Irrgarten des Todes

Philip K. Dick

Uwe Anton hat den 1970 erstveröffentlichten Roman Dicks als das letzte offizielle Werk der zweiten Schaffensperiode bezeichnet. Bis auf eine Auftragsarbeit erschien vier Jahre lang nichts mehr vom Amerikaner. Erst mit dem allerdings schon in den frühen siebziger Jahren publizierten „Eine andere Welt“ kehrte Dick  1974 auf die Bühne zurück. Grundsätzlich hat Uwe Anton in seinem als Beigabe zur „Heyne SF- Bibliothek“ Veröffentlichung in seinem  Nachwort recht. Zum letzten Mal setzte sich Dick mit einer klassischen Zertrümmerung der Realität auseinander. Es gibt auch Hinweise auf das ominöse Buch, das neben dem Alternativweltroman in „Das Orakel vom Berge“ eine wichtige Rolle spielte.

In den späteren Arbeiten ging es mehr um die Suche nach einem anderen Schöpfer und eine Art Kommunikation mit Gott/ Valis  aber auch der Schaffung neuer Welten durch die Einnahme von Drogen. 

Die vierzehn Protagonisten in „Maze of Death“  können ausschließlich reagieren. Aber „Irrgarten des Todes“ – mehrmals im Heyne Verlag immer unter dem gleichen deutschen Titel erschienen und jetzt beim Fischerverlag neu publiziert – ist aber auch ein Rückgriff auf Elemente der ersten Schaffensperiode von Philip K. Dick.  Der Amerikaner nutzt klassische, vielleicht sogar klischeehafte Science Fiction Ideen, um sich nicht nur mit dem Unterschied zwischen der „Realität“ und der Wahrnehmung der Umgebung auseinanderzusetzen, sondern den schmalen Grat zwischen Zivilisation und Barbarei zu untersuchen.  Es ist vielleicht vermessen, von Dicks „Herr der Fliegen“ Interpretation zu sprechen, aber hinsichtlich der Auseinandersetzung mit einer brüchigen, sehr kleinen „Zivilisation“ auf einem anderen Planeten bzw. bei Golding auf einer isolierten Insel inklusiv der Themen Dominanz, Gewaltbereitschaft und schließlich auch der Auseinandersetzung mit dem Tod folgt Dick einigen Ideen Goldings und interpretiert sie positiv gesprochen auf seine eigene, für sein umfangreiches Werk auch typische Art und Weise.

Dick verzichtet in seiner Geschichte auf ein Vorspiel. Nicht selten hat der Amerikaner Spaß, die Realität seiner Mittelklasseprotagonisten sehr ausführlich zu beschreiben. In diese vor Augen der Leser etablierte „Realität“ wird eingebrochen. 

Bei „Irrgarten des Todes“ beginnt der Roman mit der Versetzung von anfänglich dreizehn freiwilligen Kolonisten auf den Planeten Delmak- O. Dick stellt die Figuren vielleicht nicht ausführlich da, macht ihre Motive wie Abenteuerlust und Langeweile in der bestehenden sozialen Struktur deutlich. Nicht jeder der vorgestellten Berufe ist bei der Gründung einer Kolonie notwendig. Auch erscheint der Genpool derartig begrenzt, das der Leser im Gegensatz zu den Protagonisten das Gefühl hat, es handele sich eher um eine Erkundungsmission als wirklich den Versuch, die Welt zu kolonisieren. Rückblickend machen nur vierzehn Menschen sogar Sinn, auch wenn die Ausgangsprämisse mehr Kandidaten tragen kann und wahrscheinlich auch trägt. Aber die Fokussierung auf eine kleine Gruppe von Menschen, nicht selten vor unterschiedlichen zusammenlaufenden Hintergründen ermöglicht es Philip K. Dick, die einzelnen Neurosen und Schwächen der Protagonisten nachhaltiger herauszuarbeiten.  

Alle Protagonisten – später kommt ein vierzehnter Charakter hinzu – landen in Ein- Mann - Kapseln bzw. das Ehepaar Morley gemeinsam in einer Einweg Rakete auf der Welt. Die Oberfläche des Planeten  ist akzeptabel, nicht paradiesisch, aber nutzbar. Relativ schnell fällt die Satellitenverbindung aus und die Kolonisten müssen auf sich alleine gestellt die Umgebung untersuchen.

