Die Schiffbrüchigen der Zeit Band 1

Forest & Gilon

In seinem Vorwort geht Jean Claude Forest auf den Bruch der Zusammenarbeit mit dem Zeichner Paul Gillon ein. Das Vorwort stammt aus dem vorletzten und neunten Band der Originalausgabe, darum wirkt es zum Auftakt des Splitter Nachdrucks ein wenig deplatziert, da sich Neueinsteiger in die Serie im Grunde erst einmal orientieren müssen. Zumindest geht der Autor der ersten vier Alben auf die Grundideen ein. Mit dem fünften Band hat Paul Gillon als Perfektionist dann neben dem Zeichnen auch das Schreiben übernommen. Die Serie erschien/ entstand zwischen 1964 und 1989, wobei 1964 nur die ersten neun Seiten in dem kurzlebigen Magazin „Chouchou“ veröffentlicht worden sind. Erst 1974 wurden „Die Schiffbrüchigen der Zeit“ im Magazin France Soir bzw. in Albenform fortgesetzt. Drei Jahre später die erste Veröffentlichung im „Metal hurlant“. In Deutschland erschienen Teile der Serie in der Reihe „Topix“ allerdings nur zweifarbig, bevor zwischen 1988 und 1991 der Carlsen Verlag die Alben zum ersten Mal chronologisch und ungekürzt ganz farbig in Deutschland publiziert hat.  

Die Grundidee hat zahlreiche Vorlagen. Von H.G. Wells „Der Schläfer erwacht“ bis zu „Buck Rogers“ oder hinsichtlich der exotischen aber im Sonnensystem beheimateten Welten von Burroughs bis „Flash Gordon“.  Die Menschheit wird von einer außerirdischen Lebensform, Plage genannt, bedroht. Als Experiment schicken die verzweifelten Wissenschaftler zwei Menschen Christopher Cavallieri und Valerie Haurele nackt in durchsichtigen Raumkapseln schlafend ins All. Sie sollen erst mit dem Ende der Plage geborgen werden. Da die letzten Versuche scheitern, die beiden Menschen wieder auf die Erde zu holen, ist eine Bergung erst eintausend Jahre später möglich. Dabei wird nur die Kapsel von Christopher geborgen, der sich nicht nur in einer fremden Welt wiederfindet, sondern erkennen muss, dass die Plage nicht einfacher, sondern viel schlimmer geworden ist. Inzwischen ist die Menschheit in der Lage, die Erde zu verlassen. Zumindest einige Handvoll wollen in die Tiefen des Alls vordringen, zu kolonisierten Welten fliegen, während sich Christopher schuldbewusst und gegen den Willen seiner Retter auf die Suche nach der verschollenen Kapsel mit Valerie macht.  

An seiner Seite befindet sich eine pragmatische Frau aus der Zukunft, die relativ schnell sich in Christopher verliebt. Sie weiß, dass ein Erfolg ihrer Mission auf verschiedenen Planeten des Sonnensystems im Grunde das Ende ihrer Liebe sein könnte. Der emotionale Konflikt ist vielleicht eine der Schwächen des vorliegenden Bandes. Eine echte emotionale Chemie baut sich selbst mit der nackten Haut zwischen den Figuren nicht auf.  Während Christopher sich der verschwundenen Valerie ausschließlich dadurch verbunden fühlt, weil sie aus seiner Zeit stammt – sie haben sich erst eine halbe Stunde vor dem Start der Kapseln kennengelernt – ist es bei seiner stoischen Begleiterin Mara fast eine naive dickköpfige Kindlichkeit, die sie in Christophers Bann fallen lässt. Diese Dreiecksbeziehung wird in den folgenden Alben noch stärker ausgebaut, hier herrscht alleine die im Grunde sinnlose Suche nach Valeries Kapsel vor. Dabei führt der Weg nicht nur auf die erstaunlich archaische Venus mit gewaltigen Meeren und seltsamen Ureinwohnern, sondern in einer Verhöhnung christlicher Symbole auf einen der Planeten des äußeren Sonnensystemrandes, wo sie über eine unendlich scheinende Brücke auf seltsamen Schiffen zusammen mit an Indianer erinnernden Ureinwohnern schließlich zu einem vorläufigen wie tragischen Ziel kommen. Auch wenn der Autor Forest davon spricht, dass sein Partner und Zeichner Paul Gillon zur realistischen Garde zählen müsste, ist diese Anmerkung nicht gänzlich richtig. Die Farbgestaltung ist ein weniger dezenter als in den „Perrry“ Comics der späten sechziger und frühen siebziger Jahre, aber die Flora/ Fauna, denen die Reisenden begegnen, ist deutlich exotischer. Dabei reicht das Spektrum von sprechenden lila Fröschen bis zu überdimensionalen und ein wenig unförmigen Seepferdchen, die ihre Dienste nicht gegen Decken mit Portraits des amtierenden Präsidenten, sondern lieber gegen Alkohol eintauschen, so lange es keine Schwierigkeiten gibt. Im All treffen sie in einem Raumschiffwrack auf einen Teil der Plage,  der sich aus einzelnen mechanischen Teilen zu einem intelligenten Lebewesen zusammensetzen kann. An einer anderen Stelle erinnern die Außerirdischen eher an eine Rattenplage, die sich an Bord eines Raumschiffs breit macht. Hinzu kommen surrealistische Ideen von schwerfällig sich bewegenden Robotern, die in Anlehnung an die alten Brunnenfiguren Valerie ähnlich sehende Gesichter auf der Brust tragen. Forest und Gillon legen in diesem Auftaktband ein erstaunliches Tempo vor. Die einzelnen Episoden gehen ineinander über und der Leser kann mit Mühe die einzelnen, im Hintergrund ablaufenden immer wieder die Suche überdeckenden Ereignisse zuordnen. Da werden Menschen in letzter Sekunde aus bedrohlichen Situationen auf der Venus mit ihrer gigantischen Basis gerettet oder Christopher flieht ohne Probleme natürlich mit der Hilfe von Mara vor ihren Rettern, um ihm aufgegebenen Sonnensystem zu bleiben, während auf den anderen Planeten das exotische Leben sich fortsetzt. Auch wenn die Angriffe der Plage so effektiv wie tödlich sind, hat der Leser an keiner Stelle das nachhaltige Gefühl, als würden die leicht bekleideten Protagonisten wirklich gehetzt werden. Viel eher sucht Christopher in dem Chaos stoisch nach seiner Valerie.

