Zwei Jahre nach der Debütausgabe erscheint das Magazin für Comic, Illustration und Trivialliteratur „Camp“ zum zweiten Mal. Die beiden durch den „Comicreporter Alfons“ bekannten Herausgeber Volker Hamann und Matthias Hofmann versuchen sich in ihrem gemeinsamen Vorwort noch einmal der Idee des „Camp“ Magazins genauso zu nähern wie Matthias Hofmann in seinem folgenden Essay nach den Ursprüngen des Begriffs forscht. Dabei sagt der Titel seines Essays im Grunde alles: „Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters“ und der Inhalt dieser Almanachbände wird vor allem eine nicht auf ein Subgenre fokussierte Gruppe ansprechen, wobei das Alter der durchschnittlichen Leserschaft wahrscheinlich ein wenig höher ist als bei zahlreichen Film oder Comicmagazinen. Die Essays, Interviews und Artikel finden sich im Inhaltsverzeichnis streng den drei Unterbegriffen des Magazins zugeordnet, während sie auf den folgenden über einhundert reichhaltig bebilderten Seiten alternierend publiziert worden sind.
Nicht nur das schöne Titelbild – es ziert ein TERRA Taschenbuch von Lloyd Biggle bei seiner deutschen Erstveröffentlichung – von Bruce Pennington leidet einen Blick zurück ein. In den siebziger und achtziger Jahren ein begehrter Titelbildzeichner – dabei hat er weniger in Deutschland Heftromane, sondern vor allem Taschenbücher und das Perry Rhodan Magazin mit seinen Graphiken aufgehellt – stellt er sich mit seinen persönlichen Erinnerungen von seinen Beginnen als Zeichner von Vögeln über die Arbeit an Filmplakaten bis zu den Titelbildern von später in erster Linie Science Fiction Büchern ausführlich vor. Der Leser fragt sich zwar, wohin Bruce Pennington in der Zeit der Computergraphiken verschwunden ist, aber die zahlreichen Abbildungen seiner exotischen Bilder entschädigen für einen gegen Ende zu oberflächlichen Artikel.
Filmfreude wird das kurze Interview mit Federico Fellini erfreuen, in dem er sich ein wenig freischaffend an seine eher fiktive Zeit als Comicredakteur erinnert. Er entpuppt sich aber als Fan der Bildergeschichten und zeigt ein wenig oberflächlich und abstrakt auf, dass Comics nicht nur die eigentliche Weltsprache darstellen, sondern durch den Einfluss der Bildergeschichten seine Filme auch globaler wirken und Amerikaner wie Asiaten ansprechen können.
Eine der besten Arbeiten der Ausgabe ist die Auseinandersetzung mit dem Schöpfer der „Krazy Kats“ Cartoons aus den Tageszeitungen. George Harriman Farben scheint Zeit seines Lebens seine Herkunft – Kind von Mulatten laut einer Volkszählung – im konservativen Amerika verborgen zu haben, während er gleichzeitig in seinen nicht nur politisch dem Leser den Spiegel vors Gesicht haltenden Arbeiten immer wieder mit dieser Idee gespielt hat. Ausgehend von den heute eher unbekannten Strips geht der Autor Jeet Heer verschiedenen Quellen nach und zeichnet ein umfassendes Werk vom Menschen hinter den Graphiken, das sehr gut von seinem immer wieder beispielhaft erwähnten Werk reflektiert wird. Es sind diese längeren, extra übersetzten Essays, die abseits der gängigen populären und vielleicht auch zu oberflächlichen Comicmagazine den Mehrwert des „Camp“ Almanachs ausmachen.
Die Bereiche sind aber auch nicht so einfach voneinander zu trennen. Wenn im Comicabschnitt mit dem italienischen Zeichner Alberto Giolitti nicht nur der Schöpfer der "Turok" Serie oder der Zeichner der neuen Abenteuer des Raumschiffs Enterprise aus den siebziger Jahren, sondern einer der Graphiker, der über Jahrzente amerikanische Westerncomics erschaffen hat, vorgestellt wird, dann kann der Leser auch auf Georg Seeßlen "How the West went Weird" zurückgreifen und diese beiden Artikel in Kombination lesen. Alberto Giolitti wird vielleicht ein wenig zu verklärt, zu stark in den Pantheon erhoben vorgestellt, aber sein umfangreiches Werk kommt durch das große Format des "Camp" Magazins sowie die sehr gute Druckqualität ausgesprochen gut zur Geltung. Oder die kurzen, allerdings nicht besonders gut geordneten Anmerkungen zum politisch unkorrekten Häuptling Feuerauge, der in erster Linie ein Abziehbild der Weißen den Lesern ihre Schwächen wie im Spiegel vor Augen halkten sollte. Auch dieser kurzweilig zu lesende Artikel ergänzt den genreübergreifend Westernabschnitt dieser Ausgabe. Den größten Überblick über die verschiedenen ungewöhnlichen Strömungen des Wilden Westerns in dieser Ausgabe bietet weiterhin Georg Seeßlens lesenswertes Essay.
