„Der Unheimliche Mönch“ (Band 40 der neuen Fälle des Meisterdetektivs) aus der Feder Thomas Tippners besteht wieder auf zwei unabhängigen Geschichten. Den Auftakt macht die Titelgeschichte „Der unheimliche Mönch“, anschließend ist „Holmes in Gefahr“.
„Der unheimliche Mönch“ verfügt über eine sehr lange Exposition, bevor Sherlock Holmes dank eines von ihm angeforderten Telegramms und schlüssigen Ermittlungen basierend auf Doktor Watsons Erzählung die Täter überführt. Wie bei einigen anderen Geschichten aus Thomas Tippners Feder ist der Weg deutlich interessant als die hektische, in sich logistische und konsequente, aber offen gesprochen auch banale Auflösung.
Zusammen mit einem Freund Robert Ferguson befindet sich Doktor Watson auf einem Wanderurlaub. Während Ferguson in einem bequemen Gasthaus unterkommen und „The Turning of the Screw“ weiterlesen will, zieht es Doktor Watson metaphorisch gesprochen weiter dem Gipfel entgegen. Allerdings wird das Wetter schlechter und sie müssen in einem heruntergekommenen Gasthof des sehr kleinen Dorfes unterkommen.
Alle im Haus versammelten Menschen wirken eingeschüchtert. Türen und Fenster werden in der Nacht verbarrikadiert. Es geht die Saga um einen Mönch, der seine Opfer ums Lebensjahre anfleht. Und sind diese nicht willig, so braucht es Gewalt. Mehrere Menschen sind unter seltsamen Umständen ums Leben gekommen und eine alte Chronik zeigt ein Bild des Mönchs, vor dreihundert Jahren gezeichnet. In der Nacht bittet der Mönch wirklich um Einlass und Lebensjahre, während draußen das Wetter immer unwirtlicher wird. Alleine eine Bibel und Kreuz halten ihn vom Eindringen ab. Am nächsten Morgen wird im Haus eine junge Frau leblos und scheinbar um Jahre gealtert aufgefunden.
Ferguson und Watson untersuchen die Umgebung, finden anscheinend auch das Versteck des Mönchs in den Wäldern und eine Kutte im Keller des in der Nähe befindlichen Klosters, als der unheimliche Mönch plötzlich auftaucht und Ferguson um Lebensjahre bittet. Er ist wild entschlossen, seine Bitte auch mit Gewalt durchzusetzen.
Ungefähr siebzig Prozent der Geschichte bestehen aus Doktor Watsons immer wieder durch Fragen und Anmerkungen Holmes unterbrochener Erzählung. Dabei gelingt es Doktor Watson, trotz des unmittelbaren Schreckens, ein atmosphärisch vielschichtiges Bild der unwirtlichen Hochlande und ihrer skurrilen Bewohner zu zeichnen. Rückblickend wird nicht nur Doktor Watson, sondern auch dem Leser klar, dass Sherlock Holmes Freund neben den offensichtlichen und von ihm klar deduzierenden Vorgängen zwischen den einzelnen Dorfbewohnern eine zweite unsichtbare Verbindung besteht. Die Ansätze werden alle präsentiert, allerdings sind sie in der bis zum Epilog vorliegenden Form nur von Sherlock Holmes erkennbar.
Die Verweise auf Geister und Mythen beginnend mit dem Lektüre einer der besten Geistergeschichten dieser Zeit und endend mit einem „Verwandten“ Doktor Watsons, der Public Relation auch im Eigeninteresse ein wenig anders interpretiert, werden konsequent eingesetzt. Die Enttäuschung des Lesers liegt eher in der Auflösung des Falls. Sie wirkt – wie eingangs erwähnt – ein wenig zu simpel, zu bodenständig. Thomas Tippner hat inzwischen auch neue Edgar Wallace Romane geschrieben und phasenweise erinnert der Plot eher an einen der typischen, in den fünfziger Jahren durch die Verfilmung so populären Wallace Stoff denn eine klassische, vielleicht auch klischeehafte Sherlock Holmes Geschichte
Die erste Hälfte mit einem allgegenwärtigen und sich durch den Aufenthalt in der Baker Street in Sicherheit befindlichen Watson entschädigt ein wenig für die Schwächen des Endes. Es ist eben die ungewöhnliche strapaziöse und von Watsons Dickkopf dominierte Wanderung, welche dem Leser eher im Gedächtnis bleibt als der nur streckenweise unheimliche Mönch. Auch wenn gute Public Relation in Kombination mit sehr weltlichen Trieben starke Motive für eine stringente Kriminalgeschichte sind.
