Finderlohn

Finderlohn, Stephen King, Rezension, Thomas Harbach
Stephen King

„Finders Keeper“ ist der zweite Roman einer locker eher über die zahlreichen Figuren miteinander verbundenen Trilogie um den im Ruhestand befindlichen Detektiv Bill Hodges, der in "Mr. Mercedes" ja direkt unter Einsatz seines Lebens und vor allem auch persönlichen Opfern aus seinem unmittelbaren Umfeld den wahnsinnigen Massenmörder zur Strecke gebracht hat. Gegen Ende des stringenten Plots im vorliegenden "Finders Keeper" - so heißt auch seine Agentur - greift Hodges ebenfalls mehr oder weniger aktiv in das Geschehen ein. In erster Linie ist der vorliegende Roman aber eine weitere Auseinandersetzung mit der Obsession von Fans. Als erstes wird vielen Stephen King Lesern der auch exzellent adaptierte "Mysery" einfallen. Dieser Vergleich geht so weit, dass Stephen King wieder zu einer seiner sehr markanten Schwächen zurück gekehrt ist. Das Ende des Buches ist nicht zufriedenstellend und stellt eine Variationen einiger Ideen aus "Mysery" da. In beiden Fällen wird mittels Feuer der bis dahhin fast unüberwindliche Antagonist endgültig aus der Reserve und in den latent die ganze Zeit vorhandenen Wahnsinn gelockt. In beiden Finals zeigt Stephen King, das das Leben an sich wichtiger als jede literarische Arbeit ist. Im Gegensatz allerdings zu "Mysery", in der diese fiktive wie kitschige Roman einen elementaren Bestandteils des Buches bildet, weitet Stephen King in "Finders Keeper" das Spektrum nicht nur deutlich aus, er relativiert den literarischen Einfluss eines verschlossenen wie exzentrischen Dichters und zeigt an seinem Hauptwerk - bestehend aus drei veröffentlichten und zwei nur in den Notizbüchern vorliegenden Fortsetzungen - auf, wie schwierig es ist, den Erwartungen der Öffentlichkeit gerecht zu werden und gleichzeitig als Künstler authentisch zu bleiben. Sein Autor John Rothstein ist eine interessanter Mischung aus John Updicke, Philip Roth, J.D. Salinger und hinsichtlich der Popularität seines Werkes auch Stephen King.  

Wie in "Mr. Mercedes", der viel mehr als eine klassische und damit vielleicht stellenweise auch klischeehafte "Detektiv" Geschichte ist, agiert Stephen King auf zwei Ebenen. Da wäre die Interaktion zwischen den unterschiedlichen Charakteren wie auch die Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Alptraum einer schweren Rezession, dessen Wurzeln in der Finanzkrise zu suchen sind. Interessant ist, dass Stephen King aus der Vergangenheit der siebziger Jahre kommend den Bogen in diese aus heutiger Sicht schon wieder nähere Vergangenheit schlägt.

 Während das Ende sehr nahe an "Mysery" dran ist, wirkt der Prolog ähnlich, ist aber absichtlich anders gestaltet. In "Misery" ärgert sich Fan Nummer eins Annie Wilkes über das Schicksal einer offensichtlichen Trivialprotagonisten und zwingt den Dichter, ein ihr genehmes weiteres Buch gegen dessen Willen zu schreiben. Zu Beginn von "Finders Keepers" dringt Morris Bellamy in das abgeschieden gelegene Haus John Rothsteins ein. Er will nicht nur Geld stehlen, sondern dem zurück gezogen lebenden amerikanischen Genie die Meinung sagen. Denn Morris Bellamy ist der Meinung, dass Rothstein seinen wichtiger Protagonisten an das Establishment verkauft hat. Als Leiter einer Werbeagentur wirkt dieser Jimmy Gold auch sein. Der Unterschied zwischen "Misery" und "Finders Keeper" ist, dass Sheldon mit seiner Protagonistin abgeschlossen hat, während  Rohtstein als bitterböse Ironie  tatsächlich eingesehen hat, das der schwächste dritte Roman um Jimmy Gold so nicht stehen gelassen werden kann. Der Leser lernt Rothstein zu kurz kennen und alle weiteren Informationen sind eher opportunistisch, um sich eine eigene Meinung zu bilden. Aber in seinen zahlreichen Notizbüchern hat Goldstein tatsächlich Jimmy Golds Geschichte weiter geschrieben und vor allem mit den beiden Fortsetzungen wahrscheinlich den legendären amerikanischen Roman geschrieben. Wie ein MacGuffin zieht sich auf beiden Handlungsbüchern die magische Wucht dieser Bücher durch die Handlung. Bellamy erschießt Goldstein aus Wut, versteckt die Beute, tötet seine Mittäter und wird verhaftet. Nicht wegen dieses Verbrechens, sondern weil er alkoholisiert eine Frau vergewaltigt und schwer verletzt hat. Er muss dreißig Jahre im Gefängnis verbringen. Nur die Sehnsucht nach Goldsteins Notizbüchern und dem Geld hält ihn aufrecht. Während dieser zusammengefassten Gefängniszeit mit zahlreichen Vergewaltigungen - Stephen King betraft Sexualverbrechen umgehend - Bellamys wird der Leser an die ebenfalls verfilmte Geschichte "Rity Hayworth and Shawshank Redemption" erinnert, denn als Verfasser von Briefen, Eingaben oder kleineren Hilfen im alltäglichen Leben etabliert sich Bellamy im Gefängnis, bevor er entlassen wird. Er kehrt an den Ort zurück, an dem er die Notizbücher und das Geld versteckt hat. Nur fehlt beides in der Truhe.   

