Die Maschinen

Ann Leckie

Ann Leckies Debütroman – der erste einer Trilogie – ist ohne Frage eine der größten Überraschungen des letzten Jahres gewesen. Weniger die Auszeichnung mit dem HUGO und dem NEBULA Award für den besten Roman, sondern der ARTHUR C. CLARKE Award weißt dabei die Richtung. Grundlegend an Iain Banks „Culture“ Romane mit den gigantischen intelligenten Raumschiffen angelehnt und von M. John Harrisons exzentrischen wie barocken Space Operas beeinflusst erzählt Ann Leckie in Form des klassischen Bildungsromans einen Entwicklungsprozess.

Die beiden wichtigen Handlungsbögen vereinigen sich in einer die Gegenwart bestimmenden Tat, die angesichts der langen Vorbereitung quasi im Vorbeigehen auf den letzten Seiten eher ambivalent abgeschlossen wird. In einem Interview am Ende des Buches vergleicht die Autorin die Strukturen ihres futuristischen Imperiums mit der Ausdehnung des alten Roms, wobei der Keim des Zerfall in der Geschichte durch die Dekadenz, in „Die Maschinen“ durch die Eliminierung aller Feinde und daraus resultierend paranoid die Schaffung von inneren Feindbildern gesät worden ist. Das Imperium der Radch beherrscht die bekannte Galaxis durch eine klassische Annektierungspolitik. Mit ihren gigantischen von künstlichen Intelligenzen gesteuerten Raumschiffen können sie mittels der Tore jede Welt innerhalb kürzester Zeit besetzen. An Bord der Schiffe sind zwar menschliche Offiziere, die Arbeit erledigen aber im Grunde die künstlichen Intelligenzen, die ihre Persönlichkeiten auf tausende, wenn nicht Millionen von perfekt konstruierten Androiden übertragen können. Diese erhalten individuelle Aufgaben bei der Besetzung dieser Welten. Breq ist eine der zahllosen im Grunde als Tötungsmaschinen abgerichteten Ableger dieser Schiffsintelligenzen. Terminator und Diener zu gleich. In der Vergangenheitsebene erfährt der Leser nicht nur von der Besetzung einer solchen Welt, sondern der ungewöhnlichen Freundschaft zu ihrer vorgesetzten Offizierin und vor allem einigen Verschwörungen innerhalb der Radch Hierarchie, die sich von der unteren Offiziersebene aus weigern, jeden Befehl umzusetzen. Dieser den Hintergrund beleuchtende Handlungsarm endet mit der angesprochenen paranoiden Enthüllung hinsichtlich der eigentlichen Feinde des Imperiums der Radch. Ohne zu viel zu verraten ist es eine der originellen Wendungen des Plots die Enge, in die sich die Herrscherin der Radch getrieben hat. Einen Ausweg gibt es nicht. Die in die Gegenwartsebene reichenden Verstrickungen können ohne Frage noch weiter extrapoliert, die Hintergründe sollten plastischer entwickelt werden, aber die paranoide Grundidee, deren Einfluss auf die statisch agierende künstliche Intelligenz nicht unterschätzt werden darf ist eines Iain Banks würdig.

In der Gegenwartsebene ist Breq als Ableger ihres inzwischen vernichteten Raumschiffs ganz alleine unterwegs auf einer klassischen, aber auch am Rande des Klischees angelegten Mission. Sie will sich an der Herrscherin von Radchs rächen und damit ihre Schöpferin töten. Auf ihrer Reise durch die bekannte Universum sucht sie die perfekte Waffe. Von den ehemals fünfundzwanzig geheimnisvollen Waffen sind vierundzwanzig gefunden und/ oder vernichtet worden. Nur auf einer abgeschiedenen Welt soll sich eine dieser Waffen noch in den Händen eines Sammlers/ Arztes befinden. Auf dem Planeten findet sie in der Auftaktsequenz des Buches eine ehemalige Offizierin Seivarden, die drogensüchtig im Schnee vor einer Kneipe liegt. Sie nimmt sich ihrer an und versucht sie von ihrer Sucht zu heilen. Diese Suche und die eigentliche Rache nimmt zwar den größten Teil des Buches ein, aber Ann Leckie beschreibt sie relativ ruhig, ohne Tempowechsel bis auf zwei Actionszenen und schürt nicht die notwendige Dramatik, um den Leser gänzlich in das Geschehen einzubinden. Je weiter bis zum Ende eines Entwicklungsabschnitts „Die Maschinen“ – der Originaltitel „Ancillary Justice“ greift weiter und ist packender – voranschreitet, um so intensiver werden die menschlichen und künstlichen Verbindungen zwischen den einzelnen Figuren. Ohne Frage ist die grundlegende Handlung insbesondere für einen Erstling sehr gut konzipiert und Ann Leckie springt auch gut zwischen den beiden Ebenen hin und her, lässt Ereignisse aus der Vergangenheit in die Gegenwart fließen, ist sich aber auch nicht schade, in der Gegenwart vorhandene Fehlentwicklungen in der Vergangenheit zu entwickeln. Der Roman ist aber als große Stärke trotz oder vielleicht auch gerade wegen des Hintergrunds als Military Science Fiction aber in erster Linie eine vielschichtige Charakterstudie.

