Die Könige von Babelsberg

Ralf Günther

Ralf Günther versucht sich in seinem neuen Krimi „Die Könige von Babelsberg“ – der Titel ist nicht ganz richtig, denn die einflussreiche Thea von Harbou wäre in dem Fall die Königin -  eine Quadratur des Kreises. Ein Krimi mit einer realen Toten; zwei Verdächtigen aus den besten Kreisen Berlins (Fritz Lang und Thea von Harbou) im engen Korsett der Geschichte.

Ralf Günthers Roman spielt bis auf den Epilog innerhalb von sieben Tagen.  Der Autor nimmt sich nicht viel Zeit, den Fall Rosenthal aufrollen. Der Kommissar Beneken wird zu einem Tatort gerufen. Eine Frau ist durch einen Schuss ums Leben gekommen. Es handelt sich um Fritz Langs Frau Rosenthal. Beim mehrfachen Verhör von Fritz Lang und seiner Geliebten Thea von Harbou kommen immer wieder Unstimmigkeiten ans Tageslicht. Ihre Versionen können nicht mit den Fakten übereinstimmen. Beim  Todesschuss war die Leiche unbekleidet, gefunden wurde die Frau angezogen. Ihre Pantoffel waren im Mülleimer, angeblich soll sie direkt von der Straße in das Schlafzimmer der Langs gekommen und den  Regisseur mit seiner neuen Geliebten erwischt haben. Es gibt keine Kampfspuren, stattdessen ist ein Kissen zerfetzt worden. Auch der Schuss durch die Schläfe passt nicht zum Verlauf der Kugel. Vieles deutet auf einen klassischen Mord aus Leidenschaft hin, der als Selbstmord eher amateurhaft getarnt werden sollte. Aber es gibt kein Motiv, denn Thea von Harbou und Fritz Langs Frau sind beste Freundinnen gewesen. Die Affäre zwischen Fritz Lang und seiner Muse bekannt. 

Benekens großes Problem liegt aber tiefer. Niemand möchte für Aufruhr sorgen, weil Fritz Lang und Thea von Harbou von der mächtigen Filmindustrie geschützt werden. Sie stehen unmittelbar vor den Dreharbeiten ihres Werks „Der müde Tod“, vielleicht das erste Meisterwerk der beiden Wahlberliner.

Das grundlegende Problem des Romans ist die Genauigkeit. In der wirklich ausführlichen und lesenswerten Biographie “The Nature of the Beast“ geht Patrick McGilligan auf diesen Todesfall im Schlafzimmer der Langs ein. Er schließt einen Mord nicht aus, aber ihm liegen hinsichtlich des Todes von Lisa Rosenthal nur Quellen aus der zweiten oder dritten Hand vor. Nicht einmal das Datum ihres Todes kann wirklich verifiziert werden. Es gibt nur drei Quellen, die Ralf Günther anscheinend auch genutzt hat, um seinen Fall zum Abschluss zu bringen.  Die Beerdigung Anmeldung für den Friedhof Weißensee; dem vom Amtsgericht Charlottenburg ausgestellten Beerdigungsschein und schließlich die Bestätigung der ungewöhnlicher Weise von der Polizei genehmigten Anmeldung der Beerdigung.

Die am 25.September 1920 gegen 19 Uhr angeblich durch einen Brustschuss und eines Unglücksfalls verstorebene Lisa Rosenthal hat aufgrund des Berichts keinen Selbstmord begangen. Ob es den Tatsachen entspricht, bleibt ungeklärt.

Die französische Filmjournalistin Agnes Michaux hat in ihrem auch auf deutsch publizierten Buch „Fritz Langs Abschied von Berlin“ den Tod der ersten Frau als Kernszene für Fritz Langs späteres Schaffen genommen. Das ist richtig und zugleich wie bei Ralf Günther auch unsicher. Beiden Thesen folgend hätte Fritz Lang also gute 13 Jahre bis zu seiner Flucht nach Frankreich andere Filme produziert als in den USA, in denen er sich immer wieder mit Verbrechen per se, aber auch den falschen Verdächtigungen auseinandergesetzt hat. Streng genommen, hat er diese auf dem Tod seiner ersten Frau basierenden Themen erst aufgenommen, als er sich endgültig auch räumlich von seiner wichtigsten Muse Thea von Harbou getrennt hat. Solange Thea von Harbou für ihn geschrieben hat, kamen diese Aspekte in seinem Werk nicht so elementar vor.

