Borderline

Borderline, Rezension, Lawrence Block,
Lawrence Block

Hard Case Crime hat im Laufe seiner langen Geschichte einige bislang in Vergessenheit geratene Romane von Lawrence Block neu mit verführerischen Titelbild veröffentlicht. In dieser Galerie reiht sich „Borderline“ bestehend aus dem 1962 veröffentlichten den Titel bestimmenden Kurzroman und drei Kurzgeschichten fast nahtlos ein. Viele Themen vor allem seiner schon im Rahmen der „Hard Case Crime“ veröffentlichten Romane greift der Amerikaner in dieser im Niemandsland zwischen der amerikanischen Grenze und Mexiko spielenden Geschichte wieder auf. Es sind die zufälligen Begegnungen von im Grunde sechs Charakteren – der einzige wahre Held dieser Story bleibt im Hintergrund und kann am Ende seine fünf Minuten des Ruhm ernten -, die vom Leben gezeichnet sind. Immer wieder hat Lawrence Block den professionellen Kartenspieler charakterisiert. Nicht selten in einem engen Zusammenhang mit den kleinen Trickbetrügern, die eher schlecht als recht sich durchs Leben schlagen und Schwierigkeiten bekommen, wenn sie ihre eigenen Regeln verletzen. Marty ist das Gegenteil. Ihm geht es gut. Er weiß, wie er diszipliniert beim Pokern Geld verdienen und gleichzeitig unauffällig leben kann. Sein Leben ist absolut geordnet, die Selbstdisziplin dominiert. Als er die attraktive frisch geschiedene Meg trifft, droht sein Leben kurzzeitig aus den Fugen zu geraten. Er trifft Meg im Park, wo sie sich pornographische Bilder anschaut. Sie verbringen einige Tage miteinander. Als er Meg in einen der vielen Clubs führt, in denen Live Sex Akte aufgeführt werden, droht sie ihn mit ihren Begierden zu übermannen. Auch wenn Marty das Leben in El Paso genauso wie in Juarez, Mexiko kennt, zieht er plötzlich einen Schlussstrich und schmeißt Meg aus seinem Haus. Dieser Bruch kommt aus dem Nichts und der Leser wartet immer auf den Moment, wo Marty für das Überschreiten der eigenen Grenzen quasi bestraft wird. In „Lucky at Cards“ kann sich im letzten Moment der ebenfalls professionelle Spieler während des finalen Showdowns retten, Marty macht bei einer arrangierten Kartenparty den Fehler, seinen Gegenspieler zu unterschätzen und verliert für die damalige Zeit eine Menge Geld, das ihm aber nicht weh tut. Marty ist der einzige Charakter, der am Ende dieser kurzweilig zu lesenden Geschichte, durch eigene Konsequenz sein im Grunde einsames Leben weiterleben kann.

Sehr viel härter trifft es die siebzehnjährige Lily, die von den Eltern ausgerissen, von ihrem Freund zur Prostitution gezwungen wird. Sie ist selbst kein Kind von Traurigkeit und Lawrence Block impliziert, das sie immer wieder experimentiert hat. Als der Freier sie verlässt, ist auch ihr Freund über alle Berge. Mit wenigen Dollars kommt sie in El Paso an, weil sie in Mexiko Verwandte hat. Sie lernt die rothaarige Cassie kennen, die sie in einem schmierigen Club zu einem lesbischen Akt auf der Bühne überredet. Anschließend bedienen die beiden Frauen die Freier. Lily ist eine einsame getriebene Frau, die davon träumt, nach New York zu kommen. Sie ist attraktiv und selbstbewusst. Prostitution ist für sie eher ein widerwilliges Mittel zum Zweck. In dem Sexclub führt Lawrence Block mit Marty & Meg sowie Lily & Cassie gleich vier Charaktere zusammen. Weaver ist der Verrückte, die auf bestialische Art und Weise immer wieder Frauen tötet. Mit seinem Rasiermesser hat er allerdings Spuren hinterlassen. Also muss er auch in Richtung Mexiko fliehen. Während Lawrence Block seine „Grifters“ sehr realistisch, sehr dreidimensional beschreibt, wirkt der sadistische Psychopath eher wie ein Vehikel, um den Roman auf eine dramaturgisch konstruierte Art und Weise zu beenden. Immer an der Grenze der Erträglichkeit beschreibt der Autor, wie Weaver zwei Frauen tötet und sich dabei irgendwo zwischen eitler Selbstgefälligkeit und kleinkindlicher Angst vor Entdeckung/ Bestrafung bewegt. Vielleicht ist Weaver wie in Lawrence Blocks Sexcrime Roman „Shooting Off“ ein Kompromiss gegenüber dem Krimileser. Interessant ist, dass alle anderen Protagonisten mehr oder minder freiwillig ihre in erster Linie sexuellen Erfüllungen finden und jenseits der Grenze ihre dünnen Mäntel der Zivilisation fallen lassen, während Weaver nur mit dem Rasiermesser sadistisch sexuelle Befriedigung findet. In einigen anderen Lawrence Block Romanen sind es die Psychopathen, welche mit Sex und Gewalt sich nicht selten indirekt nur selbst befriedigen. Das Ende des Romans ist eher pragmatisch. Weaver begegnet zwei anderen Hauptfiguren und Lawrence Block beendet seinen erotischen Reigen zwar mit einem Paukenschlag, der aber zu viele offene Flanken hinterlässt. Kritisch gesprochen soll es schockierend sein, dass zwei der Menschen, die der Leser auf den voran gegangenen Seiten positiv wie negativ kennen gelernt hat, ausgelöscht werden. Aber die Situation wirkt zu unvorbereitet und die Handlung vor allem angesichts des bisherigen Vorgehens zu wenig konsequent. Es lässt sich gegen die Aktionen eines Psychopathen nicht an diskutieren, aber der grundlegende Bogenschlag zu einigen Handlungsebenen des Buches wirkt zu ambivalent gestaltet.

