11 Doktoren, 11 Geschichten

Anonym

Auch wenn kein Herausgeber – auch in der englischen Originalausgabe – angegeben worden ist und ein Vorwort für Neueinsteiger in die langlaufende Serie fehlt, ist die Grundidee der Anthologie liebevoll von Silhouetten der markanten Profile begleitet, sowohl die alten Fans mit kurzweiligen Geschichten zu beglücken als auch Neugierige allerdings sehr oberflächlich und eher während des laufenden Plots in die faszinierende Welt des „Doctor Whos“ einzuführen. Es ist ohne Frage ein Experiment, viele der Geschichten von bekannten, aber bislang „Who“ technisch unbefleckten Autoren schreiben zu lassen. Colfer mit dem ersten Doctor und Gaiman mit dem bislang elften Protagonisten umranden die anderen, teilweise sehr lesenswerten so unterschiedlichen Texte.  

Eoin Colfers „Der Doktor schafft´s mit Links“ muss von ihrem Epilog an – er ist im Grunde nicht mit der eigentlichen Geschichte verbunden – betrachtet werden. Erst dann fügen sich die Teile mit der künstlichen und der um den Hals gebundenen Hand, dem Piraten mit dem Hacken und schließlich das Duell in den „Wolken“ zusammen. Bis dahin presst Colfer den Stoff, der sehr viel mehr Raum verdient hätte, förmlich zusammen und erzählt mit einem leicht ironischen Unterton das letzte Gefecht gegen die Seelen raubenden Piraten. Ihm gelingt es ausgezeichnet, die liebevollen wie markanten Züge des ersten Doctors, der um seine Enkelin fürchtet, herauszuarbeiten und hinterlässt im Leser ein wohlig nostalgisches Gefühl.  Einen Schritt weiter geht Derek Landy mit „Das Geheimnis des Spukhauses“. Während bei Colfer Literatur inspiriert wird, dringen der zehnte Doctor und seine Begleiterin sogar in diese ein. Sie finden sich in einer Jugendbuchserie namens „Die Rätselsucher“ wieder. Von daher folgt der Plot wenig überdreht den Mechanismen des „Who“ Universums. Mit ein wenig mehr Esprit und dem Mut zum Expressionismus wäre es ein Höhepunkt dieser Sammlung gewesen, so bleibt es eine von der Prämisse her interessante Geschichte.    

Crossovers sind generell ein beliebtes Thema. In „Die namenlose Stadt“ verbindet Michael Scott Lovecrafts Mythen mit dem Doctor. Dank eines Geschenkes – das „Necronomicon“ – wird die angeschlagene TARDIS in die Gefilde Lovecrafts versetzt und der Doctor bedroht. Das interessante an dieser Geschichte über die Verbindung der beiden gegensätzlichen Genres hinaus ist der Versuch Michael Scotts, den Zeitlords und damit auch dessen Existenz eine weitere Ebene zu verleihen. Es bleibt unbeantwortet, ob es sich um einen zusätzlichen Mythos handelt oder der Phantasie des Autoren die Sporen gegeben worden sind. Unabhängig von diesen soliden Hintergrundinformationen kommt das ohne Frage bizarre und insbesondere dem zweiten Doctor entsprechende Ende aus dem Nichts heraus, während insbesondere die öde Landschaft der namenlosen Stadt überzeugend beschrieben worden ist. Auch der Anfang mit der komplexen Falle ist von Michael Scott raffiniert vorbereitet worden, so dass sich die ganze Geschichte als ein früher Höhepunkt dieser Sammlung entpuppt.

