Bitter Water

Gordon Ferris
Gordon Ferris

„Bitter Water“ ist der zweite Band der inzwischen vierteiligen Douglas Brodie Serie. Wie der auf deutsch erschienene „Galgenfrist für einen Toten“ spielt die Geschichte in Glasgow des Jahres 1946. Während Douglas Brodie „erster“ Fall, den er mit Samantha Campbell eher unfreiwillig lösen musste, von der deprimierenden Atmosphäre eines Nachkriegs Glasgow angefüllt ist, das sich nicht als Sieger, sondern als Verlierer der Zweiten Weltkriegs fühlen musste, bestimmt worden ist. Der ehemalige Polizist Douglas Brodie hatte keinen einfachen Krieg, aber in der folgenden Depression findet er keinen Job. Wie im ersten Band der Serie kommt er inzwischen Reporter der Glasgow Gazette eher wie die Jungfrau zu einem zweiten Fall. Er wird gebeten, einen Kontakt zu seiner kurzzeitigen Freundin and Anwältin Samantha Campbell herzustellen, da einer der Veteranen bei einem Einbruch in eine reiche Villa verhaftet worden ist. Bei dieser Aktion hat er den Wachhund getötet. Obwohl er aus Hunger eingebrochen und gestohlen hat, wird er von einem gnadenlosen, opportunistischen Richter zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Gerade aus langjähriger Gefangenschaft entkommen erhängt sich der Mann in seiner Zelle. Diese Aktion ruft eine Gruppe anderer Veteranen auf den Plan, die sich als Vigilanten an den arroganten Glasgower Bürgern und entsprechend den straffälligen, aber nicht verurteilten Bürgern der nicht so sehr unter dem Krieg gelittenen Mittel- und Oberschicht rächen wollen. Unbewusst wird Douglas Brodie zu ihrem Sprachrohr. Auch wenn die Grundidee des Vigilantentums nicht unbedingt neu ist und die Aktionen teilweise in ihrer intelligenten Ausführung inklusiv entsprechender Bibelzitate eher an manchen Comic erinnern, reißt Douglas Ferris eine Reihe von Wunden wieder auf. Er zeigt überdeutlich dem Leser, wie ungerecht die Gesellschaft vor allem mit den Menschen/ Soldaten umgegangen sind, die aus taktischen Gründen nicht ihr Leben fürs Vaterland geben konnten. In diesem Fall einem britischen Soldaten, der in Dünkirchen früh in Gefangenschaft geraten ist, weil das militärische Oberkommando dessen Position aufgegeben hat. In der Heimat trotz der harten Jahre als Feigling und Opportunist im Vergleich zu den an der Front gefallenen Männern betrachtet, erhält er keinen Job. Aber auch anderen ehemaligen Soldaten wie eben Douglas Brodie, der sich nicht mehr als Polizist einer korrupten Stadt versucht, sondern als Amateurreporter. Obwohl diesen Hintergrundsequenzen die Eindringlichkeit des ersten Buches fehlt und Brodie nicht mehr so stark unter den Verletzungen wie im ersten Roman beschrieben leidet, entwickelt Gordon Ferris einen ausgesprochen realistischen und nachdenklich stimmenden Hintergrund für seine Geschichte.

Aus dem ersten Roman werden noch zwei Handlanger und Drogenschmugglers den gestellten Kinderschänders als eine Art Bindeglied übernommen. In die Taten der Vigilanten mischen sich plötzlich ausgesprochen brutale Morde an Homosexuellen, die von den immer wieder mit Brodie kommunizierenden Vigilanten bestritten werden. Anscheinend gibt es noch andere, sozial höher gestellte Interessen in der Stadt, die in verschiedener Hinsicht am Wiederaufbau insbesondere der ehemaligen Armenviertel profitieren wollen und dabei die Vigilanten als eine Art Tarnung nutzen.