Die zweite Geschichte „Holmes in Gefahr“ ist deutlich überzeugender. Doktor Watson ist die Kritik an seinen Geschichten für das „Strand“ Magazin leit. Immer wieder wird er von Sherlock Holmes quasi auf den Arm genommen: Also fordert er den Detektiv auf, selbst eine lesenswerte Geschichte zu produzieren. Alle bisherigen Versuche kamen beim Publikum nicht an. In diesem Punkt bleibt Thomas Tippner vage. Das Problem des von Holmes aufgezeichneten Falles liegt zusätzlich in seiner Struktur. Aus der Perspektive Watsons wäre die Distanz zwischen den handelnden Personen – Lange Zeit ein Zwei-Personenstück in den Räumen der Baker Street – und dem Leser vermittelt durch Doktor Watson viel zu groß.
Sherlock Holmes wollte eigentlich eher widerwillig zu einem neuen Auftrag nach Frankreich aufbrechen, als ihn Charles Augustus Milvertons Bruder besucht. Die Geschichte erschien ursprünglich 1904 im Stand Magazine und wurde ein Jahr später in „Die Rückkehr des Sherlock Holmes“ nachgedruckt. Es ist nicht unbedingt notwendig, die Kurzgeschichte vor der hiesigen Arbeit gelesen zu haben, im Grunde werden alle wichtigen Aspekte des Falls aus zwei Perspektiven – Sherlock Holmes und eben Milvertons Bruder – ausführlich und dank gut geschriebener Dialoge auch pointiert durchdiskutiert.
Thomas Tippner schließt den Handlungsbogen zwar zufrieden stellend ab, öffnet aber im nächsten Moment die Tür zu einem Fall hinter dem Fall. Die Milverton vorliegenden Informationen kann er nicht mehr von seinem Bruder erhalten haben. Es muss also einen noch besseren Erpresser geben, der sich aber nicht direkt die Hände schmutzig macht. Zusammen mit dem ebenfalls aus einer früheren Geschichte bekannten Musgrave versucht er dem Täter nicht nur eine Fall zu stellen, Sherlock Holmes muss als weitere Schwierigkeit dafür sorgen, dass man diesem Moriarty Klon ohne Großmannssucht überhaupt ein Verbrechen nachweisen kann. Dazu muss der Täter auf frischer Tat überführt und ein neutraler Zeuge gesucht werden.
Für Sherlock Holmes fiktive Schreibkünste sucht sich Thomas Tippner keinen klassischen Fall aus. Es ist dramaturgisch immer schwierig, den Serienhelden oder seinen treuen Helfer in eine lebensbedrohliche Situation zu bringen und aus diesem Szenario Spannung zu gewinnen. Sherlock Holmes kann wie Doktor Watson zu diesem historischen Zeitpunkt nicht sterben. Immerhin wartet auf Holmes noch die Bienenzucht. Daher wirken einzelne Drohgebärden wie Geplänkel und Thomas Tippner kann ihnen nur bedingt Dramatik abringen.
Viel interessanter ist die emotionale Verbindung zwischen dem kühl, wie logisch agierenden Sherlock Holmes und seinem mit der Situation überforderten Antagonisten. Immer wieder hat Sherlock Holmes bedingt Schuldige laufen lassen, da es ihm eher um die intellektuelle Herausforderung als um die Bestrafung der Täter geht. Teilweise ist das auch in dieser Geschichte der Fall, was der Spannung während des Epilogs keinen Abbruch tut.
Vor allem im direkten Vergleich der beiden hier gesammelten Kurzgeschichten überzeugt „Holmes in Gefahr“ – der Titel ist ein weiterer Bluff – deutlich mehr als „Der unheimliche Mönch“. Der Leser verfolgt das Fallenstellen nicht auf Augenhöhe, auch wenn nur ein „Täter“ überhaupt in Frage kommt und dieser ein wenig plump und arrogant selbst verliebt schließlich in die Falle tappt. Aber Sherlock Holmes nutzt dazu auch den einzigen Charakter, welcher dem Leser vertraut ist und der niemals für Dritte ein geeignetes Mittel zum Zweck gewesen ist. Quod Erat Demonstrandum.
Die zweite Geschichte ist eine der am meisten überzeugenden Kanonarbeiten Thomas Tippners, auch wenn sich der Autor Sherlock Holmes nicht sonderlich von seinem Chronisten Doktor Watson unterscheidet. Vielleicht überspannt Thomas Tippner den Bogen ein wenig zu sehr, wenn Doktor Watson Sherlock Holmes Aufzeichnung des Falls in seine eigenen Dokumente überträgt und eine rührige Bemerkung Holmes beeindruckt kommentiert. Aber das sind vernachlässigbare Schwächen in einem Fall, in dem Sherlock Holmes tatsächlich seine besonderen Fähigkeiten, aber auch seinen Gerechtigkeitssinn bis zum Ende in voller Zügen ausleben darf.
Thomas Tippner
DER UNHEIMLICHE MÖNCH
Band: 40, Historischer Kriminalroman
Seiten: 166 Taschenbuch
Exklusive Sammler-Ausgabe
Preis: 12,95 €
direkt beim Verlag bestellbar: www.blitz-verlag.de