 Ein weiterer wichtiger Aspekt sind die Reisen in die eigene Vergangenheit. Marcus Sedgwick zeigt in „Der Speer des Schicksals“, wie aus einem Routinediebstahl bzw. besser Routineaustausch eine Reise in die legendären Vergangenheit der nordischen Götter wird. Interessant ist, wie Sedgwick vergleichbar Michael Scott in diesem Fall die Mythen und Sagen des Nordens auf eine „nachvollziehbare“ Realität zurückführt, um dann wieder nicht nur mit dem Doctor, sondern vor allem auch einem wiederkehrenden Antagonisten eine gänzlich andere Handlung aufzubauen. Exzentrisch mit einem dominanten und sehr gut gekennzeichneten Pertwee als Doctor, vielen kleinen Anspielungen auf die damaligen Geschichten und dann einer vielschichtigen, subversiven Zeitreise. Dagegen nutzt Patrick Ness in „Böse Zungen“ für den fünften Doctor den Hintergrund des Zweiten Weltkriegs, um eine kleine Gemeinde dank Wahrheitsspender aus dem Gleichgewicht zu bringen. Vielleicht weniger intensiv als die nordischen Sagen, aber mit einfachen Mitteln wird der Hintergrund authentisch beschrieben. Irgendwo zwischen historischer Begegnung und anfänglicher Hommage an Filme wie „Andromeda- tödlicher Staub aus dem Weltall“ steht Alex Scarrows „Die Spore“. Die Menschheit ist noch nicht reif, um die Frage einer außerirdischen Sporenintelligenz zu beantworten, was normalerweise in Vernichtung der nicht „entwickelten“ Spezies gipfelt. Interessant an der kurzweiligen, aber zu wenig humorvollen Geschichte ist, dass der Doctor lügen muss, um seine Menschen zu retten.

Natürlich braucht man für gelungene Geschichten auch alte Feinde. Neben dem Master wird der Leser den Daleks begegnen, aber „Etwas Geliehenes“ aus der Feder Richelle Meads gehört der Rani. Durch einen Zufall zeigt der Doctor seiner Assistentin den Nachbau Las Vegas im All mit seinen „romantischen“ Hochzeiten, als sie der Rani auf Feiersfüßen begegnen. Auch hier leidet der Aufbau der Geschichte unter den stereotypen Serienvorgaben bestehend aus einer finalen Konfrontation inklusiv Bluff und Gegenbluff. So interessant die grundlegende Idee auch sein mag, Richelle Mead bekommt die Rani mit ihrer charismatischen Faszination zu wenig in den Griff, um wirklich nachhaltig überzeugen zu können. Auch die fremdartig vertraute Welt wird zu wenig entwickelt, um die bizarre Grundidee – Las Vegas im All – lebendig erscheinen zu lassen. Irritiert ist der Leser wegen der ungewöhnlichen Erzählstruktur mit dem Begleiter als „Ich“- Erzähler, was sich handlungstechnisch nicht immer durchgehend halten lässt.

Zu den stärksten Texten der Sammlung gehört „Wellen am Strand“, wobei die schwierigen Punkte am Ende der Geschichte zu wenig nachhaltig abgearbeitet werden. In einer physikalisch unmöglichen Lage entschließt sich der Doctor zur Befreiung der TARDIS eine Sonne zum Explodieren zu bringen. Sie werden zur Heimatwelt der Daleks geschleudert, die plötzlich in einer friedlichen Synthese mit Menschen leben und keine Aggressionen zeigen. Der verwirrte Doctor versucht hinter das Rätsel zu kommen und wittert anfänglich eine Verschwörung, bevor er deutlich nach dem Leser die Zusammenhänge ahnt. Malorie Blackman legt den Finger in einige Wunden – darf man etwas selbst geschaffenes „Gutes“ wieder zerstören? Wo hört die Verantwortung eines Zeitlords bei der Manipulation des Universums auf? – und versucht diese Ideen auch im Rahmen einer Kurzgeschichte gut zu extrapolieren. Das Ende kommt zu schnell und viele der aufgeworfenen Fragen werden durch das Ausschaltprinzip eher ambitioniert relativiert als ausreichend beantwortet. Überzeugend ist das Zusammenspiel zwischen dem siebenten Doctor und seiner Begleiterin sowie die geschickte Extrapolation einer positiven Dalek Kultur, wobei dieser Aspekt am Ende buchstäblich den Zeitströmen wieder geopfert werden muss.     

