Tod in Kreuzberg

Christian von Ditfurth

Nachdem, Christian von Ditfurth seinen Ermittler Stachelmann in den vorläufigen, aber wohl verdienten Ermittlerruhestand geschickt hat, ist der Autor von vor den Toren Lübecks nach Berlin gezogen, um seiner Kriminaltrilogie um die Okerstraßen WG das wichtige Flair zu verleihen. Insbesondere im vorliegenden zweiten Roman „Tod in Kreuzberg“ ist es ihm so gut gelungen, dass der Leser die Schwächen insbesondere hinsichtlich der Täter und Motive verzeiht. Da die Mitglieder der WG Matti, Dornröschen – mit Freund ? – und Twiggy sowie Mattis fluchender Chef oder der an Thunfisch gewöhnte Kater nicht mehr ausführlich vorgestellt werden müssen, setzt die Handlung nicht nur unmittelbarer ein, sondern der ganze Roman wirkt flotter erzählt.

Im Prolog verfolgt der Leser, wie die Platten Rosi – Aktivistin, Reporterin für die Stadtteilzeitung – von ihr unbekannten Männern ermordet wird. Nachts in der Nähe der Admiralsbrücke. Christian von Ditfurth hat schon im ersten Buch der Trilogie bewiesen, dass er sich nicht zu schade ist, wichtige  und nicht unsympathische Nebenfiguren sterben zu lassen. Die Mitglieder der WG fühlen sich angesichts des Verlustes ihrer Freundin herausgefordert und beginnen mit den Ermittlungen auf eigene Faust, da sie weiterhin der Polizei nicht trauen. Positive Erfahrungen haben sie während ihrer ersten Ermittlungsarbeit gemacht. Dabei gibt es eine Reihe von Verdächtigen aus unterschiedlichen Kreisen.

Obwohl es sich nicht gehört, muss „Tod in Kreuzberg“ vom Ende an aufgedröselt werden. Das Motiv des Mordes ist eher fragwürdig, da Christian von Ditfurth sich lange bemüht hat, rote Fäden auszulegen. Natürlich durchläuft Berlin eine soziale Veränderung. Der Autor geht auf die „Miethaie“ ein, die billig heruntergekommene Immobilien aufkaufen, renovieren und dann teuer wieder verkaufen, an eine betuchte Klientel vermieten und die bisherigen, eher mittellosen Mieter vertreiben. Mit einem holländischen Konzern als Musterbeispiel diverser Organisationen erschafft Christian von Ditfurth das fiese Gesicht des Kapitalismus, ist aber zumindest so ambivalent, die offensichtlichen Täter nicht gänzlich bloßzulegen. Wie die Auflösung des Falls konstruiert ist, erscheint fraglich. Angesichts des Anziehungspunktes bestimmter Gegenden Berlins für unterschiedliche Gruppen wäre eine gänzliche andere vielleicht auch radikale Lösung effektiver und vor allem gesetzlich untermauerter gewesen. Hier wird gleich mit Kanonen nach einem Spatzen geschossen, wobei die Effektivität dieser Tat in Frage gestellt werden muss. Geht es um das Vertreiben der Jugendlichen, die wie Christian von Ditfurth auch einräumt, sich auf fremden Grundstücken wie „Schweine“ benehmen, dann wurde das Ziel verfehlt. Geht es angeblich um das Brechen des Widerstandes der alternativen Szene, dann wird dieser Punkt zu wenig nachhaltig und überzeugend herausgearbeitet. Zu den dialogtechnisch besten Passagen des gesamten Romans gehört die Diskussion zwischen den WG Mitgliedern und dem Chef der Immobilienfirma, in der beide auf ihren extremen, allerdings auch klischeehaft gefärbten Standpunkten bestehen. Nicht jeder Immobilienhai will unbedingt nur gehobene Mieter. Viele insbesondere kommunale Besitzer können auf der anderen Seite auch die Gebäude nicht mehr ordentlich betreiben und die Renovierungsstaus sind auf längere Sicht nicht gut für die Gebäude. Unabhängig wer darin wohnt. Natürlich ist Berlin wie Hamburg oder München eine Stadt geworden, in die Geld zieht. Auf der anderen Seite fehlt Berlin aber auch ein wichtiges Moment: klassische Industrieansiedlungen. Eine Medienstadt, eine Dienstleistungsgesellschaft zieht positiv wie negativ eben keine Arbeiter an, sondern Menschen, die mehr verdienen und auch mehr erwarten. In dieser Hinsicht wirken seine Altlinken mit ihrem kommunistischen Gemeinschaftssinngedanken nicht nur wie aus einer anderen Zeit, sondern auch weltfremd. Um keine weiteren Angriffspunkte zu liefern, muss deswegen der Immobilienhai nicht nur „gemein“ hinter seiner Fassade sein, sondern zusätzlich noch weiteren Dreck am Stecken zu haben. Es ist erstaunlich, was man alles in einer Nebenzentrale – der Hauptsitz der Firma ist in Rotterdam – findet. Der Subventionsbetrug findet ohne Frage irgendwo statt und wird von Christian von Ditfurth auch entsprechend gegeißelt, aber im vorliegenden Ermittlungsfall dient er als Ablenkungsstrategie wie leider einige andere, nicht gänzlich zufriedenstellend entwickelte Brennpunkte.

