Das Institut

Stephen King

Stephen Kings Roman „Das Institut“ ist wahrscheinlich der Roman, an  dem sich die Geister scheiden werden. Positiv ist an der ganzen Geschichte, das sich mit „Das Institut“ vielleicht ein Kreis schließt. Stephen King kehrt natürlich deutlich ausführlicher zu seinen früheren Romanen wie „Carrie“ und vor allem „Firestarter“ zurück. 

Auch wenn die ersten dreißig oder vierzig Seiten erst deutlich später mit der laufenden Handlung verbunden werden, zelebriert der Autor das Portrait des einsamen Helden wider Willen. Tim Jaimeson ist arbeitslos, ein ehemaliger Polizist aus Sarasota, der nach New York fliegen möchte. Er verkauft seinen Platz im Flugzeug an einen FBI Agenten und beginnt mit dem Geld durchs Land zu streifen. Schließlich landet er in einem verlassenen einsamen Kaff, das einen „Night Knocker“ sucht. Das sind die Männer und Frauen auf ihren unterbezahlen Patrouillen durch die Städte, um die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten.  Sie  tragen keine Waffen und sind nur selten so qualifiziert den Job wie  Jaimeson, der nicht nur ein einfacher Polizist gewesen ist, sondern auch früher den Spezialkräften angehörte. Er ahnt natürlich nicht, dass bald in dem kleinen Ort die Hölle losbrechen sollte.

Luke ist ein hochbegabter Junge aus einfachen Verhältnissen. Seine Eltern können ihn nicht auf eine teure Privatschule schicken. Eines Nachts wird bei Luke eingebrochen, seine Eltern erschossen und er entführt. Er findet sich zusammen mit anderen Kindern und Jugendlichen im Institut – Stephen King schreibt es immer in Großbuchstaben – wieder, wo die Forscher mit ihnen Experimente beginnen. Anscheinend geht es um paranormale Fähigkeiten, die vor allem durch die Verbindung der einzelnen Jugendlichen erwachen. Luke beschließt, aus dem Institut zu fliehen und durch  einen Zufall öffnet sich eine Tür. Sein Weg führt ihn direkt zu Tim Jaimeson, schwerbewaffnete Männer und Frauen mit SUVs im Gefolge.

In „Firestarter“ war auch ein Vater auf der Flucht vor geheimnisvollen Behörden, welche die Fähigkeiten seiner Tochter missbrauchen wollte. In „das Institut“ sind es eine Handvoll  Männer und Frauen alleine gegen die paranoid und vor allem unvorsichtig riskant agierende Abordnung des „Instituts“.  In „Firestarter“  wie auch „Das Institut“ ist es eine Flucht ins amerikanische Hinterland und schließlich die finale Konfrontation mit dem gesichtslosen Feinden, die im früheren Roman indirekt als amerikanische Handlanger definiert worden sind. Im 21. Jahrhundert muss „Das Institut“ größer sein, globaler. Anscheinend gibt es in vielen Ländern solche Institute, in denen die übernatürlichen Fähigkeiten der Kinder meistens mittels Folter herausgetrieben werden. Aber Stephen King kann es nicht lassen. Im Epilog muss er noch Philip K. Dick zitieren und greift auf ein Konzept zurück, das in dieser Art nicht funktionieren kann. Der potentielle Blick in die Zukunft könnte die Korrektur  der Vergangenheit ermöglichen. Auf der anderen Seite ist die Zukunft wie bei Dicks verfilmter Geschichte „Minority Report“ und zum Beispiel „Mozart für Marsianer“ noch nicht  geschrieben und damit durch die Vorhersehung auch veränderbar. Auch hier gibt es eine Organisation hinter der Organisation, welche den amerikanischen Traum im Visier habend seit Jahrzehnten, vielleicht auch Jahrhunderten und für die kommenden Äonen den Staat schützt, in dem Minderheiten „gefoltert“ werden. Das Ende von „Das Institut“ wirkt bemüht. Stephen King möchte  seine Geschichte größer machen als sie eigentlich sein müsste. In „Under the Dome“ – ein weiterer Roman, der den Überhang vom Horror zur Science Fiction im letzten Kapitel nicht vertragen hat – hat Stephen King das Gegenteil gemacht und seinen Plot verkleinert. 