Auch wenn diese Abschnitte überstürzt und zu hektisch erscheinen, wird der Zuschauer in doppelter Hinsicht nicht nur visuell befriedigt. Mit Mara fügt man eine interessante Figur dem Geschehen hinzu. Ihre Liebe ist fast devot sklavisch, dass die einen der Einheimischen rücksichtsvoll von hinten ersticht, damit er Christopher nicht zu seinem Ziel bringt. Jeder Schritt dieser Odyssee wird von neuen Fakten begleitet und wenn die sprechenden Frösche am Ende des ersten Albums ein Menschenopfer verlangen, dann stehen nicht viele der wichtigsten Charaktere nachhaltig zur Auswahl. Wenn bei der Rettungsaktion einer U- Boot Besatzung in den erstaunlich irdischen Meeren der Venus die intelligenten wie verschlagenen als Reittiere missbrauchten Ureinwohner sterben, leidet man eher mit als wenn der unnahbare Christopher wieder einen Schritt näher an die entschwundene Valerie herankommt. Es sind die exzentrisch, exotischen Nebenfiguren, die zusammen mit dem teilweise archaisch jeglichem wissenschaftlichen Wissen widersprechenden Hintergrund den Reiz dieser zeitlosen Geschichte ausmachen. Im Gegensatz den Raumzeitagenten „Valerie & Veronique“ oder der ambivalenten „Luc Orient“ Serie, selbst in einem direkten Kontrast zu der ebenfalls jetzt laufenden „Hans“ Neuauflage sucht sich “Die Schiffbrüchigen der Zeit“ einen eignen Weg. Viele Quellen sprechen davon, dass der Titel eine Hommage an den ersten Teil von Jules Vernes Roman „Die geheimnisvolle Insel“ ist. Im Original heißt dieses Teilkapitel „Die Schiffbrüchigen des Luftmeeres“ und genauso kommt einem diese exotische wie exzentrische Geschichte auch vor. Sie könnte genau ausschließlich auf einem fremden, jeglichen Naturgesetzen widersprechenden Planeten spielen. Vielleicht ist das auch der größte Reiz dieses Auftaktromans. Die Handlung ist kaum zu greifen und der Leser wird wie der teilweise zu wenig herausgeforderte und angesichts eines Zeitraums von mehr als eintausend vergangenen Jahren kaum orientierungslose Christopher eher mitgerissen als das er aktiv eingreifen darf. Zurück bleibt ein in der Neuauflage ansprechend nachgedrucktes Abenteuer aus den grenzenlos phantastischen sechziger Jahren, das schon bei der ersten Komplettveröffentlichung als Album irgendwie aus der Zeit gefallen erschienen ist. Lesens- und vor allem wieder entdeckenswert ist die gegen jede Logik ablaufende Handlung auf jeden Fall.        

 

AutorJean-Claude Forest
ZeichnerPaul Gillon
EinbandHardcover
Seiten56
Band1 von 10
Lieferzeit3-5 Werktage
ISBN978-3-95839-100-0
erscheint am:01.05.2015
Kategorie: