarkes Rama), findet sich eine Hommage an die Alien Filme (keiner der Astronauten zieht aktiv einen Vergleich) sowie abschließend die Idee des gigantischen Maules, des Monsters der Woche, das im plottechnisch richtigen Moment zuschlägt und manchmal die Helden aus einer lebensbedrohlichen Lage befreit. Schurken gibt es im Buch nicht, nur verzweifelte Menschen, welche auf unterschiedliche Art und Weise den Menschen helfen wollen. Selbst der verbohrte Militär mit der Idee, das Raumschiff schließlich mit einer Art Wunderwaffe direkt von der Erde abgeschickt zu vernichten, zeigt anfänglich menschliche Züge und versucht Chancen sowie Risiken etwas opportunistischer abzuwägen als seine Chiffrekopien aus diversen Hollywoodfilmen. 

Auch wenn David Wellington einen interessanten Biozyklus erschaffen und wirklich bizarre Kreaturen beschrieben hat, greift er abschließend auf Ideen zurück, welche eine Reihe von Autoren in unterschiedlichen Werken immer wieder beschrieben haben. Zwar gehört sein Buch in dieser Hinsicht in den Bereich des Biohorrors, aber zum Beispiel hat Colin Wilson mit den “Vampiren aus dem Weltall” eine ähnliche Prämisse aufgerufen. Natürlich ist die Menschheit in ihrer Existenz gefährdet, wenn das fremde Raumschiff die Erde erreicht. Natürlich zeigen die Visionen, dass es im Grunde nach einer möglichen Landung keine Möglichkeit gibt, die “Fremden” aufzuhalten. Die letzte Astronautin hat abschließend eine interessante Idee, in dem sie ihren Traum verwirklicht und gleichzeitig die Menschheit rettet. Aber viele dieser Handlungsabläufe im letzten Drittel des Buches wirken auch mechanisch. In typischer David Wellington Manier cineastisch überzeichnet und dramaturgisch auch überzeugend erzählt, aber in kleineren Variationen haben die Leser diese Szenarien schon zu oft gelesen, manchmal auch in diversen Fernsehserien auch am kleinen Bildschirm verfolgt. Es ist sicherlich schwierig, dem Thema des “big objects” neue Ideen abzugewinnen.  In einzelnen Szenen gelingt es dem Autoren gut, wobei anscheinend sein Lesepublikum eher breiter aufgestellt ist und er “Die letzte Astronautin” als futuristischen Thriller, aber weniger als klassische Science Fiction ansieht. 

Überzeugender ist die Zeichnung der Figuren. Auch wenn Sally Jansen fast mechanisch die Trettmühlen des aus Autoren Sicht Schicksals durchlaufen muss (Niederlage, Wiederauferstehung, Niederlage und fatalistischer Triumph) , wirkt sie gut abgerundet. Sie agiert nicht selten ihren Instinkten und nicht den Handbüchern folgend. Sie wird immer wieder vor die Entscheidung gestellt, den Einzelnen zu retten oder die Mission. Niederlagen nimmt sie schwer, auch wenn sie richtig gehandelt hat. 

Um Sally Jansen herum platziert der Autor mit der attraktiven Wissenschaftlerin, dem in sich gekehrten den Himmel beobachtenden Nerd und schließlich dem dickköpfigen pflichtbewussten militärischen “Berater” eine Reihe von pragmatisch gezeichneten Figuren, die alle zwei oder drei Szenen haben, in denen sie den Kopf aus dem buchstäblichen Sumpf herausheben dürfen. 

Das Raumschiff per se ist eine interessante, allerdings auch ambivalent beschriebene Schöpfung. Wie bei Arthur C. Clarkes Rama konzentriert sich der Autor ausschließlich auf die Beobachtungen und die Erkenntnisse der Astronauten. Weitergehende übergeordnete Erklärungen gibt es nicht. Während des Finals zeigt er aufgrund der Kommunikation mit den “Fremden” auf, als was diese ihre Umgebung betrachten und erweitert der Plot entsprechend. Natürlich lässt sich kritisieren, dass David Wellington wie Arthur C. Clarke im ersten “Rama” Romane das Potential des außerirdischen, in das Sonnensystem eindringenden Raumschiffs nicht gänzlich ausschöpfen und absichtlich vage bleiben. Das macht aber auch den Reiz der ersten Buchhälfte in beiden Fällen aus. 

David Wellington ist ein Autor, der rasant erzählen kann. Er weiß genau, wie der das Tempo seiner Bücher variieren muss, um den größtmöglichen Effekt zu erzielen. Dabei übersieht der oberflächliche Leser zufällig oder absichtlich einige Vertrautheiten der Handlung. David Wellington liefert Horror oder in diesem Fall futuristisches Lesefutter als reine kurzweilige Unterhaltungslektüre. In diesen Punkten überzeugt “Die letzte Astronautin” sogar deutlich mehr als eine Reihe seiner Horrorbücher, in denen David Wellington zu sehr den inzwischen eingeschliffenen Mechanismen seiner Schreibe vertraute und die provozierenden Elemente vermissen ließ.        

     

Bild von Die letzte Astronautin: Roman - Gebrauchtes Buch - Angebot zuletzt aktualisiert am: 21.03.2022 08:00. - David Wellington

€ 18,00 [D], € 18,50 [A]
Erschienen am 03.08.2020
Übersetzt von: Simon Weinert
480 Seiten, Klappenbroschur
Piper Verlag
EAN 978-3-492-70565-3