Mit seinem Artikel über die Veränderung im Western hin zur „Weird“ Kultur erschlägt Georg Seeßlen dann über Heftromane aus den siebziger Jahren, verschiedenen in ersten Linie amerikanischen Comics, den Arbeiten Joe R. Lansdales oder verschiedenen eher unbekannten, aber entdeckenswerten Film zwar nicht dieses Subgenre, er regt den Leser aber zum eigenen Suchen an. Reichhaltig bebildert versucht der Autor die Veränderung des Frontierbildes nicht nur aus der Gesellschaft heraus, sondern sieht es als unnatürliche Extrapolation einer experimentierfreudigen Generation. Kurzweilig, informativ, pointiert und vor allem viele Beispiele kurz streifend geschrieben rundet diese Arbeit nicht nur den Westernblock ab, das Essay gehört zu den besten Artikeln dieser „Camp“ Ausgabe.
Es gibt in "Camp" immer mindestens einen Artikel, die positiv an die Suche nach der Perle in einem bekannten Sujet erinnern. Mit Herausgeber Volker Hamann weißt auf die besondere Jazz Musik in den ersten Zeichentrick Peanuts Specials hin. Über Jahrzehnte hat sich Vince Guaraldi Mühe gegeben, den markanten Figuren eigene Themen auf den Leib zu schreiben und noch heute werden die ersten Töne einiger seiner Kompositionen automatisch mit den Peanuts in Verbindung gebracht.
Wie leicht sich ein Autor im politischen Dschungel auch verfangen kann, beweist Ulf S. Graupner mit seinem grundlegend informativen Essay über die durch ihre Kinderzeichnungen und die Millionen von Plagiaten ihrer Werke namenstechnisch unbekannten, aber künstlerisch mit einem hohen Wiedererkennungswert ausgestatteten Illustratorin Ilse Wende- Lungershausen. Der Autor geht auch auf die nationalsozialistischen Jahre und ihre Graphiken von Fahnen schwingenden Kindern mit Stahlhelm ein. Ihr Mann ist anscheinend ein frühes Mitglied ab 1933 der Partei gewesen. Sie hat zusätzlich zumindest einen großen jüdischen Freundeskreis gehabt. Wenn aber Ulf S. Graupner dann folgert, dass der Krieg mit dem Fronttod ihres Mannes und der Ausbombung in Berlin hart für die Zusammenarbeit bestraft hat, dann schießt er meilenweit am Ziel vorbei. Was sollen denn die Menschen sagen, die sich nicht der Partei untergeordnet und trotzdem die auch Angehörige an der Front oder im KZ verloren haben und deren Häuser/ Wohnungen ausgebrannt sind? Dass ihr Sohn anscheinend ihren Stil übernommen und fortgeführt hat, wird mehrmals erwähnt. Aber warum hat der junge Mann sich derartig dem Werk seiner Mutter untergeordnet. Fakten und Vermutungen wechseln sich in diesem allerdings gut illustrierten Artikel munter ab.
Trivialliteratur – bei Theodore Sturgeon ist dieser Begriff vollkommen falsch – wird in Form des persönlichen Blicks in die Bücherkiste bzw. durch Heinz J. Galles ausführliches Portrait von Robert Kraft gestreift. Der letzte Artikel ist sehr sachlich geschrieben und setzt sich aus vielen gut recherchierten Informationen zusammen. Im Gegensatz zur Propagandaliteratur aus der ersten Ausgabe ist das Thema Robert Kraft aber in der Zwischenzeit nicht nur dank der empfehlenswerten Neuauflage in zwei Kleinverlagen, sondern auch im Magazin „phantastisch!“ verarbeitet worden. Ein weniger markantes Thema – auch wenn Robert Krafts Todestag sich dieses Jahr zum hundertsten Mal jährt – wäre sinnvoll gewesen. Horst Illmer beginnt seinen Streifzug durch das Werk von Theodore Sturgeon mit dem Blick in die Ramschkiste seines liebsten Second Hand Buchhandlung, wobei sich unwillkürlich die Frage stellt, warum in den Kisten wühlen, wenn der Autor anscheinend ausreichend Sturgeons zu Hause im Keller hat? Er stellt die wichtigsten Arbeiten des wahrscheinlich besten Kurzgeschichtenautor des Genres vor und geht auf einige persönliche Eckpunkte ein. Es ist eher ein Überblick als eine kritische Analyse gerichtet an die Leser, die wenig bis gar nichts mit der Science Fiction zu tun haben.