 Betrachtet der Leser die menschlichen Charaktere, so macht der gut agierende Übersetzer Bernhard Kempen in seinem Vorwort klar, dass die geschlechterspezifische Einordnung von „Mann“ und „Frau“ in der von Ann Leckie entwickelten Gesellschaft nicht so klassisch oder vielleicht auch klischeehaft funktioniert. Die Rollen sind ambivalent, für den Leser erst spät erkennbar, welches Geschlecht die einzelnen Figuren wirklich haben. Das geschlechterspezifische Rollenverhalten ist übergreifend und wenn sich aus „Frau“ durch die Betrachtung der Bewohner anderer Planeten vielleicht doch ein „Mann“ herausschält, dann wirkt diese Wandlung weder lächerlich noch schwierig zu akzeptieren. Im Original durch die sachliche Nutzung des Pronomens „the“ einfacher auszudrücken, hat sich Bernhard Kempen sehr viel Mühe gegeben, dem Leser die Variationsmöglichkeiten offen zu halten. Und trotzdem erscheinen die menschlichen Protagonisten unvollständig, natürlich voller Fehler, falscher Ambitionen und von einem Kasten getriebenen System auch manipuliert. Von Breqa erster Vorgesetzten über Seiverdan bis zu einer Inkarnation der Herrscherin agieren die Figuren eher schematisch und erscheinen in den Plot eingesetzt. Vielleicht will Ann Leckie auch nicht zu viel Nähe aufbauen, aber die emotionalen Beziehungen entwickeln sich ausgesprochen subtil. Die Freundschaften erwachsen weniger aus Sympathien denn Notwendigkeiten. Alle Figuren haben Ecken und Kante, ihre Schwächen sind markant. Als Protagonisten sind sie alleine zu Reaktionen fähig, alle ihre Aktien führen zu Tragödien und enden mit dem eigenen Tod oder der Hinrichtung von Unschuldigen. Dreh- und Angelpunkt des Romans ist natürlich Breq als zersplittertes Bewusstsein der künstlichen Intelligenz eines Schiffes. In der Vergangenheitsebene ist sie gänzlich austauschbar. Trotzdem gelingt es Ann Leckie, sie als überzeugendes Individuum zu beschreiben, das über eine militärisch wenig emotionale Vergangenheit verfügt und vor allem auf Befehl ohne Emotionen töten kann und auch hinrichten wird. Der Unterschied zur Gegenwartsebene liegt in der Abtrennung von ihrem Host. Obwohl immer noch im Grunde eine perfekte Maschine, ein Soldat der Zukunft greift sie auf menschliche Emotionen und Verpflichtungen zurück. Im Verlaufe der Handlung schält sich heraus, dass ihre selbst gewählte Mission mehr als eine Rache/ Abrechnung ist. Im Grunde versucht sie das Imperium vor sich selbst zu retten. Vor dem Feind, den es buchstäblich auf höchster Ebene selbst erschaffen hat. Breq schwankt dabei zwischen Insubordination und Pflichterfüllung. So paranoid sich diese Gegensätze auch anhören mögen, so stark sind die beiden Pole in dieser ausgesprochen ambivalenten, heimatlosen Figur verankert. Die Gegenwartsebene ist dabei emotional der stärkere Part. Aber ohne die Erlebnisse in der Vergangenheit, die Vernichtung des eigenen Horts und schließlich die einzigartige Isolation von der „Mutter“ – alles Facetten des Jugendbuches – könnte sie nicht funktionieren. Ann Leckie macht es dem Leser auf der einen Seite sehr leicht, sich mit der entschlossenen und auch hilfsbereiten Breq zu identifizieren. Trotzdem unterbricht sie diese emotionale Ebene immer wieder, in dem sie überdeutlich darauf hinweist, dass Breq auch eine Maschine ohne Bewusstsein und voll stoischer Befehlsausführung sein kann. Dieser Widerspruch muss in den folgenden beiden Romanen noch deutlicher heraus gearbeitet werden, obwohl sie ihre Außenseiterposition verlassen hat. Nicht selten wird der Leser an die bizarren cineastischen Exzesse wie „Lady of Vengeance“ erinnert, in denen die Identifikationsfiguren für ein höheres, aber auch persönliches Ziel Rache üben dürfen. Der fulminante, aber auch  sehr kurze Höhepunkt des Buches unterstreicht diese Schwierigkeit, seinen Weg bis zum bitteren Ende gehen zu wollen und zu können und doch gleichzeitig sich selbst gegenüber authentisch zu sein. Alleine die vielschichtige Zeichnung Breqs inklusiv der verschiedenen, aber noch auszuarbeitenden Hinweise auf die komplizierten Verflechtungen der einzelnen gigantischen Raumschiffe hebt „Die Maschinen“ aus der Masse der modernen Space Operas heraus. Mit den drei Preisen wird eine Erwartungshaltung im Leser geweckt, welche „Die Maschinen“ nur teilweise erfüllen kann. Die hintergrundtechnischen Handlungsgeflechte und die Idee einer Rachegeschichte sind weder noch nachhaltig originell. Auf diesem bekannten Fundament hat Ann Leckie aber eine Handvoll interessanter Charaktere erschaffen, von denen die „Menschen“ an die frühe Phase Orson Scott Cards in einer ambivalenten Gesellschaft aus irdischer Geschichte und futuristischer Extrapolation erinnern, während Breq als tragisches wie tragendes Element die eigentlich überraschend und deswegen auch preiswürdige Schöpfung des ganzen Romans ist.       

Originaltitel: Ancillary Justice
Originalverlag: Orbit
Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kempen

Deutsche Erstausgabe, Heyne Verlag

Paperback, Broschur, 544 Seiten, 13,5 x 20,6 cm
ISBN: 978-3-453-31636-2