Agnes Michaux hat nicht gründlich recherchiert. Viele Fakten stimmen nicht, Fritz Langs Produzent Pommer war zum Zeitpunkt des Todes von Lisa Rosenthal nicht in Berlin; die Wohnung der Langs lag woanders.

Heino Ferch als Fritz Lang im gleichnamigen Film kommt der möglichen Wahrheit deutlich näher. Allerdings soll Lisa Rotsenthal ihren Mann mit Thea von Harbou im Bett erwischt haben. Das ist auch die Grundthese des vorliegenden Romans.  

Ralf  Günther inszeniert die Tat auf eine andere Art und Weise. Alle Fakten sprechen für einen Mord, vielleicht einen Unfall aufgrund von Leichtsinn im Rahmen erotischer, vielleicht auch sadomasochistischer Spiele.   Er impliziert, dass Thea von Harbou aufgrund ihrer Erziehung in einem Internat für Mädchen auch lesbische Beziehungen hatte.

Beweise für diese steile These, auf welcher die Geschichte basiert, gibt es nicht. Die Fakten sind, dass Fritz Lang und Thea von Harbou ein Paar,  später verheiratet gewesen sind. Thea von Harbou hat einmal über ihre Beziehung gesagt, dass sie ein Jahr glücklich gewesen und zehn Jahre keine Zeit hatten, um sich scheiden zu lassen. Endgültig geht die Beziehung die Brüche, als der Schürzenjäger Fritz Lang während der Dreharbeiten zu die „Frau im Mond“ eine Affäre mit der Hauptdarstellerin hat und Thea von Harbou sich in einen indischen Wissenschaftler verliebt, der gute zwanzig Jahre jünger als sie ist.

Immer wieder sind es bei Thea von Harbou nur Männer. Keine Frauen, mit denen sie sich in der Öffentlichkeit sehen lässt. Daher ist die angedachte Menage – de- Trois eine Phantasie, aber für den Handlungsverlauf der Geschichte notwendig.

Beneken setzt seine Theorie vor allem aus den ihm eine kurze Zeit vorliegenden Fakten und den verschiedenen Gesprächen mit Lang und von Harbou zusammen. Im Grunde ist er bereit, Anklage zu erheben gegen die einflussreichsten Menschen in Babelsberg. Der Staatsanwalt lässt es nicht zu, der Abschlussbericht des Pathologen sagt plötzlich etwas Anderes aus.Fotos vom Tatort scheinen nicht mehr greifbar zu sein. Beneken hat seinen Fall verloren.

Es gibt aber noch eine zweite Handlungsebene. Beneken entwickelt ein Doppelleben.  Hierliegt vielleicht das größte Probleme der Geschichte. Der Leser kann Fritz Lang mit seinem arroganten Auftreten; seinen Geschichten aus den Schützengräben des Ersten Weltkriegs und schließlich seinem Sendungsbewusstsein, die Welt mittels Film zu verbessern, verstehen. Auch Thea von Harbou als attraktive wie erfolgreiche Autorin, die früh ihren Stand durch den Bankrott des Vaters verloren hat; die an den Sets und in der Zusammenarbeit mit Fritz Lang das ausgleichende Element gewesen ist, wirkt in der vorliegenden Beschreibung überzeugend, vielleicht ein wenig mehr zugänglich.

Aber die Charakterisierung der beiden Hauptverdächtigen genau wie die Exzesse der Filmschaffenden dank ihres neuen Reichtums stehen Beneken gegenüber; einem Mann, der lieber eine Frau sein möchte. Der neben seiner Mutter in einer kleinen, kaum beheizten Wohnung schläft. Die Mutter hat ihren Mann; Beneken seinen Bruder im Ersten Weltkrieg verloren. Zu Beginn  impliziert Ralf Günther eine latente Anziehungskraft zwischen der Stenographen und dem Kommissar. Aber Beneken kann im Grunde keine echte Frau lieben- auch wenn er schließlich kurze Zeit wirklich geliebt wird- , weil er selbst eine Frau möchte. Nachts geht er als Marlene in einem schmierigen Nachtclub tanzen. Er zieht sich vor dem Publikum aus und wird zu einer kleinen Sensation, welche natürlich auch die Aufmerksamkeit von Fritz Lang und Thea von Harbou erweckt. Damit sind seine Ermittlungen im vordergründig streng sittsamen Berlin zu Ende. Und auch die Geschichte.