„Das Institut“ ist nicht nur wegen dieser Anspielungen weniger ein klassischer Stephen King Roman, sondern vor allem eine unnötige Wiederverwendung von bekannten Ideen in klassischer, manchmal auch bemühter Stephen King Erzählmanier. Alles ist vorhanden: Es finden sich Referenzen von George R.R. Martins „Game of Thrones“ Serie über die Breaker aus der Serie um den dunklen Turm bis zu den X-Men und einem natürlich verrückten Xavier, der seine Opfer foltert und lieber tötet, wenn er sie nicht mehr verwenden kann. Die Idee, eine Schule für paranormale Kinder zu führen und einen Selektionsprozess zu betreiben ist wahrlich nicht neu. Neben den „X-Men“ gibt es diese Idee in zahlreichen SF- Büchern, beginnend mit der dunklen Geschichte „These are the Damned“, wo  Kinder mittels radioaktiver Strahlung auf das Leben nach dem Atomkrieg vorbereitet werden. Auch „The Children of the Damned“ könnte teilweise als Vorlage dienen.  Diese Vertrautheit wirkt sich nicht nur negativ auf den Plot aus, der ganze Roman wirkt mangels dreidimensionaler  Charaktere bis auf den Überpolizisten auf dem Lande langweilig und schematisch.

Stephen King ist kein Autor, der eine Idee verkommen lässt. Anscheinend hat er sich in einem Interview mit der NY Times einmal geäußert, das die Grundidee von „The Institute“ wirklich mehr als zwanzig Jahre alt ist. Die ursprüngliche Ansatz war die Untersuchung des kindlichen Widerstands gegen die Obrigkeit. Luke ist 12 Jahre alt. Im „Institut“ trifft er auf Kalisha, die mit ihren 10 Jahren Gedanken lesen oder vielleicht auch nur erahnen kann. Avery ist eine Art Mittler.  Er kann die Kräfte der anderen Kinder bündeln und verstärken. Luke ist möglicherweise ein Telekinet.

Es gibt noch viele weitere Kinder an dieser Schule und ihre Fähigkeiten  werden erläutert. Aber sie bleiben gesichtslos, wobei am Ende mittels eines Kreises das Taschengeld besorgt wirkt. Es ist eine der wenigen wunderlichen Szenen, in denen der Plot nicht nur auflebt, sondern Stephen King wie in seinen früheren Romanen Magie mit dem Alltäglichen verbindet. Die drei Jugendlichen agieren wie Kinder aus dem 20. Jahrhundert. Es ist schwer erklärlich, aber das Leser hat das unbestimmte Gefühl, als wenn Stephen King in diesem Buch den Kontakt zu seinen jugendlichen Lesern verloren hat und / oder ein altes Manuskript überarbeitete. Auch wenn die Interaktion der Kinder in der Anstalt überzeugend wirkt, agieren sie wie unter der kritischen Beobachtung weniger der Ärzte oder der paranoiden Führungsebene, sondern im Brennpunkt der  Leser, die sich die alten Stephen Kings zurückwünschen (und sie mit diesem Buch auch erhalten), aber sich inzwischen als Leser und Menschen auch weiterentwickelt haben. Vieles wirkt bemüht und die grausamen Experimente in die laufende Handlung eingesetzt, damit klar wird, wer die Helden sind – die Kinder zusammen mit einem einsamen „Night Knocker“ – und wer die Feiglinge sind – alle Angehörigen des Instituts.

Die Kinder entwickeln sich beginnend mit Luke in die richtige Richtung. Sie nehmen ihr Leben in die Hand und versuchen aus der bedrohlichen Situation nicht nur zu entkommen, sondern wollen nicht, dass ihre paranormalen Fähigkeiten missbraucht werden. Sie werden erwachsener und haben schließlich das Heft des Handelns in der Hand, während die Institutsleitung mit der immer weinerlicher werdenden Oberaufsicht nicht nur die Kontrolle verliert, sondern für ihr – höflich gesprochen – dummes Verhalten bestraft wird. Die „Befreiungsaktion“ Luke ist derartig  naiv gestaltet, das der Leser eher an Stephen Kings „Desperation“ denkt als seine früheren ersten Bücher, in denen die gesichtslose Macht des amerikanischen Staats zumindest durch FBI Agenten repräsentiert wurde, die einen hinterhältigen Angriff planen und durchführen konnte. Auch in dieser Hinsicht ist die Geschichte enttäuschend. Die Auflösung der bewaffneten blutigen Konfrontation auf den Straßen der amerikanischen Kleinstaat wirkt wie für einen schlechten B Movie inszeniert. Die Ausgestoßenen der Dorfgemeinschaft wachsen über sich hinaus und bringen unter eigenen Opfern die Wende. Wie selten siegt der Mob gegen die allerdings auch selten naiv vorgehenden bewaffneten Sicherheitskräfte des „Instituts“.