Hier liegt vielleicht auch die größte Schwäche des Romans. Brodie wird gebeten, mit Samantha Campbell Kontakt aufzunehmen. Nach den Ereignissen aus „Galgenfrist für einen Toten“ hat sie sich auf der Öffentlichkeit noch mehr zurückgezogen und leidet. Ihre Beziehung zu Brodie möchte sie nicht weiter aufbauen, alleine bleiben kann sie auch nicht. Durch ihre Kontakte in die örtliche High Society öffnet sie Brodie nicht nur die Türen, relativ schnell finden sie einen Hauptverdächtigen, der nicht nur aufgrund seines sadistischen Verhaltens – wer als Kind Mädchen durch lange Gänge jagt und Tiere tötet, kommt zwanzig Jahre später als Mittäter nur in Frage- auffällig genug ist, dessen Motive wie Habgier und gute Verbindungen in Frage kommen. Überraschend ist nur, dass angesichts der Schlinge, die sich nicht nur von den rächenden Vigilanten, sondern auch Brodies Artikeln langsam zuzieht, es bei Reaktionen bleibt und die aktiven Aktionen wie eine Entführung Samantha Campbells im Vergleich zum fingierten Selbstmord zweier Verdächtiger relativ harmlos bleiben. Hätten die Haupttäter die gleiche Entschlossenheit gegenüber Campbell und Brodie in den Augenblicken gezeigt, in denen sie noch agieren und nicht wie während des Showdowns ausschließlich reagieren konnten, dann wäre der Fall ganz anders und nicht so abschließend positiv ausgegangen.

Wie das Vigilantenthema und die Ungerechtigkeit den leidenden Ex- Soldaten im Vergleich zu den Offizieren gegenüber wird die Bauspekulation, die Gewinnsucht mit der Not der einfachen Menschen nach den Entbehrungen des Krieges gestreift, kritisch hinterfragt, aber nicht entscheiden extrapoliert. Gordon Ferris nutzt sie als Motive und Motivationen ausreichend, aber im Vergleich zur fast erschütternden Depression des ersten Buches wirkt es teilweise auch gestellt, um seinen deutlich aktiveren Protagonisten Douglas Brodie in Szene zu setzen. Anfänglich ermittelt Brodie eher widerwillig, weil die Vigilanten ihn in ihren Nachrichten als Sprachrohr missbrauchen. Später unter dem Druck der Vigilanten, die ihm klar zu machen suchen, das sie nicht für die grausamen Morde verantwortlich sind, obwohl bei Ihren Streichen auch Menschen verletzt oder getötet werden. Aber in diesen Fällen hat es weniger mit den Neigungen der betreffenden Opfer zu tun, sondern mit ihren Straftaten. Am Ende nicht zum ersten Mal in einem Gordon Ferris Roman kommt es zu einer finalen Konfrontation in einem abgeschiedenen Gebäude. Auch hier hätte eine konsequentere Vorgehensweise Brodie und Samantha Campbell keine Chance gelassen. Manchmal wirkt es tatsächlich so, als versuche sich der Autor wieder aus den plottechnischen Fallen zu befreien, in die er seine Figuren hinein gelotst hat, ohne den eigentlichen Fall nachhaltiger zu gestalten. Die begleitende Vorgehensweise der Vigilanten erscheint dabei ausgesprochen naiv,  zumal sie zu diesem Zeitpunkt um die Gefährlichkeit und Stellung ihres Gegners und seiner Helfer wissen. Im Vergleich allerdings zum ersten Band, in dem die eigentlichen Zusammenhänge relativ früh zu erkennen gewesen sind, versucht Gordon Ferris mit den beiden ineinander verwobenen, sich aber spät wieder teilenden Ebenen deutlich mehr Spannung zu erzeugen. Zum einen greift er eine populäre „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ Mentalität auf, die nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Verelendung der Massen und die Aufstieg der auch im Krieg opportunistischen Oberschicht sehr viel mehr Nahrung als vielleicht in der Gegenwart gefunden hat. Auch wenn Brodie die Aktionen der Vigilanten auf der einen Seite nicht gut heißen kann oder will, nutzt er sie auf der anderen Seite, um als Reporter mit einer eigenen Kolumne davon zu profitieren. Dadurch wirkt Brodie als Figur vielleicht ambivalenter, zwischen den Fronten stehend. Immerhin wird ihm auch vorgeworfen, sich in einem Krieg aktiv beteiligt zu haben und nicht fünf Jahre in Gefangenschaft gewesen zu sein. Der Schatten des Zweiten Weltkriegs wird auch nicht mehr ausschließlich als Mahnmal betrachtet. Das hat Vor- aber auch Nachteile. Zum einen ist Brodie als Ermittler beweglicher, freier und weniger voller Selbstmitleid. Auf der anderen Seite fehlt ein wichtiges und anfänglich überraschendes Element des ersten Romans. Hinsichtlich der potentiellen Beziehung zwischen Samantha und Brodie bleibt es bei zarten Andeutungen. Zwei einsame, teilweise gebrochene Menschen, die verzweifelt nach Heilung suchen. Ein schmaler Grad, auf dem sich Gordon Ferris hier bewegt, da das Risiko groß ist, in stereotype Situationen abzugleiten. Um Brodie und Samantha herum etabliert der Autor eine Reihe von interessanten, durchaus dreidimensionalen und vor allem auch lokalen Persönlichkeiten, die dem etwas zu lange sich dehnenden und dann zu hektisch abgeschlossenen Fall Authentizität geben. Auf der anderen Seite zeigt Gordon Ferris aber auch eine fast archaisch erscheinende Gesellschaft, die ihre Probleme ohne die Polizei löst. Der Clangedanke wie die schottische Heimatverbundenheit sind eher beiläufig eingestreute Situationen, wobei abschließend auch noch erwähnt werden muss, dass einige Ideen/ Aspekte wie das Beschützen der eigenen Mutter in Samanthas großem Haus eher wie Kompromisse denn echte Plotelemente erscheinen. Nicht selten wird in einigen Szenen Spannung aufgebaut, die nicht gänzlich zufrieden stellend zu entladen kann. Das macht den Text schwerfälliger als er auf den ersten Blick ist. Im Gegensatz zur moralisierenden Tendenz des ersten Bandes zeigt Ferris die sozialen wie wirtschaftlichen Probleme eine Nachkriegsgesellschaft auf, die nicht mehr die Produktion zurückfahren und die Heimkehrer intrigieren kann. So hat der Krieg sowohl auf den Seiten der Verlierer als auch Gewinner seine Kinder gefressen.

