Night Show

von Richard Laymon

Der Mitte der achtziger Jahre schon veröffentlichte Roman “Night Show“ gehört für viele Fans nicht zu den Höhepunkten des produktiven Amerikaners. Auf der anderen Seite ist der vorliegende, sehr stringente Roman eine Verbeugung vor dem Splatterkino, das Richard Laymon in den meisten seiner mehr als fünfzig Roman plakativ für Sex und Gore genutzt hat. Vom Konzept her verbindet der Autor zwei Handlungsebenen mit einer einzigen Person. Das Zusammenlaufen dieser beiden Spannungsbögen ist unausweichlich. Im Gegensatz zu seinen ansonsten sadistischen Arbeiten, in den der aggressive Täter am Ende zum Opfer einer Frau wird, stellt sich nach Beendigung der Lektüre eine gänzlich andere Frage: rechtfertigt ein derber Scherz diese Art von Bestrafung?


Der Auftakt ist ein klassischer Laymon. Anthony und zwei seiner Freunde entführen aus Langeweile eine eher ansonsten arrogant wirkende Mitschülerin Linda. Sie fesseln sie in einem leerstehenden Geisterhaus an die Treppe. In dem Haus soll ein Mörder sich umgebracht haben. Während zwei der drei Jungen schnell die Freude an diesem sadistischen Spiel verloren, legt Anthony/ Tony Make Up an, schultert eine Axt und erschrickt Linda beinahe zu Tode. Sie kann sich in letzter Sekunde befreien und läuft vor ein Auto auf der benachbarten Straße. Sie verbringt lange Zeit im Krankenhaus. Als sie wieder entlassen worden ist, ist Tony inzwischen nach Los Angeles gezogen, um Horrorregisseur zu werden. Diese Informationen erfährt der Leser aus den Zwischenkapiteln. Linda macht sich auf die Suche nach den drei Freunden, an denen sie grausame, sadistische Rache nehmen möchte. Wie schon angesprochen wirkt Lindas Reaktion übertrieben, da sich die Jungen nur einen Scherz erlaubt haben. In manchen anderen Laymon Romanen wäre Linda noch vergewaltigt worden. Der Autounfall steht am Ende einer unkontrollierbaren Kettenreaktion. Aber Richard Laymon urteilt in seinen Romanen nicht. Er reizt den Spannungsaufbau so weit es irgendwie geht aus und lässt seine Leser selbst urteilen. Nicht umsonst spielt Linda schließlich mit den ihr emotional unterlegenen Jungen, in dem sie mit Sex beim Ersten nicht geizt, heimtückisch beim Zweiten einbricht und den Dritten mit seinen eigenen Waffen in einem durch Doppeldeutigkeit trotz einer Abruptheit angesichts der Romanlänge schlägt. Die Charakterisierung bleibt auf diesen Handlungsebene auf der Strecke. Bis auf Tony wirken Lindas Opfer zu eindimensional, zu sehr nach dem Klischee des jugendlichen Naivlings gebürstet. Wenn Linda einen der Beiden erst zum Picknick einlädt und schließlich zum ersten und tödlichen Sex verführt, dann wirken diese beiden Szenen wie absichtliche Parodien auf das Slashergenre, in dem es meistens gut gebauten und jungen Mädchen so gegangen ist. Auf das Klischee der Auftaktepisode aufbauen verdreht Laymon nicht nur auf dieser zweiten, lange Zeit untergeordneten Ebene die Erwartungshaltung der Leser.


Viel interessanter mit unzähligen Anspielungen auf das Horrorfilmgenre und die insbesondere in den achtziger Jahren durch Magazine wie „Fangoria“ zu Stars erhobenen Make Up Künstler – Bottin, Savini – ist die in Los Angeles spielende Handlungsebene. Mit Dani Larrson fügt Laymon ebenfalls als ironische Umkehr der damaligen Tatsachen eine attraktive, sexuell aktive und bodenständige Frau in die Riege dieser bekannten Männer ein. Der Leser lernt Dani Larrson auf dem Set ihres neusten Horrorfilms kennen. Sie hat gerade ihren letzten Assistenten entlassen müssen, weil dieser die Grenze zwischen Beruf und Privatleben einseitig überschritten hat. Der neue „Mann“ anfänglich an ihrer beruflichen Seite ist Jack. Dani und Jack kommen sich für einen Laymon Roman nicht ungewöhnlich schnell näher. Diese Kennenlernphase gipfelt in perfektem Sex, den der Autor genüsslich und detailliert erotisch beschreibt. Vielleicht sogar zu genüsslich, denn Laymon in der frühen Phase seiner Karriere wiederholt sich zu oft. Setzt er mit zahlreichen sadistischen Variationen in Romanen wie „Das Spiel“ oder „Die Insel“ die Schwerpunkte nachhaltiger und nuancierter, verschwimmen die einzelnen Szenen ineinander. Vor allem nutzt er im Gegensatz zu anderen Büchern die Voyeurperspektive aktiv nicht aus. Nicht selten wie in einem überdurchschnittlichen Laymon die Grenze zwischen Protagonist und Leser durchbrochen. Da das Geschehen ausschließlich aus einer subjektiven Perspektive erzählt wird, kitzelt der Autor das schlechte Gewissen seiner überwiegend jugendlich männlichen Leser und lässt sie über die Grenzen der Schamhaftigkeit hinaus hinschauen. Hier beschränkt sich der Voyeurismus auf eine Bemerkung während des Showdowns.