Es ist erstaunlich, dass sich Benken und Fritz Lang/ Thea von Harbou zu verstehen beginnen, als Benekens Geheimnis aufgedeckt ist. Es ist vielleicht die einzige Ausflucht, welche Ralf Günther aus dieser Geschichte suchen kann. Jeder andere Schnüffler hätte sich gegen die Anweisungen der Vorgesetzten in den Fall verbissen und die potentiellen Täter zur Strecke gebracht. Ob damit Gerechtigkeit getan wäre, steht auf einem anderen Blatt. Aber soweit kommt es nicht.

Ralf Günther nähert sich seinem emotional überforderten Ermittler gut an. Aber wie Fritz Lang/ Thea von Harbou steht er auch isoliert in seinem Umfeld dar. Man erfährt viel fragmentarisch über seine Familie, sein bisheriges Leben, aber nichts über seine bisherige Arbeit. Der Leser kann ihn nur bedingt einschätzen und das macht den kriminalistischen Aspekt der Geschichte hinterfragenswert. Beneken sieht erst relativ spät aufgrund seiner verklemmten moralischen Vorstellungen eine gänzlich andere Möglichkeit, welche seine Ermittlungen hinsichtlich eines Mords doch zu einem erotisch initiierten Unglücksfall machen könnte, aber nicht zwingend muss. Diese Erkenntnis kommt nach dem straffen und spannenden Krimibeginn relativ spät und nicht entschlossen genug, um die Aufmerksamkeit des Lesers weiter zu fesseln.  

Mit der Einstellung des Verfahrens beginnt eine neue Geschichte und hier liegt vielleicht auch die größte Schwäche des Buches. Sie ist nicht spannend, nicht erotisch und vor allem auch nicht psychologisch zufriedenstellend genug, um dem Titel der Geschichte und den Ankündigungen auf dem Klappentext zu entsprechen. Denn Beneken ist sich mehr und mehr der eigene größte Feind. Er will in die Blase eintreten, in welcher Leute wie Lang und von Harbou abseits der Kamera leben und seinen inneren Fetisch ausleben. Es gibt für ihn in der Praxis keinen Mittelweg und es  erscheint vermessen, dass er sich als Marlene perfekt tarnen kann. In einer Welt voller Verbrecher, die solche Orte aufsuchen. Das Risiko, erkannt zu werden, wird von Ralf Günther nicht ausreichend gewürdigt.   

Das Ende ist offen. Der eigentliche Kriminalfall, die Akte Rosenthal ist geschlossen. Mit „Der müde Tod“ beginnen die Sterne von Harbou und vor allem Fritz Lang unendlich hell zu leuchten. Sie sind unangreifbar, während Beneken vielleicht viel, wenn nicht alles verloren hat. Sein Geheimnis ist kein echtes Geheimnis mehr. Der Fall ist nicht abschließend und zweifelsfrei aufgeklärt und die einzige Frau, die ihn als Mann und Frau lieben kann, ist verschwunden. Das ist Melancholie pur, aber die Charaktere wirken auf dem  Weg hierhin ein wenig zu simpel gestaltet, zu pragmatisch dem zu komprimierten Plot untergeordnet, als das der Leser die Lektüre abschließend zufriedenstellend beendet.

Wahrscheinlich ist es sinnvoller, die weiteren Recherchen hinsichtlich des Tods von Lisa Rosenthal zu verfolgen. Vielleicht ist Fritz Langs „The Nature of the Beast“ auch wegen seiner Ausführlichkeit in dieser Hinsicht die bislang beste Lektüre, während „Die Könige   von Babelsberg“ kurzweilig unterhalten, aber ihre eigene Schnittfassung der Geschichte bringen. Als Stummfilm mit möglichst wenig symbolischen Texttafeln, expressiven „Bildern“ des Berliner der  frühen wie wilden Zwanziger Jahre, aber keine inhaltliche Tiefe. Fritz Lang drückt es treffend aus: jeder (Film-) Schnitt ist eine eigene Geschichte.  Der Regisseur bestimmt sie.. niemand anders.         



Die Könige von Babelsberg: Fritz Lang und die Akte Rosenthal | Eine fesselnde, weitgehend unerzählte Episode aus dem Leben...

  • Herausgeber ‏ : ‎ Kindler Verlag; 1. Edition (15. Oktober 2024)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 272 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3463000555
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3463000558
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