„Bitter Water“ besteht aus einigen sehr brutalen Szenen, in denen Ferris sich nicht scheut, in die Details zu gehen. Diese sind ein markanter Teil des Plots, werden aber an keiner Stelle wirklich aktiv beschrieben, sondern nur deren Folgen sind dem Leser immer auf Augenhöhe der beiden wichtigsten Figuren Brodie und Samantha Campbell sichtbar. Stimmungstechnisch immer noch an die Nachkriegszeit angelehnt könnte der Roman aber auch in den Wirtschaftswunderjahren der Bundesrepublik oder den Mafiaauseinandersetzungen Italiens spielen. Diese Ablösung der Handlung vom Hintergrund irritiert anfänglich und der Leser braucht nach dem in dieser Hinsicht stimmigen ersten Teil der Tetralogie einige Zeit, bis er sich orientiert hat. Zusammenfassend eine solide Fortsetzung des in vielerlei Hinsicht so ungewöhnlichen, provozierenden, nachdenklich stimmenden ersten Bandes, der nur Verlierer im Kampf ums teilweise alltägliche Überleben in einer immer noch korrupten und vom alten Reichtum beherrschten Glasgower Großstadt gezeigt hat.       

            

  • Format: Kindle Edition
  • Dateigröße: 675 KB
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe: 368 Seiten
  • Verlag: Corvus; Auflage: First Edition (1. April 2012)
  • Verkauf durch: Amazon Media EU S.à r.l.
  • Sprache: Englisch
  • ASIN: B006VSP8GG
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