 Zu den Höhepunkten dieser Anthologie gehört ohne Frage die Fähigkeit einiger Autoren, ihre eigenen Universen indirekt mit „Dr. Who“ zu verknüpfen. Wer die Geschichten Philip Reeves kennt, wird des exotischen „Steampunk“ Hintergrund seiner „Die Wurzeln des Bösen“ erkennen. Die Handlung selbst verläuft allerdings zu direkt, zu wenig überraschend und die einzelnen Antagonisten sind zu eindimensional gezeichnet. Aber die Kombination zwischen Reeves Jugendbüchern und dem vierten Doctor ist nicht uninteressant, zumal er mit wenigen Sätzen die exzentrische Persönlichkeit des Zeitlords gut umreißt. Das Zeitreisen vieles möglich macht, beweist „Die Bestie von Babylon“ aus der feder von Charlie Higson, der sich mit dem neunten Doctor zu Beginn seiner Inkarnation auseinandersetzt. Während der zugrundeliegende Plot sich mit einer typischen Invasionsgeschichte auseinandersetzt, ist die Idee, die Geschichte chronologisch zwischen dem ersten kurzen Abschied von Rose und der wenige Augenblicke später erfolgenden Wiederkehr des Doctors zu platzieren, perfekt. Higson geht mehr auf die Bedeutung eines menschlichen Begleiters als Ausgleich zu den Stimmungsschwankungen und der Gefährlichkeit eines Zeitlords ein. Dieser Aspekt wird insbesondere in den frühen Folgen der Fernsehserie eher gestreift als in den modernen Geschichten und bildet trotz der Kürze aufgrund der melancholisch emotionalen Stimmung einen der Höhepunkt dieser Sammlung.  

 Neil Gaiman schließt mit dem bislang elften Doctor und der Geschichte „Kein Uhr“ die Sammlung ab. Die Kin entkommt aus ihrem Zeitgefängnis, weil alle Zeitlords bis auf den einen aus dem „Universum“ verschwunden sind. Die Kin kommt auf die Idee, die Erde beginnend mit einem kleinen englischen Dorf im Jahre 1984 zu kaufen und zu entvölkern. Natürlich will der Doctor das Verhindern. Gaimans Geschichte steckt voller überdrehter Ideen, bizarrer bis surrealistischer Figuren; auf den ersten Blick subversive Wiederholungen mit Anspielungen von „Alice im Wonderland“ bis „Oz“. Gaiman ist ein visueller Erzähler und als Fernsehfolge würde diese Geschichte wahrscheinlich noch mehr erstrahlen als in der eindimensionalen Erzählstruktur. Ein würdiger Abschluss dieser Sammlung.

 Zusammengefasst präsentiert „11 Doktoren 11 Geschichten“ ein sehr breites Spektrum der mehr als fünfzig Jahren umfassenden Geschichte des Zeitlords. Die Qualität der einzelnen Texte ist relativ hoch; die beteiligten Autoren haben nicht nur sichtlich Spaß, die Geschichten zu entwickeln, sie haben auch unzählige Hinweise auf Hintergründe der Serie für die Fans intrigiert, während Neueinsteiger sich an den griffigen Plots erfreuen können. Ein ideales, vielleicht mit einem Vorwort perfektes Einstiegswerk in die Welt der TARDIS, die sich interessanterweise durch alle Geschichten ziehend höchster Beliebtheit erfreut und wie eine gute alte und treue Dame behandelt wird.

Doctor Who

 
11 Doktoren, 11 Geschichten
von Alex Scarrow, Charlie Higson, Derek Landy, Eoin Colfer, Malorie Blackman, Marcus Sedgwick, Michael Scott, Neil Gaiman, Patrick Ness, Philip Reeve, Richelle Mead
22 x 15, 
Taschenbuch, 
sw, 
540 Seiten, 
Preis: 16,80 €
ISBN
 978-3-86425-312-6