Während ihrer Ermittlungen, die das Trio mehrfach nicht nur gesetzeswidrig, sondern dumm und vielleicht auch deswegen dreist mit der Tür ins Haus fallend durchführt, wird ein weiterer Anschlag auf Matti verübt. Wieder gibt es einen offensichtlichen Täter und einen, der es letztendlich war. Auch hier wirken die rückblickenden Erklärungen nicht gänzlich zufriedenstellend. Warum konnte der Anschlag aus dem Nichts vorbereitet werden, während für das Finale extra telefoniert und organisiert werden muss? Warum findet die Polizei eine Art Alibitäter, wenn die eigentliche Idee der Truppe ist, diskret anzureisen, zuzuschlagen und dann wieder außerhalb der Reichweite der Polizei zu verschwinden? Wie konnte die Polizei einen Verdächtigen stellen und mundtot machen? Was anfänglich eine weitere falsche Spur sein könnte, entpuppt sich später zumindest teilweise als richtig? Und wenn die zweite Hierarchieebene bislang Handlanger geschickt hat, warum kommen sie jetzt selbst. Der Preis alleine kann es nicht sein, zumal es unwahrscheinlich zu sein scheint, dass mehrere Parteien – auch hier werden einige Klischees bemüht – sich zusammenraufen, um das „Problem“ eben nicht effektiv, sondern im Grunde dumm zu lösen?  

So viele angerissene Themen bleiben im Sand der immer wieder von einer Richtung in die andere getriebenen Ermittlung offen. Nicht selten muss der Zufall – eine Verwechselung, eine Informantin, ein zweites in eine andere Richtung gehendes Befragen, ein Stochern im Dunkeln – helfen, um die Ermittlungen wieder aufzunehmen und aus verschiedenen Versatzstücken Motive herauszuarbeiten. Selten hat der Leser ambitioniertere, aber auch erfolgloser deduzierende Hobby Detektive wie dieses Trio gesehen, dass bis auf die Tatsache zweier Morde, von denen der zweite im Grunde die Ermittler wie in einigen Stachelmann Krimis überhaupt im Spiel hält,  wie die WG. Aber in nur wenigen Krimis wurde das Milieu des Detektivs sozial und politisch so lebendig beschrieben wie in „Tod in Kreuzberg“.             

