Seegrund

Volker Klüpfel, Michael Kobr

„Seegrund“ ist der dritte Kluftinger Krimi und inzwischen haben die Autoren auch teilweise mit einer sarkastischen Seitenbemerkung auf die „Allgäu“ Krimis erkannt, dass sie eine Art Goldquelle entdeckt haben. Während „Milchgeld“ hinsichtlich der Struktur, aber auch den liebenswerten Details noch von den Wurzeln als regionale Veröffentlichung bestimmt worden ist, wirkte „Entedank“ deutlich professioneller, damit auch glatter und hinsichtlich der Figuren auch enttäuschender aufgebaut. „Seegrund“ versucht diese Schwächen auszugleichen, leidet aber unter einem bekannten und aus Versatzstücken zusammengesetzten Plot, sowie der Schwierigkeit, Kluftinger als eine Art Original zu beschreiben, ohne ihn der Lächerlichkeit gänzlich preis zu geben.

Positiv ist, dass die Autoren die Strukturen ihrer bisherigen zwei Krimis aufgebrochen haben. Keine zwei Morde, sondern der Fund eines Tauchers am Ufer des gesperrten Alatsees, der anscheinend in einer riesigen Blutlache liegt, die sich allerdings bei näherer Betrachtung als organische Substanz des Bergsees entpuppt. Der Taucher ist schwer verletzt, wurde anscheinend wie Rückblicke ergeben hinterrücks niedergeschlagen und über Bord geworfen. Da Kluftinger den Mann gefunden hat, übernimmt er zusammen mit einer burschikosen Kollegin aus Füssen den Fall. Anscheinend hat sich der Taucher in eine kleine Gruppe von Forschern eingeschmuggelt, welche die Besonderheiten des Sees mit einer biologischen Todeszone in ca. achtzehn Metern untersuchen wollen. Nur gibt es ein Geheimnis aus der näheren Vergangenheit, das einige Einheimische unruhig werden lässt. Durch die Struktur – Kluftingers gegenwärtige Ermittlungen und Einschübe, die bis in den Februar 1945 zurückreichen  - weiß der Leser im Vergleich zu Kluftinger schneller, um was es beim Geheimnis des Sees geht. Die Grundhandlung ist nicht besonders originell und in verschiedenen Krimis schon mehr oder minder erfolgreich ausprobiert worden. Bei Christian von Ditfurth funktioniert die Verbindung von Geschichte und Krimi deutlich besser. Der Fokus liegt auf dem Geheimnis des Sees, das in alle Richtungen ambivalent interpretiert wird. Handelt es sich um die Pläne einer Nazi Geheimwaffe, die wie die Vergeltungsraketen den Endsieg bringen sollte? Oder wurde tatsächlich ein Teil des Rothschildschatzes dort versenkt? Dann sollen es einmal KZ Häftlinge gewesen sein, welche die Kisten in den See warfen, in einer anderen Szenen die inzwischen gealterten Protagonisten. Da der See so unzugänglich ist, haben über Generationen weder die im Zweiten Weltkrieg blutjungen Soldaten noch die Forscher noch die Amerikaner die Geheimnisse bergen können. Warum jetzt erstens so ein Druck ausgeübt wird und zweitens leichtsinnig ein Taucher in diese Zone eindringen soll, die  bislang jeglicher Untersuchung auf einem allerdings amateurhaften Niveau widerstanden hat, wird nicht zufrieden stellend geklärt. Im Vergleich zu den anderen Kluftinger Krimis muss der Kempter Regionalermittler tatsächlich Fußarbeit leisten. Er begegnet unterschiedlichen Typen, wobei die Autoren positiv für den ganzen Roman verschiedene Aspekte – arroganter Banker, Souvenirhändler und schließlich auch exzentrischen Operinnenarchitekten bis zum verbitterten Ostdeutschen – der gehobenen Gesellschaft streifen. Als Ermittler wird Kluftinger trotz manch gedanklicher Klemme so beschrieben, dass er aus diesem Haufen von Egoisten noch positiv herausragt und die einzelnen negativen Strömungen der Gesellschaft filtert. Mit der Kommissarin Friedel – Kluftinger ist bislang davon ausgegangen, dass es sich um einen Mann handelt – steht eine bitterböse kommentierende, Zigarillorauchende Mannfrau an seiner Seite, die aber insbesondere in der zweiten Hälfte des Buches unnötig und teilweise etwas stark konstruiert in den Hintergrund gedrängt wird. Wie schon angesprochen ist der Fall nicht unbedingt originell oder dynamisch, sondern schleppt sich zu lange zu Beginn der Ermittlungen dahin. Positiv ist, das der Taucher im Koma liegt, so dass auch die Identität des Mannes hilft, die Zusammenhänge zu verschleiern. Auf der anderen Seite verraten die Autoren diese die Spannung deutlich mindernd in den Einschüben. Ohne diese wäre „Seegrund“ wahrscheinlich nicht nur spannender gewesen, sondern vielschichtiger. Der einzige Vorteil dieser Einschübe ist, dass einige der entstandenen Legenden passend zur Strategie des Männerbundes erläutert werden.