 Das weiß der Leser inzwischen den der junge Pete Saubers - sein Vater ist beim brutalen Angriff mit dem schweren Mercedes in "Mr. Mercedes" verletzt worden - hat beides im Garten des Hauses gefunden, das seine Familie und er eine Generation nach Bellamy bewohnen. Mit dem Geld hat er anonym seiner Familie geholfen. Bei den Notizbüchern hat er erkannt, dass es sich um das literarische Vermächtnis Goldsteins handelt. Da Saubers selbst eine Leseratte ist, entdeckt er die Geschichten für sich. Als das Geld alle ist und seine Schwester auf College möchte, entschließt er sich, einige der Notizbücher zu verkaufen und öffnet damit die Büchse der Pandora.

Als Krimi ist "Finders Keeper" relativ stringent.  Ein Verbrechen in der Vergangenheit, der psychopatische und von seinem Fund besessene Täter kehrt zurück und will seine Beute unbedingt haben. Die unschuldigen Opfer werden bedroht. Durch diese Gefahr wird Saubers endgültig zum Mann. Hilfe erhält er nur bedingt durch den im Grunde dieses Mal am Rand stehenden Hodges. Es gibt einige brutale Szenen, die den Horrorszenen in seinen früheren Büchern entsprechen. Das Sterben wird immer schwieriger. Während Rothstein quasi im Off erschossen wird, ist die Hinrichtung der eigenen Komplizen nicht mehr so einfach. Die finale Auseinandersetzung folgt den bekannten Mustern. Am Ende gereift gibt es für Pete Saubers mit seiner Familie zumindest ein kleines Happy End, wobei der gereifte Stephen King bei einer Schocksequenz im Grunde zurückzieht und die morbide Erwartungshaltung der Leser unterminiert. Solide geschrieben, durchaus interessant, aber nicht grundlegend spannend.  Stephen King ist positiv erfahren genug, um die verschiedenen Handlungsebenen miteinander zu verbinden und vor allem Pete vor eine schwierige Entscheidung zu stellen, die nur bedingt einen Gang zur Polizei noch erlaubt. Auch mit den Urängsten des Teenagers sowie der Furcht vor Strafe – sie wird meistens nicht von den Behörden ausgesprochen, sondern kommt in Form des schwarzen Mannes, der dieses Mal Bellamy heißt – geht der Amerikaner sehr gut und vor allem überzeugend um. Das Buch ist kompakt und durch die zwei Handlungsebenen gut strukturiert.

Was „Finders Keepers“ am im Vergleich zum deutlich simpler angelegten „Mr. Mercedes“ wieder zu einem souveränen Stehen King macht, ist die vielschichtige Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Autor und seinen Lesern. Das in Beschlag nehmen;  die verzerrte Wirklichkeit, das der Kaufpreis eines Buches wie das Ticket zu einer Veranstaltung den Kunden zu einem König macht und vor allem die Obsession mit einem Stoff jenseits aller Realitäten durchdringen die Krimihandlung und drängen sie an die Wand. Auf der einen Seite hat Stephen King einer Vielzahl von Autoren unabhängig von Rothsteins Ende ein Denkmal gesetzt.  Wie Pynchon hat Rothstein einen wichtigen Literaturpreis nicht angenommen. Hollywood hasst er und weigert sich, die Rechte an seinen Büchern zu verkaufen. J.D. Salingers Rebell aus “Fänger im Roggen” erscheint zwischen den Zeilen. Vor allem die Idee, dass Rothstein wie Salinger ihr Leben lang geschrieben haben, ohne zu veröffentlichen, muss Stephen King neugierig gemacht haben. Kein anderer Schriftsteller hat sie viele und auch so gute wie erfolgreiche Bücher in der langen Zeit seiner Karriere veröffentlich wie King. Er ist das genaue Gegenteil von Rothstein oder Salinger. Es ist vielleicht schade, dass der Amerikaner nicht weiter versucht hat, in die Persönlichkeiten dieser exzentrischen Menschen einzudringen. Aber wie kaum ein anderer Autor ist sich Stephen King seiner literarischen Grenzen bewusst und ist absichtlich dicht an realen Vorbildern geblieben. Aber so konträr Saubers und Bellamy auch nicht, sie verbindet aus unterschiedlichen Gründen die Liebe zur Literatur. Ohne entschuldigen zu wollen, zeigt er ihre sehr verschiedenen Wurzeln – Rezession und zerrüttetes Elternhaus -  und das Bücher sie gerettet haben. Das Ende ist süßsauer, aber effektiv.

Zusammengefasst ist „Finders Keeper“ weniger wegen der Handlung – die ist mindestens grundsolide – sondern wegen den ausgesprochen lebendigen, so unterschiedlichen Charakteren inklusiv einer weiteren überzeugenden „Coming of Age“ Geschichte sowie der Auseinandersetzung mit der in erster Linie modernen amerikanischen Literatur ein weiterer empfehlenswerter Stephen King Roman, der zeigt, dass der Autor immer wieder positiv gesprochen bereit ist, aus seinem Werk bekannte Themen für das 21. Jahrhundert aufzuarbeiten.  

       

  • Gebundene Ausgabe: 544 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (8. September 2015)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453270096
  • ISBN-13: 978-3453270091
  • Originaltitel: Finders Keepers
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