Während der eigentliche Fall sich über weite Strecken auch spannend und vielschichtig inklusiv einer weiteren Ermordeten, mehreren Prügeleien mit einem zynischen Notarzt als „Flatratehelfer“ und den angesprochenen Ablenkungen bis in den Bereich der Schutzgelderpressung entwickelt, wirkt das Ende zu bemüht. Christian von Ditfurths Stärken liegen auf einer gänzlich anderen Ebene und machen deswegen „Tod in Kreuzberg“ zu einem interessanteren, effektiveren Band als es „Das Dornröschen- Projekt“ gewesen ist. Mit der linken Außenseiterperspektive weisen die Mitglieder der WG auf eine Reihe von Problemen hin, die es zwar in vielen Großstädten gibt, welche sich aber im Nachholprojekt Berlin in kurzer Zeit häufen. Neben dem demoskopischen Wandel und dem Verlust der Alternativenaußenseiteremigrantenszene das Vielvölkergemisch. Christian von Ditfurth atmet diese Luft förmlich ein und bemüht sich mit kleinen Beispielen, das lebendige Berlin nachzumalen. Wenn die Charaktere sind in der Konditorei zu Himbeerschokotorte treffen oder in einer der unzähligen türkischen Kneipen mit einem anfänglich distanzierten Wirt sprechen, der eher wie ein ehemaliger Boxer aussieht, dann lebt dieser Roman auf. Wenn schöne, interessante Plätze/ Viertel/ Sehenswürdigkeiten der Stadt beschrieben werden, dann springt der Funke über. Von Ditfurths modernes und doch der langen, nicht immer einfachen Geschichte huldigendes Berlin wird sich letztendlich nicht den glatten Geschäftsleuten unterordnen, sondern sie gegen ihren Willen irgendwie assimilieren. Natürlich will von Ditfurth auch provozieren,  der Kapitalismus an die Wand nageln, der in der ansonsten im Grunde Pleitestadt auch in Vierteln für einen Aufschwung gesorgt hat, an die der Besucher nicht unbedingt denken. Berlin ist eine Stadt der Kontraste, die positiv wie negativ nicht in den von den Kommunen geliebten sechziger und siebziger Jahren verharren will, sondern vielleicht typisch arrogant wieder Hauptstadt nicht nur Deutschlands, sondern ganz Europa werden will. Aber nur von einer exotischen Wohngemeinschaftsidylle mit unzähligen türkischen Lebensmittelläden an jeder Ecke und vielleicht auch bezahlbaren Wohnraum in einem zufriedenstellenden Zustand kann keine Stadt leben. Ohne es direkt zu schreiben, verklärt von Ditfurth auch linke Selbstbedienerszene, die keine Steuern zahlen, aber zumindest rudimentäre Leistungen des von ihnen abgelehnten Staates haben möchte. Nur über Maggi weiß der Leser, dass er sein Geld mit Taxifahren verdient, während das Computergenie Twiggy nachts anschaffen geht und Dornröschen ihr süßes, so aristokratisches kleines Geheimnis am Ende offenbart. Vieles wirkt im vergleich zum ersten Band weniger reaktionär und das System grundlegend ablehnend, sondern die Tendenz geht zu brüchigen schwierigen Kompromissen, wobei von Ditfurth mögliche Klippen – es besteht der Verdacht, dass Platten Rosi mit unlauteren, diskreditierenden Zielen bestochen worden ist – pragmatisch am Ende wieder umschifft und keine echten Brennpunkte bei seinen das kapitalistische System schließlich doch unterminierenden „Helden“ hinterlässt.

 Um die drei dreidimensionalen Hauptfiguren herum hat von Ditfurth eine Auswahl von weniger realistischen, als notwendig opportunistisch die absichtlich verschachtelte Handlung vorantreibenden Charakteren platziert. Da wäre der verzweifelte wie gläubige türkische Gemüsehändler; dessen Sohn Ali – Musterschüler am Gymnasium, „billiger“ Westentaschenschurke; der wohlwollende Kommissar, der wirklich angesichts von Waffenbesitz, Entführung, Einbruch, Erpressung und Bedrohung natürlich schurkischerer Charaktere durch die WG mehr als ein Auge zudrückt; der Immobilienhai – schmierig, charmant und doch arrogant überlegen -, die korrupten Politiker mit ihrem Hang zu Bordellen; der angesprochene türkische Kneipier und schließlich die eigentlichen Täter, die blass, klischeehaft und wie schon angesprochen auch ein wenig naiv, wenn auch effektiv agieren.

„Tod in Kreuzberg“ ist trotz der abschließenden Schwäche, die durch die verschiedenen Verschachtelungen, falsche Spuren, Vermutungen/ Verdächtigungen etwas relativiert wird, ein unterhaltsamer Milieukrimi, der mit liebevollen Details und einem lebendigen Berlin beim Leser punkten kann.            

 

  • Broschiert: 384 Seiten
  • Verlag: carl's books (3. September 2012)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3570585093
  • ISBN-13: 978-3570585092
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