Auf dem Planeten gibt es neben der von Dick eher skizzierten Flora und Fauna auch künstliche Gebilde, Würfel aus einer Art Gelantine. Sie können sich auch reproduzieren. Die Kommunikation erfolgt in Form von Anagramm, basierend bzw. an das „I Ching“ aus „Das Orakel vom Berge“ erinnernd. Vor einem großen Gebäude sieht jeder der Kolonisten über dem Eingang etwas Anderes. Eine Art persönliche Einladung. Nur das Eingreifen eines Kolonisten kann verhindern, dass sie einzeln durch die Tore gehen.

Ab der Mitte des Buches konzentriert sich Philip K. Dick auf eine Variante von Agatha Christies „And Then There Were None“. Die Protagonisten erleiden zum Teil grausame Tode. Diese werden nicht ausführlich beschrieben, aber sie bestimmen den dunklen Unterton des Buches.

Auf den letzten vielleicht zwanzig oder dreißig Seiten dreht Philip K. Dick den Plot noch einmal im Grunde auf links und offenbart eine verblüffende Lösung. Das Problem dieser „Lösung“ liegt in der Tatsache begründet, das Dick bekannte Ideen des Genres – siehe unter anderem Brian W. Aldiss oder Poul Anderson – benutzt, um eine Erklärung für die expiermentelle Kolonisierung des Planeten zu finden. Der Ton ist nihilistischer als bei Aldiss, später auch Gene Wolfe, aber die Intention des Autoren ist klar erkennbar.

Tritt der Leser nach der „enttäuschenden Auflösung“ einen Schritt zurück, findet er eine sehr intensive Auseinandersetzung mit zwei Themen, die sich durch das Werk des Amerikaner ziehen:  Religion und paranoide Isolation.

Die verschiedenen religiösen Aspekte konzentrieren sich vor allem auf eine bunte Mischung asiatischer bzw. buddhistischer Thesen. Christen und Juden finden keinen Einzug in das Buch. Das ist um so erstaunlicher, als das alle Protagonisten westlichen Ursprungs sind. Sowohl hinsichtlich ihrer Namen als auch Attitüde. Dick konfrontiert die vierzehn Menschen nicht nur mit dem „Tod“, sondern auch einer fremden Religion, die aus eher nichtssagenden Weisheiten besteht. Keiner der Sprüche kann den Protagonisten wirklich helfen, sie finden auch keine „Hoffnung“. In „Das Orakel vom Berge“ stellt zwar der Alternativweltroman einen Blick in eine andere Welt dar, aber die meisten Entscheidungen wurden nach der Befragung des eigentlichen Orakels getroffen. Die Protagonisten hatten zwar einen gewissens Interpretationsspielraum, aber sie haben aktiv um Rat gesucht. 

In „Irrgarten des Todes“ finden diese Befragungen nicht statt. Es folgen nach dem Orakelspruch zwar Diskussionen in der Gruppe statt, aber sie sind nichtssagend. Hinzu kommt, das Philip K. Dick seinen Bogen breiter spannt und die verschiedenen Religionsgemeinschaften quasi für den Leser erklären lässt.  

Trotzdem treffen die Protagonisten immer wieder auf Weisungen, vielleicht auch hilfreiche Tipps. Dabei bleibt offen, ob eine höhere Intelligenz, die “Außeridischen” mit ihren lebenden Häusern oder vielleicht sogar eine künstliche Intelligenz das Leben der Gestrandeten steuert. Offiziell ist die Satellitenverbindung nicht mehr in Betrieb zu nehmen.    

Da Dick aber diese Prophezeiungen meistens in den Rahmen der seltsamen lebenden Gebäude kleidet, bildet sich im Leser auch lange der Verdacht heraus, dass die Menschen inzwischen in einer Art kosmischen Zoo gehalten werden. Eine Idee, die Dick schließlich zu Gunsten eines anderen Szenarios positiv verwirft.