Ebenfalls Subgenre übergreifend sind die beiden Auseinandersetzungen mit der Idee des „Nerd“ lange bevor dieser Begriff aus dem Bereich der Computerfanatiker kommend in den allgemeinen Sprachgebrauch eingeflossen ist. Dabei beschreibt Peter Lau in seinem wundervoll romantisch verklärten und dann wieder diese Illusion zerreißenden Essay „Ich hatte keine Freunde, aber ich hatte viele Comics“ nicht nur das Aufwachsen in den siebziger Jahre in einem der heute eher Problemviertel genannten Teile Hamburgs. Die fehlende Perspektive für Nichtsportler – eine Stunde Kinderprogramm am Nachmittag im Fernsehen. Die Qual der Wahl: Perry Rhodan oder Comics. Die Suche in Secondhand Buchläden, auf den Flohmärkten des Hamburger Fischmarktes und natürlich auf den Fluren der Schule, wo ordentlich getauscht worden ist. Der Verlust der monetären Unschuld durch den ersten Comicpreiskatalog. Auch wenn Peter Lau inzwischen durchaus kritisch abwertend auf die damaligen Leseerlebnisse zurückblickt, bleibt die Frage zurück, ob dieser Flucht in Phantasiewelten, das Sammeln von Comics, die kleinen Erfolge Manchen auch von der Straße und damit vielleicht auch einem Weg in die Kriminalität abgehalten hat. Ohne Kitsch oder Pathos geschrieben überzeugen diese persönlichen Erinnerungen deutlich mehr als Matthias Hofmanns Versuch, an Hand der Futurians eine frühe Geekkultur zu entwickeln. Natürlich stellte diese Gruppe von Science Fiction Fans inklusiv der Organisation des ersten Weltcons während der Weltausstellung in New York ein Novum dar. Vielleicht waren es auch die körperlichen Schwächen oder Krankheiten während der Jugend, die sie nicht nur zueinander, sondern auch zum Genre geführt haben. Aber Mathias Hofmann verkrallt sich förmlich in diese Idee und zeichnet mit nur zweieinhalb Quellenangaben – Isaac Asimovs Tagebuchzitate, sowie Damon Knights und Sam Moskowitzs Erinnerungen anstatt sie um Judith Merryls und vor allem auch Frederik Pohls Ansichten dieser Ära zu ergänzen – vielleicht auch ein zu einseitiges Bild dieser Gruppe. Der Leser hat ein wenig den Eindruck, als wäre erst die Idee der frühen Geeks entstanden und dann die Suche nach einem adäquaten Beispiel.
Abgerundet wird diese empfehlenswerte Ausgabe durch unter anderem eine Reflektion der Bedeutung Pippi Langstrumpfs für die damalige Jugend und heutige Elterngeneration sowie eine kritische Kolumne mit dem provozierenden Antrag „Misstrauensantrag“, in welcher vor allem amerikanische Außenpolitik den Werten der amerikanischen Superhelden gegenübergestellt wird, sowie einer Handvoll kritischer Rezensionen. Im Anschluss finden sich noch drei sehr unterschiedliche Comics, wobei insbesondere Andre Franquins Besuch der Brüsseler Weltausstellung zu Beginn der Europäischen Union heute nachdenklich stimmt. Wo sie all diese Ideale hin. Patrick McDonnells tierische Strips „Mutts“ sind alleine durch die „Shelter Storys“, in denen es um Tiere aus dem Tierheim geht, einen Kauf wert. Und wenn es nur um eine Patenschaft für die gefangenen Tiere geht, mit der auch Menschen helfen können, die keine Tiere halten wollen oder können. In der Mitte ist Paul Cuveliers „Wapi“, eine humanistische Indianergeschichte, in welcher die Protagonisten stellvertretend für den jungen Leser lernen, Verantwortung zu übernehmen.
- Broschiert: 148 Seiten Format Din A 4
- Verlag: Edition Alfons
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3946266045
- ISBN-13: 978-3946266044