Der Weg ist das Ziel

von Matthias Pohlmann. Oftmals bekommt man zu hören, dass Babylon 5 sich doch nicht so weit von anderen Serien abhebe – auch hier gewännen am Ende die Guten, so heißt es. Abgesehen davon, dass "gut" und "böse", wie an anderer Stelle von Gisa von Delft schon angemerkt, nicht die Kategorien sind, in denen Babylon 5 sich abspielt, ist dazu aber vor allem Folgendes zu sagen: Das Spannende an Babylon 5 liegt insbesondere darin, zu sehen, wie und um welchen Preis die handelnden Personen etwas erreichen. Die Veränderungen, die die Charaktere dabei durchleben, das ist das, was Babylon 5 so außergewöhnlich macht.

Genau deshalb greift auch der Vorwurf, das Spin-Off Crusade sei "langweilig", daneben. Natürlich ist davon auszugehen, dass am Ende der Serie das Heilmittel gefunden wird, nach dem zu Beginn der Serie gesucht wird. Aber wie und um welchen Preis wäre auch hier eine interessante Frage gewesen, die leider (zumindest bisher) "dank" der Kurzlebigkeit von Crusade nicht beantwortet ist.

Bei der Recherche in den Weiten des Internets zur Gestaltung dieses Bereichs stieß ich zur Frage, ob Crusade langweilig ist, auf einen interessanten Artikel. Er stammt von Mike Helba, dem Webmaster von Worlds Of JMS. Mit seiner freundlichen Genehmigung sei dieser hier (frei) übersetzt wieder gegeben. Dazu sei angemerkt, dass dieses Essay vor der Ausstrahlung der Crusade-Episoden verfasst wurde und auch vor der Bekanntgabe der Absetzung entstanden ist:

    It's the journey
    von Mike Helba, 14.02.1999

    Viele Babylon 5-Fans erwarten ungeduldig die Premiere der Spin-Off Serie Crusade. Joe Straczynski sagte dazu, dass Crusade einen Fünf-Jahres-Storybogen haben werde, der mit dem Babylon 5-Film "A Call To Arms" (Waffenbrüder) beginne. Ich habe ziemlich viele skeptische Stimmen im Netz und sonst wo vernommen, die im Grunde immer fragen: "Wir wissen doch schon, wie Crusade enden wird – wie also kann diese Serie irgendwie spannend sein?" Diesen Leuten antworte ich: Es ist nicht das Ziel, auf das es ankommt, sondern der Weg.

    Auf dem Höhepunkt des Films "A Call To Arms" (Waffenbrüder) setzen die Drakh eine biogenetische Seuche auf der Erde aus. Sie hatten entweder nicht die Fähigkeit oder nicht die Zeit, diese an die Biologie der Erdbewohner anzupassen, so dass sie nicht sofort Wirkung entfalten konnte. Die Abteilung für biologische Kampfstoffe schätzt, dass es ungefähr fünf Jahre dauern dürfte, bis sich die Seuche an die Bewohner der Erde angepasst hat und dass dann jeder Mann, jede Frau und jedes Kind auf der Erde tot sein dürften. Dies ist die Prämisse für Crusade. Die Ranger werden nach einem Heilmittel nach der Seuche suchen. Da diese von den Schatten entwickelt wurde, ist möglicherweise ein Heilmittel irgendwo im Universum zu finden. Die Excalibur wird nun allen Hinweisen der Ranger nachgehen, muss aber innerhalb von fünf Jahren Erfolg haben – den fünf Jahren der Serie Crusade, die im Jahr 2267 beginnt.

    Die Skepsis entsteht nun daraus, dass man bereits in der finalen Folge von Babylon 5, die im Jahre 2281 spielt, sieht, dass General Ivanova ihr Büro auf der Erde hat und man auch hört, wie Garibaldi und Dr. Franklin über Franklins Büro auf der Erde reden. Also hat die Erde die Seuche überlebt. Wir kennen also das Ende von Crusade. Warum sollte man es dann ansehen?

    Der Weg ist das Ziel

    Das "Fleisch" der Babylon 5-Geschichte ist nicht die Tatsache, dass die Streitkräfte um Sheridan den Schattenkrieg gewonnen haben und President Clark in die Knie gezwungen haben. Weitaus wichtiger ist, wie diese Erfolge zu Stande kamen. Noch wichtiger ist, wie sich die Charaktere im Verlaufe der Serie entwickelt haben. Auch wenn in Babylon 5 viele Dinge passiert sind, die für eine Fernsehserie als ungewöhnlich angesehen werden können (Charaktere wechselten ihre Loyalitäten, wurden Bösewichte und starben sogar), so müssen wir doch festhalten, dass es keine so große Überraschung war, dass die "Good Guys" am Ende gewonnen haben. Das Wissen um das Ende hat aber der Serie keinerlei Spaß genommen oder die Zeit verringert, in der Fans den Fortgang der Geschichte analysierten und versuchten, vorherzusagen.