Isolation innerhalb einer Gruppe ist ein weiteres Thema des Buches. Dick verzichtet auf die sympathischen dreidimensionalen Mittelständler, die viele Romane seiner ersten und zweiten Schaffensperiode bevölkerten. Alle Figuren werden kurz skizziert, wirken aber eindimensional, unsympathisch bis zum Klischee der Nymphomanin, die mit den wenigen, aber allen Männern der kleinen Kolonie geschlafen hat. Auch wenn es in der Theorie notwendig ist, zusammenzuarbeiten, agieren sie gegenteilig. Spätestens in dem Augenblick, in dem einzelne Mitglieder der Gruppe auf brutale Art und Weise ermordet werden, zerfallen die letzten Strukturen, auch wenn Dick sich scheut, die Protagonisten gänzlich zu isolieren und damit weiter zu destabilisieren. Dick wirkt unentschlossen. Ohne die Interaktion zwischen den unterschiedlichen Charakteren würde das Tempo des Buches im „Sand“ des Planeten endgültig versiegen. Auf der anderen Seite braucht Dick die Isolation der Protagonisten von der „Erde“ durch das Unterbrechen der Satellitenverbindung, aber auch das immer stärker werdende gegenseitige Misstrauen, damit die Spannungskurve aufrechterhalten werden kann. Aber die Mischung stimmt nicht gänzlich zufrieden.

Einen Vorgriff auf die „Valis“ Romane unabhängig von dem ja erst 1974 eingetretenen „Ereignis“ in Dicks Leben stellt die Auseinandersetzung mit dem Tod dar. Den Protagonisten wird schnell klar, dass sie auf dem „Planeten“  sterben werden. Die Kolonisierung ist gescheitert. Am Ende wird Dick deutlich machen, wie früh diese Idee schon unter tragischen Umständen gescheitert ist. Am Ende des Handlungsfadens zeigt Dick aber auch auf, dass sich  die Menschen als Fanal der Hoffnung gottähnliche Kreaturen erschaffen haben, die ihnen den Weg nicht unbedingt ins Licht,  aber zumindest durch die Hoffnungslosigkeit und Dunkelheit zeigen sollen. Dabei versucht die kleine Gruppe, sich dem selbst geschaffenen, in diesem Fall auch künstlichen wie notwendigen Einfluss wieder zu entziehen, um eigene Entscheidungen zu treffen. Angesichts des Szenarios ein auswegloses Unterfangen und so endet das Buch mit einer ganz kleinen Variation, wie es angefangen hat. Diese Schleife unterstreicht den fatalistischen Unterton dieser seltsamen Mischung aus markanten und bekannten Science Fiction Elementen in Kombination mit Dicks einzigartiger Fähigkeit, im Grunde alles zu hinterfragen. Dabei muss der Amerikaner wie in vielen anderen seiner Bücher keine Antworten geben. 

Während Dick in vielen Büchern der ersten und zweiten Phase unabhängig von den absurden Plotwendungen Hoffnung verbreitet, setzt er sich zum ersten Mal intensiv wie nachhaltig mit dem Themen  Sterben und vor allem Tod auseinander. Das der Autor  dazu einen klassischen Agatha Christie Plot auf einen fremden Planeten übertragen hat, zeigt vielleicht die Hilflosigkeit, auf eine eigenständige und originelle Art und Weise das Thema zu extrapolieren. In diese Richtung zielt auch das finale Kapital, das Ende und Anfang in Form einer Moebiusschleife zu gleich ist. Auch wenn es brutale Tode gibt, auch wenn sich Dick mit der Idee des Sterbens auseinandersetzt, will er nicht glauben, dass der Tod das Ende einer Existenz ist. „Irrgarten des Todes“ macht deutlich, dass es nur Zwischenschritt ist. Etwas, das zumindest einige der vierzehn Protagonisten durchleben müssen, um es beim nächsten Mal im nächsten „Leben“ besser zu machen.

Das macht aus einer fatalistischen Geschichte wieder eine bizarre seltsame optimistische Story, in welcher sich die  typischen Dick Charaktere, die Realitäten ignorierend dem Schicksal nicht ergeben wollen.  

 

Irrgarten des Todes: Roman (Fischer Klassik)

  • Herausgeber ‏ : ‎ FISCHER Taschenbuch; 2. Auflage, Neuausgabe (27. April 2016)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 192 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3596905648
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3596905645
  • Originaltitel ‏ : ‎ A maze of death