Aber Kluftinger lebt ja nicht in erster Linie von den Kriminalfällen, sondern dem Kontrast eines alt eingesessenen Allgäuers mit der modernen Welt. Hier bieten die Autoren eine Reihe von Beispielen an, wobei sie teilweise in den Bereich des Slapsticks ausweichen und Kluftinger als gänzlichen Idioten darstellen, der nicht nur unabsichtlich Schaden anrichtet, sondern nicht einmal zu seinen Taten steht. Da wäre das Ausparken Langhammers neustem Mercedes nach einem Besuch der Füssener Oper. Anscheinend kennt Kluftinger nicht nur die Einparkhilfen – eher unwahrscheinlich, da in den voran gegangenen Bänden auch die Polizei über ein oder zwei moderne Fahrzeuge verfügte -, sondern rammt mit dem geliehenen Mercedes nicht nur einen kleine steinerne Parkbegrenzung, sondern sucht den Schaden auch noch zu verbergen. Dieses Verhalten von kleinen Jungen – ein schmaler Grad, auf dem die Autoren bei Kluftinger an mehr als einer Stelle balancieren – ist für den Leser lustig unterhaltsam, nur sollten Klüpfel und Kobr dann am Ende auch die entsprechende „Bestrafung“ folgen lassen. Davon ist in dieser Szene wenig zu spüren. Ein weiterer Punkt der Konfrontation ist die latente „Ausländerfeindlichkeit“, die in einer Paranoia vor allem Fremden gipfelt. Nur bringt ausgerechnet der einzige in Erlangen studierende Sohn seine neue feste Freundin nach Hause: eine Japanerin. Kluftinger ist anfänglich schockiert, vor allem weil sie sich als nicht nur akzentfrei sprechende Inlandsstudentin herausstellt, die sondern auch ihre eigenen Landsleute und deren „peinliches“ Gebaren an den Brennpunkten des Tourismus mit Schloss Neu Schwanstein ironisch kommentiert. Kluftinger versucht, ihr die bayerische Herzlichkeit zu zeigen. Er organisiert ein Essen beim Japaner ohne zu ahnen, was Sushi ist. Bei dem Skiausflug in die Berge bringt er Langhammer in Gefahr und schließlich zieht er anfänglich über das vorgezogene Weihnachtsgeschenk der Kinder her, um am Ende der „König Ludwig“ Aufführung zu weinen. Dabei verhält sich Kluftinger mehrfach wie der Elefant im Porzellanladen. Das Spektrum der einzelnen, die Krimihandlung überdeckenden Szenen reicht von peinlich fremd schämend bis erheiternd. Wie schon angesprochen ist es ein schmaler Grad, auf dem sich Kluftinger und sein Umfeld bewegt. Langhammer als Parodie des opportunistischen Arztes, der trotz oder gerade wegen seines Helfersyndroms nicht erkennen kann oder arrogant nicht erkennen will, dass Kluftinger und er niemals Freunde werden, wird ein wenig in den Hintergrund gedrängt, ohne das diese Lücke wirklich gefüllt werden kann. Die Dialoge insbesondere zwischen Kluftinger Schwiegertochter in spe und dem typischen Allgäuer gehören zu den Höhepunkten des Romans. Sie zeigen nachdrücklich, wie schnell sich Floskeln verfestigen und wie wenig man sie wieder in Gegenwart potentiell betroffener Menschen los wird. Natürlich kann der Leser über den Exzentriker – dieses Mal zusätzlich mit einer Erkältung gesegnet – lachen. Kluftinger ist ein Mann mit einigen Fähigkeiten, der sich aber nicht selten auch im Wege steht. Klüpfel und Kobr haben inzwischen mit diesem dritten Roman eine Routine entwickelt, die hilft, einige aber nicht alle Klippen zu umschiffen.

Während „Milchgeld“ bis zur zweihundertsten Seite nicht nur Spannung anbot, sondern sich sehr viel Zeit lies, liebevoll diese isolierte und doch irgendwie auch herzensgute Welt des Allgäus einzuführen, litt „Erntedank“ unter diesem Spagat zwischen Plot und Hintergrund. „Seegrund“ wirkt ein wenig gefestigter, zumal mit dem Alatsee auch eines der Naturgeheimnisse dieser Region effektiv und atmosphärisch zufrieden stellend eingesetzt worden ist. Die Begegnungen mit den Einheimischen beschränken sich ansonsten eher auf das eingewanderte Volk mit dem ungarischen Gastwirt, die Kässpatzen auf die Paprikaart garniert oder die schon angesprochene Gruppe von inzwischen alten Männern, die ihren Schwur auf die nächste Generation ausdehnen, ohne das der Leser bis auf wenige Momente das wirklich nachvollziehen kann.

Positiv hinsichtlich der Struktur ist zu vermerken, dass es erstens keinen Auftaktmord mit Folgetaten gibt, zweitens Kluftinger im waghalsigen Alleingang wieder die Täter stellen muss und drittens die einzelnen Aspekte des Falls nicht so stark konstruiert wie in „Erntedank“ oder „Milchgeld“ erscheinen. Natürlich wirken einige der Ermittlungen und Beobachtungen – wieder ein Auto mit zu vielen Menschen auf zu engem Raum – wie eine bayerische Mischung aus „Kottan ermittelt“ und „Münchner Geschichten“, aber dieses Rezept beherrschen  Klüpfel/ Kobr inzwischen nicht nur sehr gut, sondern können es mechanisch pragmatisch, an einigen Stellen sogar effektiv einsetzen. Der Roman wird aufgrund der angesprochenen Schwächen und vor allem der dieses Mal sehr vorhersehbaren und nicht wirklich originellen Handlung weniger kriminalistisch interessierte Leser als Fans der Region und vor allem Kluftinger als Inkarnation des Kemptener Exzentrikers ansprechen.                        

  • Taschenbuch: 352 Seiten
  • Verlag: Piper Taschenbuch; Auflage: 25 (Januar 2008)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3492250947
  • ISBN-13: 978-3492250948
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