    Also macht die Tatsache, dass wir wissen, wie Crusade endet, das Ganze auch nicht weniger interessant. Wir wissen, sie werden ein Heilmittel finden – aber um welchen Preis? Wer wird auf dem Weg dahin sterben oder seine Seele verlieren? Wer wird versuchen, die Excalibur davon abzuhalten, ein Heilmittel zu finden? Was für seltsame außerirdische Zivilisationen werden sie auf ihrer Reise entdecken? Wie stark wird ihr Glaube auf die Probe gestellt? Wer wird sich als "mehr als erwartet" erweisen? Wir haben fünf spannende Jahre von Antworten vor uns und kennen doch noch nicht einmal alle Fragen.
    Wenn die Argumente oben Sie nicht überzeugt haben, so ist hier eine zweite Möglichkeit, das Crusade-Dilemma zu betrachten:

    Wenn Sie von Anfang an bei Babylon 5 dabei waren, dann denken Sie mal daran zurück, wie es angefangen hatte. Stellen Sie sich vor, sie hätten keine Folge außer "The Gathering" (dem Pilotfilm) und "Midnight On The Firing Line" (1x01, Ragesh 3) gesehen. Stellen Sie sich weiter vor, Sie wären nicht in Genie (dem Usenet-Vorläufer, d. Übersetzer) gewesen und hätten keiner der Nachrichten von Joe (Straczynski, d. Übersetzer) dort gelesen. Was scheint dann der Plot der fünfjährigen Babylon 5-Geschichte? Zu diesem frühen Zeitpunkt deutet nichts auf den Schattenkrieg, den Bürgerkrieg auf der Erde oder die Gründung der Interstellaren Allianz hin. Wir sehen zu diesem Zeitpunkt lediglich den fehlgeschlagenen Versuch, zwischen den vier wichtigsten Mächten Frieden herzustellen. Die größten Probleme im Universum scheinen die Blutfehde zwischen Centauri und Narn sowie die Ressentiments zwischen den Minbari und der Erdallianz zu sein. Diese Probleme sind verbunden mit den fehlenden 24 Stunden in Jeffrey Sinclairs Gedächtnis die einzigen sichtbaren Plots am Anfang von Babylon 5. Zu diesem frühen Zeitpunkt sieht es so aus, als ob die letzte Episode zeigt, wie G’Kar und Londo sich gegenseitig umbringen und wie Sinclair die Wahrheit über die ihm fehlenden 24 Stunden herausfindet.

    Wie falsch lägen wir doch. Und vielleicht sind wir in Bezug auf Crusade genauso auf der falschen Fährte. Vielleicht finden sie das Heilmittel schon in der zweiten Staffel, decken aber dabei eine noch viel größere Gefahr für die Interstellare Allianz auf. Wir wissen so wenig über Crusade, dass es unvernünftig ist, zu glauben, dass wir schon wirklich über das Ende Bescheid wissen.
    Wem das nicht genug ist, dem sei eine dritte Möglichkeit gegeben. Diese ist ein wenig um die Ecke gedacht:
    Wer sagt eigentlich, dass sie ein Heilmittel finden? "Sleeping In Light" spielt 14 Jahre nach "A Call To Arms". Falls also die Seuche die Bevölkerung auf der Erde ausgelöscht hat, hätten die in den Kolonien überlebenden Menschen neun Jahre Zeit gehabt, herauszufinden, ob die Erde wieder sicher ist und sie im Zweifel wieder zu besiedeln. Man weiß es nicht.
    Bedenken Sie nur: Der Weg ist das Ziel!

Die Wege des JMS sind unergründlich – daher lässt sich dieses Essay auch auf den viel kritisierten Film "The Legend Of The Rangers" münzen. Nachdem Crusade nun schon einige Jahre tot ist und auch JMS’ Versuch, mit dieser Rangers-Serie quasi durch die Hintertür die Crusade-Geschichte zu Ende zu erzählen, letztlich wegen des 11. September gescheitert ist, bleibt als Hoffnung, dass man zumindest Teile dessen, was Crusade hätte ausmachen sollen, über den geplanten Kinofilm "The Memory Of Shadows" und im Nachklapp dazu noch erfahren kann. Es wäre schön, wenn es so käme. Denn geht es nach mir, dann soll JMS noch möglichst viele Wege im Babylon 5-Universum nachzeichnen. Stay tuned.

Erstmals veröffentlicht im Januar 2005. Das Copyright für den in kursiv geschriebenen Text verbleibt auch in der deutschen Version bei Mike Helba.