Gegen Ende des Buches beginnt Luke das Heft des Handelns zu übernehmen. Er will seine Eltern rächen, seine Freunde in der kleinen Stadt schützen und schließlich die anderen Kinder befreien. Ein USB- Stick hilft ihm dabei. USB-Sticks sind die neuen Geheimwaffen der Gegenwart. Daten sind gefährlich, aber wie leicht sich diese Daten extern sichern und damit stehlen lassen, ist schon erstaunlich. Stephen King ist kein Science Fiction Autor. Das wird er auch niemals werden, aber angesichts der doppelten Fähigkeiten der amerikanischen/ globalen Männer hinter den Kulissen erscheint es zweifelhaft, dass sie den Stick nicht aus der Ferne unschädlich und damit den Tod der Kinder bzw. ihren Freunden unausweichlich machen. Mit einer Reihe von simplen Tricks, im Kino oder Fernsehen tausendmal gesehen, gelingt die Wende. Das wirkt teilweise naiv. In den siebziger und achtziger Jahren kam Stephen King mit diesen Tricks einfach davon, weil er schreiben konnte. Stephen King ist ein geborener Erzähler. Das ist er noch heute, aber schwache Ideen werden durch das Vertrautsein mit seiner Art der Erzählung nicht mehr besser. Zu viele Stephen King Romane stehen inzwischen in den Regalen und zu wenig greift der alte Mann aus Maine zu neuen Tricks. Insbesondere sein Spätwerk der letzten Jahre wirkt teilweise bemüht. Zu den schwächsten Büchern zählen „Fairy Tale“ oder „Sleeping Beauties“ – zusammen mit Owen King -, in denen wirklich alte Ideen neu aufbereitet worden sind. Auch wenn als Gegenbeispiel „Der Outsider“ ebenfalls eine alte Science Fiction Idee in eine Horrorgeschichte verwandelt hat, wirkte der Roman durch die Art der Erzählung und vor allem die markanten Nebenfiguren deutlich überzeugender. Wie kann ein Mann an zwei Orten zugleich ein Verbrechen begehen und gleichzeitig sein eigenes Alibi sein? Die Auflösung ist simpel. Er  kann es nicht, aber es gibt  eben den Outsider. Der Leser fragte sich lange wie die meisten der Protagonisten, in welche Richtung Stephen King den Plot entwickeln will und als das endlich deutlich geworden ist, konzentrierte sich der Amerikaner auf eine sehr lange interessante Jagd durch das Outback der Staaten und schließlich ein pragmatisches, brutales, aber auch überzeugendes Ende.

„Das Institut“ versucht diesem Weg zu folgen. Aber die Jugendlichen wirken nicht frisch , sympathisch und vor allem in ihren Handlungen nachvollziehbar genug, als das der Funke wirklich überspringt. Die Szenen im „Institut“ selbst sind grausam. Ohne als sadistischer Voyeur zu erscheinen, überspannt Stephen King den Bogen vielleicht noch nicht, kommt diesem Szenario aber sehr nahe.

Die Erwachsenen bis auf den von der Vergangenheit gezeichneten Tim wirken eher eindimensional pragmatisch beschrieben. Eine echte Spannung kommt in dem umfangreichen Roman nicht auf, weil vieles zu früh vertraut erscheint. „Das Institut“ ist vielleicht  das beste Buch, um Stephen King als Neuling im 21. Jahrhundert kennenzulernen.  Für Stephen King Fans ist es eine Art Roadtrip durch fast fünfzig Jahre Stephen King, beginnend mit der Veröffentlichung von „Carrie“  1974. Wäre es der letzte Roman aus Stephen Kings Feder -  in der Zwischenzeit sind ja vier weitere Bücher und mehrere Kurzromane erschienen  - wäre es ein perfekter, zusammenfassender Abschied. Aber nach „Das Institut“ ist mit „Later“ ebenfalls eine weitere, deutlich bessere Geschichte um einen Jungen mit besonderen Fähigkeiten publiziert worden, die in einem melancholischen Ton erzählt als das ist, was „Das Institut“ leider nicht ist, aber leicht hätte werden können. Ein Edge-of-the- Seat Thriller mit sehr guten Charakteren, einem souveränen Erzähler und einer Handlung, die zwischen wollig vertraut und originell modern hin und her springt.             

Das Institut: Roman

  • Herausgeber ‏ : ‎ Heyne Verlag; Erstmals im TB Edition (12. Oktober 2020)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 768 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3453441060
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3453441064
  • Originaltitel ‏ : ‎ The Institute