Gleichzeitig versucht Tony bei ihr einen Job zu erhalten, in dem er sie mit seinem Leichenwagen verfolgt und zu erschrecken sucht. Zu diesem Zeitpunkt ahnt der Leser noch nicht, dass Tony und der Anthony aus dem Auftaktkapitel ein und dieselbe Person sind. Während Jack schnell von Tony genervt ist, versucht Dani Tony an der langen Leine zu halten. Sie bietet ihm am Sonnabend ein oder zwei Stunden Privatunterricht hinsichtlich einiger Special Effects Tricks an. Tony greift natürlich nach dem gereichten Finger und versucht Jack auszubooten.


Wie schon angesprochen bewegt sich Richard Laymon in „Night Show“ auf dem Terrain seiner meisten Leser. Es geht weniger um die Faszination am Gruseln, sondern um die übertrieben blutrünstigen Splattereffekte. Wer jetzt ausführliche Tipps erwartet, wird enttäuscht werden. Zwar schikaniert Horrorfan Tony erst verbal durch das potentielle Verraten mancher Tricks, dann handgreiflich Kinobesucher. Hinzu kommt der Hinweis auf das insbesondere in den achtziger Jahren in Bezug auf sein Fotomaterial bekannte „Fangoria“ Magazin, das zum Beispiel ein ausführliches bebildertes Portrait Dani Larssons enthält. Ein oder zwei kleinere Hinweise auf die Produktionsbedingungen von Low Budget Produktionen- das war es. Trotzdem fühlen sich „ältere“ Leser in dieser Vor- CGI- Ära irgendwie heimisch und das Buch trägt diesem Flair Rechnung. Das Alter des Romans erkennt man in erster Linie am kompletten Fehlen von Handys, die in der finalen Roger Corman und Edgar Allen Poe nachempfundenen Sequenz die Suche erleichtert hätten. Der Leser vermisst sie auch nicht.


Das Buch lebt von einem Trio solider bis gut beschriebener Pro- bzw. Antagonisten, die den stringenten Plot zufriedenstellend abrunden. Während Jack in erster Linie eine bodenständige starke Schulter ist; ein Mann wie aus einem Traum mit Charisma, Emotionen und einer grundsoliden Haltung, ist Tony der klassische Freak, dessen Realität der cineastischen Irrealität gewichen ist. Sein Leichenwagen strahlt eine morbide Perversität aus. Seine Idee, ein „Meister des Schreckens“ zu werden grinst an Wahnsinn. Im Allgemeinen sind es bei Laymon diese überdrehten lebensunfähigen Menschen, die schließlich zu den Waffen greifen und Unschuldige umbringen. In „Night Show“ spielt Laymon wie mehrmals angesprochen souverän mit dieser Erwartungshaltung und kann die sich aber eher schwerfällig entwickelnde eher unterschwellige Spannung hoch halten. Tony ist ein großes Kind, ein nerviger Stalker und ein Träumer, der mit seinen sadistischen Späßen ohne Frage emotionalen Schaden anrichtet, der sich aber seiner Handlungen nicht nachhaltig bewusst ist. Die „Späße“ während der beiden Kinobesuche sind allerdings virtuos geplant, geschickt umgesetzt und die Bestrafung erfolgt in einem Fall auf dem Fuße.


Über allen schwebt im Grunde die Traumgestalt Dani Larrson. Sie ist wie schon angesprochen attraktiv bis schön. Sexuell sehr aktiv, verführerisch und doch zumindest im Privatleben trotz ihres von Männern oder besser ganz großen Kindern dominierten Berufs eine verletzliche Frau, die sich nach einem ehrlichen Mann fürs Leben sehnt. Diese Mischung aus „Hure“ und „Heilige“ gelingt Richard Laymon ausgesprochen gut. Dani Larrson ist nicht arrogant. Sie hat auf der einen Seite Mitlied mit Tony, auf der anderen Seite möchte sie ihn auf Distanz halten. In ihrem Haus fühlt sie sich mehrmals von dem Jungen, der ihr körperlich unterlegen scheint, bedroht. Auf der anderen Seite möchte sie auch nicht, dass Jack ihm körperlich Schaden zufügt. Sie kennt sich in ihrem Job hervorragend aus, ohne mit ihrem Wissen zu prahlen. Von den vielen weiblichen Figuren, die Richard Laymon im Laufe seiner langen Karriere entwickelt, gequält und abschließend innerlich durch die Herausforderungen auch stärker gemacht hat gehört Dani Larrson zu seinen sympathischsten Figuren. Sie gleicht sehr viele Schwächen hinsichtlich mangelnder Dynamik, innerer Spannung und stetigen Wiederholungen in Bezug auf die Liebesszenen/ falsche Schrecken gut.


Überraschend positiv auf den Gesamteindruck des Romans wirkt sich Laymons Zurücknahme hinsichtlich übertriebener Splatterszenen aus. Die wenigen Morde sind immer noch graphisch expliziert beschrieben, es fehlt ihnen aber der Effekthaschende Sadismus. Zusammengefasst ist „Night Show“ nur auf den ersten Blick ein schwächerer Laymon. Vielmehr zeigt der vorliegende Roman die urtypischen Stärken des Amerikaners: im Leser eine Erwartungshaltung erwecken, die er mit einfachsten Mitteln vielleicht über die Länge des Textes ein wenig zu oft ad Absurdum führt. Hinzu kommen als Opfer sehr überzeugende skizzierte dreidimensionale Protagonisten sowie aufgrund der positiven Kürze des Textes eine Fokussierung auf den Plot und ein zufriedenstellendes Ende. Im Gegensatz zu seinen späteren Arbeiten verliert Laymon nicht den roten Faden aus dem Auge. Dank der soliden Übersetzung ist der Roman auch auf deutsch flott und kurzweilig zu lesen.                

Roman, Softcover, 320 Seiten
Festa- Verlag 2013

ISBN 9-7838-6552-2047

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