Fräulein Schmidt und das Geheimnis der Pyramiden

Frl. Schmidt und das Geheimnis der Pyramiden, Wilko Müller, Rezension, Thomas Harbach
Wilko Müller jr.

Das dritte Abenteuer der Maya Göttin Fräulein Schmidt und ihrem anscheinend zum Geliebten aufgestiegenen Antiquar Wichowski ist der bislang beste Teil der Serie. Während die Suche nach dem Atlantis Mythos in der Ukraine geographisch auf jeden Fall neue Fakten des mystischen Universum hinzufügte, baut Wilko Müller im vorliegenden Abenteuer neben den historischen Fakten auf politische Querverbindungen zum arabischen Frühling. Hinzu kommt, dass dieses Mal zwar Thor keine Rolle spielt, aber durch das Beschreiben der Vorgehensweise der ägyptischen Götter eine durchaus selbstironische, aber relevante Nebenhandlung eingebaut wird. Ausgangspunkt ist aber eher  ein Indiana Jones Szenario. Forscher haben die Erlaubnis erhalten, die Pyramiden mittels modernster Technik mit Roboter für die kleinen Gänge zu untersuchen. Hinzu kommt der Einsatz seltener Metalle, welche die Götter in ihrer Astralebene zu stören beginnen. Die Störung ist selbst gewählten, aber nicht unbedingt friedlichen Exils könnte Folgen für die Gegenwart haben, zumal die Gefahr durch die Alten – beschworen in „Fräulein Schmidt und die Suche nach Atlantis“ – noch immer nicht nachhaltig genug gebannt worden ist. Aus dem zweiten Abenteuer ist auch die Idee der Loge des Weißen Lichts übernommen worden, in deren Besitz sich ja das seltene Schriftstück Da Vincis befindet. Der neue Chef der Loge muss nicht nur erklären, warum der alte Logenmeister in Mittelamerika verschwunden ist  - er will das Ende der Welt beschleunigen- , sondern vor allem auch gegenüber den einzelnen Mitgliedern und dem Finanzamt, wohin einige Millionen gegangen sind. Dabei muss er auch noch seine eigene Reise nach Atlantis / in die Ukraine umschiffen, bei der er einen persönlichen Verlust erlitten hat. Wilko Müller deutet diese „alltäglichen“, aber auf nicht alltäglichen Ursachen basierenden Punkte wie potentielle Geldwäsche insbesondere in der ersten Hälfte des Romans an, wobei er sie im rasanten, aber in diesem dritten Abenteuer besser strukturierten Showdown wieder aus den Augen verliert. Sonst wäre das Büchlein sicherlich umfangreicher geworden und der sehr stringente Lesefluss gehemmt worden.

Auch die Beziehung zwischen Fräulein Schmidt und ihrem Arbeitgeber Wichowski wird weiter extrapoliert. Dabei reicht das Spektrum vom Bekochen bis zu einigen verzerrenden Blicken. Weiter geht der Autor bei dieser fast aus den Comics  stammenden Beziehung zwischen Chef und einziger Angestellter, zwischen Gott und im Grunde weltfremden Buchmenschen noch nicht, aber der Figur der Fräulein Schmidt fehlt auch ein wenig die intelligente Scharfzüngigkeit der ersten beiden Abenteuer. Es wäre schön, wenn Wilko Müller seine vielschichtige Protagonistin wieder dem ersten Abenteuer anpasst, in dem sie unscheinbar und intelligent, scharfzüngig und doch auch ein wenig einfühlsam gewesen ist. Der Hinweis, dass sie inzwischen einer Art Lara Croft ähnelt, zeigt die Richtung, in welche sich der zweite und dritte Band entwickelt haben, während Wilko Müllers Fräulein Schmidt anfänglich tatsächlich an die Adele aus den Tardi Comics allerdings ohne göttlichen Hintergrund erinnert hat. Diesen Aspekt der vielschichtigen Figur hat Luc Besson in seiner grundsätzlich unterhaltsamen Adaption sehr gut umgesetzt.