Lawrence Block beschreibt das zügellose Leben jenseits der Grenze. Den Schmelztiegel aus Leidenschaften und Abhängigkeiten. Selbst der Clubchef erweist sich nicht als der reine Engel, der seine Mädchen in Ruhe lässt und damit Geld verdient, seine Leidenschaften ist anders gelagert. Der Weg mag anders sein, das Ergebnis ist bei Lawrence Block immer gleich. Obwohl vor mehr als fünfzig Jahren das erste Mal erschien wirkt der vorliegende Kurzroman sehr modern. Sexuell impliziert, aber nicht immer expliziert, kontinuierlich die erotische Spannung und vor allem das Erfüllen von Sehnsüchten, in erster Linie gesteuert von Frauen erfüllend dominieren die von Lawrence Block unangenehm realistisch beschriebenen Charaktere, während die Grundhandlung eher improvisiert erscheint und das Ende nicht gänzlich befriedigt.        

 Die beiden kürzesten Texte der Sammlung „A Fire at Night“ – 1958 im Magazin „Manhunt“ erschienen – sowie „The Burning Fury“ – ein Jahr später in „Offbeat Detective Stories“ – nehmen einige Aspekte aus „Borderline“ wieder auf. Es sind Psychopathen, die Lawrence Block beschreibt. Sie wissen um ihre negativen Obsessionen und können sie nur teilweise unter Kontrolle halten. Die Impulse scheinen von außen zu kommen Während „A Fire at Night“ eher geradlinig mit diesen Ideen umgeht, verführt Block mit fast sadistischem Vergnügen des Leser, gaukelt ihm die Illusion einer „Femme Fatale“ vor, die in dem einfachen Waldarbeiter tiefe Narben hinterlassen hat. Das Ende kommt in dieser Hinsicht überraschend und ist brutal offen. Der Aufbau der erotischen Spannung, die sich auf eine unerwartete Art und Weise entlädt, ist dabei sehr gelungen.

 „Stag Party Girl“ erschien 1963 im „Man´s Magazine“.  Auch wenn der Titel suggeriert, dass es sich eher um eine von Blocks Halbweltgeschichten handelt, präsentiert der Autor im Grunde einen klassischen Ermittlungsfall mit einem privaten Ermittler, der von einem jungen, vor der Hochzeit stehenden Mann angeheuert wird, um ihn vor den aufdringlichen Anrufen und vielleicht auch Taten seiner ehemaligen Geliebten zu schützen. Als diese am Junggesellenabend nackt aus der Torte springt, wird sie erschossen. Auch wenn alle Verdachtsmomente gegen den jungen Mann sprechen, gibt es anscheinend noch sieben andere Verdächtige: alle Männer, die sich in dem Raum aufgehalten haben. Mit einem sympathischen Ermittler, der am Ende nicht wegen des Geldes, sondern alleine wegen der Ehre den Fall löst und einer interessanten Ausgangsprämisse präsentiert „Hard Case Crime“ auf den ersten Blick einen der zugänglichsten Blocks in dem speziellen Segment, das sie mit Vorliebe nachdrucken. Eine klassische Ermittlung nicht ganz auf Augenhöhe – der Leser erlebt zwar den wichtigen Hinweise live mit, aufgrund fehlender Hintergrundinformationen kann er ihn aber nicht zuordnen – mit der Überführung des Täters während des finalen Showdowns, in dem alle Fakten noch einmal aus einer latent anderen Perspektive präsentiert werden. Ausreichend alternative Verdächtige sind ebenfalls vorhanden, so dass der Leser wie der Detektiv lange Zeit puzzeln muss, um das Gesamtbild herzustellen. Wie in „A Fire at Night“ und „Borderline“ agiert schließlich ein kranker Psychopath hinter den Kulissen und wie in dem Kurzroman als auch der Geschichte ist es eine Obsession, die Katalysator der Ereignisse ist. Im Vergleich allerdings zu vielen anderen Storys dieser Zeit gewährt Block insbesondere seinen halbseidenen Damen eine respektvolle Behandlung und viele Klischees werden absichtlich umschifft, so dass von Beginn an der Verdacht im Detektiv geweckt wird. Interessant ist, dass wie in „Borderline“ vor allem die Frauen sexuell aufgeschlossener oder pragmatischer sind. Zwar endet die Geschichte mit einem Happy End nach der Aufklärung des Falls, aber dieses wirkt nicht zu sehr aufgesetzt und eine kleine Belohnung hat sich der Ermittler nach seiner ganzen Arbeit auch verdient.

Zusammengefasst ermöglicht „Borderline“ mit seinen drei Kurzgeschichten und dem Kurzroman einen ersten guten Einblick in die Bandbreite von Lawrence Blocks Schaffen, wobei die anderen bislang in der „Hard Case Crime“ Reihe veröffentlichten Texte teilweise vielschichtiger, exzentrischer und damit aus heutiger Sicht auch einzigartiger gewesen sind. 

Hard Case Crime, Tradepaperback, 240 Seiten

May 2014 ISBN: 978-1-78116-777-9
Cover art by Michael Koelsch

Kategorie: