Hitler has won

Hitler has won, Mullally, Rezension
Frederic M. Mullally

Mitte  der siebziger Jahre erschien der einzige phantastische Roman des britischen Journalisten und Thriller Autoren Frederic  Mullally, in dem er wie der Titel suggeriert den Sieg der Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg ausgesprochen sachlich aus der allerdings subjektiven Perspektive eines kleinen aber aufrechten deutschen Lichts – dem Akademiker Kurt Ambrecht – beschreibt. Rückblickend ist der Titel des Buches nicht ganz richtig, denn im Gegensatz zu einigen anderen Büchern wie Len Deightons Thriller „SS GB“ oder Otto Basils Satire „Wenn das der Führer wüsste“  will Mullally den endgültigen Sieg der Faschisten nicht auf sich beruhen lassen und lässt das Reich förmlich am Ende des Buches an einem Machtvakuum implodieren, weil der Führer seine geistlich göttliche Seite entdeckt hat. Interessant ist dabei zusätzlich, dass Mullally wie in der Realität zwei strategische Schwachpunkte ausmacht. In seiner Fiktion hat Hitler erst einmal bis auf Großbritannien den Krieg in Europa gewonnen, weil er den Balkan nicht auf Drängen der Italiener vor dem Russlandfeldzug angegriffen und damit seine eigene Planung um fünf Wochen verschoben hat. Die Geschichte beginnt im Jahre 1942/ 1943. Russland hat teilweise kapituliert und die Armee hat sich hinter den Ural zurückgezogen, den die deutschen Truppen als neue Grenze sehen. Die Japaner haben trotz ihrer Machtgelüste nicht die USA angegriffen oder im asiatischen Raum wichtige strategische Inseln. Dadurch sind die Amerikaner nicht in den Krieg eingetreten und bis auf die Auseinandersetzung mit den Briten vor allem in Afrika herrscht vorläufig Ruhe in Europa. Hitler möchte nur die Fortsetzung zu „Mein Kampf“ schreiben. Das Buch soll „Mein Sieg“ lauten. Dazu wird der junge Akademiker und ausgezeichnete Soldat Kurt Ambrecht – er hat einen Arm im Krieg verloren – eingeladen, die Gedanken Hitlers zu Papier zu bringen. Er arbeitet nicht nur in Berlin, wo er unter anderem auch die zahllosen Gesprächsnotizen nutzen kann, sondern auch in den Alpen. Die ersten Begegnungen mit dem Führer beeindrucken Ambrecht. Der Autor zeichnet ihn dabei als eher naiven Opportunisten, der nicht glauben will, dass in den Konzentrationslagern die Regimegegner wie Juden zu Hunderttausenden ermordet werden. Später auf einer Außenreise wird ihm das Grauen vor Augen geführt und die ersten Risse in seiner Bewunderung nicht nur gegenüber dem Führer, sondern vor allem den egoistischen und egozentrischen Vasallen Hitlers gegenüber erscheinen. Während Mullally vielleicht ein wenig unglaubwürdig und zu sehr phantastisch die Liebesgeschichte mit der sexuell mehr als aufgeschlossenen Sekretärin und Armbrecht beschreibt, wirkt das Szenario des Obersturmbandführers der Leibstandarte sehr viel realistischer. Er hat ein Auge auf Armbrecht hübsche Schwester geworfen und erpresst sie schließlich, in dem er ihren Vater in das Konzentrationslager Dachau bringen lässt. Armbrecht muss erkennen, dass selbst die Nähe zum Führer ihm erst einmal nicht helfen kann. Auch wenn diese persönlichen Aspekte die teilweise Machtlosigkeit der Langzeitblinden unterstreichen soll,  dienen sie eher als Versatzstücke in einer ansonsten politisch brillant entwickelten Theorie hinsichtlich der Beschaffenheit des Reiches – immer auf sehr tönernen Füßen – nach dem Sieg, aber nicht dem Endsieg. Armbrecht ist vielleicht zu sehr der rote Faden und der finale Showdown inklusiv des entsprechenden Blutbades unterminiert die grandiosen, provozierenden Bilder, die Mullally mit Fortschreiten der Handlung malt, aber sie dienen auch dem Leser, um wieder in die Romanhandlung mit ihrer Stringenz zurückzufinden.       

Es ist das Bild der deutsch nationalsozialistischen Gesellschaft, das lange nachhält. Dabei beginnt es im Kleinen mit den spitzelnden Nachbarn, immer darauf bedacht, den Speichelleckern der Gestapo direkt oder indirekt zu Willen zu sein. Mullally beschreibt die Brutalität und Grausamkeit, mit welcher vor allem junge Mädchen aus Osteuropa in den deutschen Haushalten zu Tode geschunden werden, wobei die deutschen Hausfrauen im Gegensatz zu den Frauen im Bund deutscher Mädels mit ihrer Lebensbornphilosophie darauf achten, dass ihre Männer sich nicht an den Sklaven die Hände oder mehr schmutzig machen. Gigantische Bauten in Berlin und wirtschaftlicher Stillstand im übrigen Land. Hinzu kommt, dass Goebbels als Opportunist alles unter Kontrolle halten möchte, während Göring immer wieder nach zu stellenden Kunstschätzen schaut. Viele Generäle wie Kesselring oder Rommel agieren ihrem Land und weniger den Anführern ergeben an den verschiedenen Fronten des Landes. Hitler selbst sieht sich auf dem Gipfel seiner Macht. Als militärisches Genie hat er Europa mit seiner Taktik besiegt. Er ist überall und allgegenwärtig. Mullally zeichnet ihn aber auch als Asketen, verliebt in seine Nichte, die 1931 Selbstmord begangen hat. Eva Braun ist eher ein lästiges Anhängsel, das im Laufe der Handlung buchstäblich ausquartiert wird.

Die große Stärke des Buches liegt auf den historischen Fakten und vor allem zahlreichen bekannten Namen in der Extrapolation des siegreichen nationalsozialistischen Deutschlands.  Obwohl rückblickend die Zeit auch keine tausend Jahre umfasst, versucht Mullally einige Entwicklungen in einem kurzzeitig friedlichen Deutschland zu extrapolieren. Auf der anderen Seite vergisst er nicht, den Druck und die Kontrolle auf die eigene eingeschüchterte Bevölkerung im Inneren. Dieses Bild ist überzeugend und der Leser ist dank der absoluten taktischen Kontrolle Hitlers über seine Verbündeten auch davon überzeugt, dass Nazideutschland weiterhin im Wettstreit mit den USA die mächtigste Nation der Welt bleiben sollte. Der Bruch kommt fast aus dem Nichts und ist anfänglich so subversiv, dass der Leser es nicht glauben möchte. Aber Mullally nutzt auch hier historische Fakten.  Hitlers Größenwahn hat sich in der Realität in zahllosen Niederlagen nach Stalingrad und Fehlentscheidungen niedergeschlagen. In „Hitler has won“ wird Hitler von einem Priester buchstäblich verführt, an eine göttliche Fügung zu glauben. Er sucht in der Religion neue Ziele und schockiert damit nicht nur seinen Verbündeten Mussolini, dessen brüchiges Imperium er förmlich auflöst, sondern auch viele deutschen.   Mullally hat bis auf die Briten und ihrem einsamen Kampf – Hitler sieht sie aber eigentlich als die idealen Verbündeten im Vergleich zu den von ihm wenig geschätzten Italiener oder Japaner gegen Kommunisten und Juden – für alle anderen Spot über. Die Amerikaner halten sich mit Roosevelt aus vielen heraus, bis sie nicht mehr können. Der Vatikan mit seiner umstrittenen Neutralität als neues Ziel Hitlers muss seine Doktrin hinterfragen. Bizarr wird es, wenn Hitler beginnt, die Glaubenslehren der katholischen Kirche neu zu schreiben, während „Mein Sieg“ immer noch nicht fertig ist und sich zumindest indirekt als Gottes Botschafter, wenn nicht sogar Sohn siegt. Kritikern hält Mullally im Text entgegen, dass viele Diktatoren wie Napoleon in späteren Stadien an Größenwahn leidend sich gottgleich gesehen haben. Seine Extrapolation ist nicht unrealistisch, wenn auch die vollkommene Abschottung von seinen bisherigen Ratgebern als Zeichen der inzwischen vollständigen Paranoia eher opportun als abschließend passend erscheint.

Aber der Autor hält noch eine vielleicht ein wenig unglaubwürdige Überraschung bereit. Hitlers Gotteswahn ist Teil eines komplizierten und in dieser Form nicht zu konstruierenden Plots einer kleinen Gruppe von Widerstandskämpfern wider Willen – auch die Armbrechts haben zumindest eine Hand mit ihm Spiel -, um Hitler indirekt zu besiegen. Vielleicht wäre es überzeugender gewesen, den Faktor Zufall in die laufende Handlung einzubauen, als im letzten Abschnitt des Buches diese Möglichkeit in der Theorie noch einmal anzusprechen. Interessant ist dabei, ob dieser Verlauf wirklich absehbar gewesen ist. Zu den Stärken gehört ohne Frage, wie Hitler den selbstverliebten, isolierten Vertretern der katholischen Kirche ihre letzte Messe liest und die Dogmen unterminiert, auf denen sie ihren Glauben blind gegen die Wirklichkeit isoliert haben.

Zusammengefasst bietet vielleicht die persönliche Handlungsebene mit einem nicht unbedingt fanatischen, aber überzeugten Hitler Anhänger, der schließlich aus privaten familiären Gründen zum Gegner und Attentäter wird, inhaltlich das wenigste Potential an, während „Hitler has won“ vor allem als minutiöse und historisch gut gezeichnete Extrapolation eines Dritten Reiches auch vierzig Jahre nach der Erstveröffentlichung durch den sachlichen Stil und die gute Recherche überzeugen kann. Weniger ein klassischer Alternativweltroman als eine von journalistischer Neugierde getriebene Studie eines grausamen Szenarios, das sachlich, distanziert, emotionslos, aber trotzdem eindringlich und schockierend präsentiert wird.     

 

 

  • Hardcover: 318 pages
  • Publisher: Simon & Schuster; First Edition edition (September 28, 1975)
  • Language: English
  • ISBN-10: 0671220748
  • ISBN-13: 978-0671220747