Der Handlungsbogen selbst ist wie schon eingangs erwähnt von sehr konträren Geschichten dominiert. Da wäre der Konflikt der Göttersöhne, eher wohlwollend von den entsprechenden Göttern begutachtet, der für diese übernatürlichen Mächtigen eher wie ein Ringen ausschaut, während es auf der Erde fatale Folgen hat. Wilko Müller beschreibt dabei sogar mindestens einen fiktiven Terroranschlag, was er nicht nur in diesem Nachwort, sondern seinen Anmerkungen am Ende des vierten Bandes der Serie mit Unbehagen relativiert. Dabei schiebt der Autor sehr positiv nicht die Schuld auf die emotionalen Götter der ägyptischen Mythologie, sondern sieht sie eher als Katalysator einer Entwicklung, welche die Menschen grundsätzlich alleine zu verantworten haben. Das die Rettung alleine vorläufig auf der Götterweltebene funktioniert, ist allerdings reines Wunschdenken und wird vom Autor auch negiert. Interessant ist, dass diese ägyptischen Götter aus ihrer Welt die Entwicklung der Menschen relativ genau beobachtet haben und sich einige zynische Bemerkungen hinsichtlich der niederen Evolution der Menschen nicht verkneifen können. Ohne in die politischen Details der verschiedenen Konflikte in Nordafrika einzugehen, zeigt Wilko Müller weiterhin das Bild einer in sich zutiefst zerrissenen Gesellschaft, die Touristen entweder als Heilsbringer oder Fluch ansieht. Zumindest erreicht er mit den dunklen Wolken eine Atmosphäre, welche Filmen wie „Die Mumie“ – auch diese Trilogie wird angesprochen, so dass sich der Autor weiterhin eng in einem für den Leser greifbaren cineastischen Universum bewegen kann – in ihren Actionszenen sehenswert machte, die der Leser spüren kann. Hinsichtlich der Götter gibt Wilko Müller unauffällig über den Text versteckt einzelne Hinweise, ohne belehrend zu agieren. Sein Interesse ist es, nicht nur einen reinen Abenteuerstoff, eine fiktive Geschichte eng an die Gegenwart angelehnt zu erzählen, sondern den Leser auch auf eine kleine Wissensreise mitzunehmen. Diese Vorgehensweise hat schon die Suche nach Atlantis an einem ungewöhnlichen Ort zu einer positiv gesprochen Expedition im Fernsehsessel gemacht und hinsichtlich der Erforschung insbesondere der Cheops Pyramide fügt der Autor unauffällig noch einige Fakten hinzu. Dabei geht es andere Wege als die klassischen Abenteuerstoffe und versucht verschiedene Geheimnisse zu erklären, um im Gegenzug mit der Verwendung von Kupfer als Griff in einer ansonsten eher als Luftschacht deklamierten Kammer gleich andere Fragen zu stellen. Diese Ambivalenz macht neben der genauen Beschreibung des modernen Ägypten vor dem Hintergrund der inneren Zerreißprobe den exotischen Realismus dieser Reihe aus. Auch bei der Reise in die Ukraine hat der Autor hinsichtlich der Menschen und dem Hintergrund alle Klischees umschifft und sich bemüht, ein humanistisch positives Bild dieser Region zu zeichnen.

Während sich insbesondere in den ersten beiden Bänden die Reise zum Ziel insbesondere im Vergleich zum Showdown deutlich länger hingezogen hat, wirkt der vorliegende Roman besser strukturiert. Zwar erreichen Fräulein Schmidt und ihr Antiquar auch erst knapp vor der Hälfte des Plot Ägypten, aber bis dahin sind viele Fakten etabliert und der Leser kann sich im  Vergleich zu den Protagonisten schon ein umfangreicheres Bild machen, so dass in die zweite Hälfte des Buches nicht mehr zu viel hineingepackt werden muss und der Handlungsbogen sich effektiver und vor allem auch packender entwickeln kann. Am Ende findet die finale – das ist eher wie bei allen Büchern der Serie metaphorisch zu verstehen – Auseinandersetzung nicht in der Gegenwart der Leser statt, sondern in einer mystischen Anderswelt, so dass Fräulein Schmidt wie es sich gehört entschieden „dazwischen schlagen“ kann/ muss und insbesondere die Götter verblüfft.

In das Ende hat der Autor aber auch einen weiteren, die nächsten Romane umspannenden Hinweis eingeflochten, der vielleicht nicht jeden Leser nachhaltig zufrieden stellen wird. Zu Beginn der Serie ist Wichowski ein ältere, weltfremder Antiquar gewesen, der aus seiner umfangreichen Bücherwelt kommend nicht nur mit einer Göttin als Assistentin, sondern vor allem der wahren Existenz vieler Legenden wie Lovecrafts Alten konfrontiert worden ist. Fräulein Schmidt hat ihn im zweiten Roman um zwanzig Jahre jünger und damit auch kraftvoller gemacht. Diese Entwicklung hat die Figur gut überstanden. Am Ende des Buches gibt es weitere Hinweise in eine andere, eher übernatürliche Richtung. Es stellt sich die Frage, warum der Autor den interessanten Gegenpol zur überaus aktiven Fräulein Schmidt nicht so gelassen hat. Als Figur steht Wichowski im Grunde für die Leser, die plötzlich aus ihren Träumen in Abenteuer gerissen werden, in denen nicht nur die Zukunft der Welt – das dritte Mal innerhalb eines Jahres, wie selbst einer der Protagonisten zugeben muss – auf dem Spiel stellt, sondern sein bisheriges Weltbild auf den Kopf gestellt wird. Dieses Potential ist nicht ausgeschöpft, zumal Wichowski in erster Linie auf den Reisen zu den exotischen Orten in Erscheinung tritt und während der finalen Auseinandersetzungen sich wie alle anderen mehr oder minder interessant gezeichneten Nebenfiguren im Hintergrund bewegen muss. Es wäre schön, wenn Wilko Müller in den folgenden Büchern diese Entwicklung nicht weiter extrapoliert, sondern die Figur Wichowskis zugänglicher lässt. Nur Götter in verschiedenen Konflikten können auch eine Art „Overkill“ sein.

Zusammengefasst stellt „Frl. Schmidt und das Geheimnis der Pyramiden“ – in dieser Hinsicht liefert der Autor tatsächlich im Vergleich zu vielen anderen Texten – den bislang besten Roman der Serie dar, in dem Plotaufbau, Hintergrund und die einzelnen sympathisch exzentrischen Figuren sehr gut bis zum finalen Showdown miteinander harmonieren.     

Fräulein Schmidt und das Geheimnis der Pyramiden
Phantastische Erzählung
Taschenbuch, 176 Seiten
Projekte-Verlag Cornelius 2013
ISBN 978-3-95486-236-8

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