
Mit “Die Mission” liegt der Mittelteil ihrer „Imperial Radch“ Science Fiction Trilogie wieder in einer gewohnt souveränen, die geschlechterspezifischen Feinheiten des Originals sehr gut übertragenden Übersetzung von Bernhard Kempen im Heyne Verlag vor. Der erste Band „Die Maschinen“ ist mit den wichtigsten Science Fiction Preisen ausgezeichnet worden. Nicht nur um die Hintergründe, sondern vor allem die wichtigste Figur der ganzen Trilogie kennenzulernen, ist es unbedingt notwendig, sich ihrem Universum in chronologischer Reihenfolge zu nähern. Ansonsten könnte die teilweise sehr subtile Zeichnung der ehemaligen künstlichen Intelligenz eines Kriegsschiffs, versetzt in einen „menschlichen“ Körper verloren gehen.
Im ersten Band – lange Zeit auch von Bernhard Kempen sprachlich zurück gehalten – spielten die Geschlechter eine wichtige Rolle. Ann Leckie hat geschickt seine Leser vor allem über eine modifizierte Sprache provoziert, die Geschlechter der Protagonisten zu raten, um ihnen dann eine Art Narrenspiegel vor Augen zu halten und zu zeigen, dass sie auf der falschen Spur gewesen sind. Dabei spielt das Geschlecht der Protagonistinnen im Grunde keine Rolle. Wer die künstliche Intelligenz eines Raumschiffs oder im übertragenen Sinne das Wesen eines Kriegsschiffes im Grunde einsperrt und dieser weitreichenden, in erster Linie den Kommandantinnen dienenden Intelligenz viele Facetten ihrer Existenz genommen hat, um aus diesem körperlichen Gefängnis heraus einen durchaus „menschlichen“ Protagonisten zu entwickeln, der lässt sich auch nicht von einigen bestimmten Artikel einschüchtern. Während die künstliche Intelligenz des Raumschiffs quasi in ihren Bewegungen, aber nicht ihrem nicht immer subtilen Humor eingeschränkt wird, entwickelt sich die Herrscherin der Radchaii Kultur in eine andere Richtung. Sie hat mit einer Art Gemeinschaftsintelligenz, der Möglichkeit, durch Aufspaltung an vielen Orten zu gleich zu sein und trotzdem zentral zu handeln, ihre Grenzen überschritten und droht wahnsinnig werden sowie sich mit ihren eigenen Ablegern kriegerisch auseinanderzusetzen.
Im Gegensatz zum deutlich breiter angelegten ersten Band der Trilogie fokussiert sich die Autorin auf eine isolierte Raumstation und die entsprechenden sozialen Konflikte, die sich leicht von der Erde in diesen fernen Raum und eine unbestimmte Zukunft übertragen lassen. Dabei ist der Handlungsbogen noch konzentrierter als im ersten Roman. Ann Leckie hat sich in „Die Maschinen“ bemüht, ihre Welt zu entwickeln und den Leser mit dieser fernen, aber doch auch auf der emotional humanistischen Ebene erkennbaren Zukunft vertraut zu machen. Im Auftaktband fiel es weniger auf, dass der eigentliche Handlungsbogen im Kern nur eine Quest, eine Art Rachegeschichte ist. Im zweiten Band erhält Breq, die ehemalige KI eines Schlachtschiffes als „Mensch“ das Kommando über ein kleines Kriegsschiff. Ihr Auftrag ist, einen einzelnen, auf den ersten Blick unwichtigen abseits gelegenen Planeten zu sichern und die Welt im Grunde auf den bevorstehenden Bürgerkrieg vorzubereiten. Auf der einen Seite muss Breq lernen, mit ihren eingeschränkten Fähigkeiten im Vergleich zur Schiffsintelligenz mit unbegrenzten Zugriffsmöglichkeiten fertig zu werden. Auf der anderen Seite steht ihr dieses Wissen, aber vor allem diese Erfahrung im Hintergrund kontinuierlich zur Verfügung. Auf dem Planeten selbst wird sie in eine sozial kulturelle Auseinandersetzung hineingezogen, in der Ann Leckie zwar Kritik auch an gegenwärtigen Entwicklungen – vor allem der Kontrast zwischen arm und reich in der zweiten bzw. dritten Welt mit archaischen Regierungsformen und einer Leibeigenschaft – äußern kann, sie aber grundlegend nicht ändern will. Es gibt keine echten Lösungsmöglichkeiten. Die Autorin versucht, den Kontrast zwischen den Erwartungen der anscheinend aber ihren Höhepunkt überschritten habenden Radch Kultur mit Breq als ihrem durchaus kritisch Entwicklungen hinterfragenden Botschafter und den auf der in erster Linie Tee produzierenden kleinen Welt in einfachen, aber auch drastischen Bildern darzustellen. Dazu bewegt sich der Leser ausschließlich und im Gegensatz zum ersten Buch auf der Augenhöhe Breqs, die trotz ihrer Herkunft als künstliche Intelligenz eines Kriegsschiffes für den Leser im Kern am zugänglichsten ist. Wie bei der Übernahme des Kommandos – sie gilt als Aufsteigerin, deren Hintergrund absichtlich geheim gehalten worden ist – bemüht sie sich in ihren Handlungen, die potentiellen „Gegner“ zu verunsichern und vor allem ihre Bemühungen konsequent und erstaunlich effektiv zu unterminieren. Sie geht im Grunde ihre eigenen Wege und sucht in der Unterstadt die Rechte der ausgebeuteten Massen zu vertreten. Wie es sich für diese Art von Plots gehört, dehnt sie dabei ihre Anweisungen deutlich aus und sucht für den Leser nicht immer erkennbar nicht nach einem klassischen Ausweg, sondern bereitet die Welt weniger auf die unruhigen kommenden Zeiten vor, sondern versucht das fragile politische System indirekt zu stürzen und den Rechtlosen einen Augenblick des Luftholens zu verschaffen. Dazu positioniert sie sich außerhalb der Kontrolle der den kleinen Planeten und die im Orbit befindliche Station kontrollierenden künstlichen Intelligenz. Es ist interessant, dass trotz der erstaunlich langsam bis phlegmatisch verlaufenden Handlung die Autorin eine gewisse Spannung aufbauen kann. Dem Leser ist von Beginn an klar, dass Breq als Persönlichkeit kein echter Schaden zugefügt werden kann. Die Faszination liegt in den Schachzügen, die Breq basierend zwar auf ihrer Erfahrung als künstliche und damit auch emotionslos agierende Intelligenz mit einer erstaunlich menschlichen Komponente ausführt. Sie provoziert die andere Seite und zeigt an mehr als einer Stelle, dass sie als Abgesandte direkt des Reichs auch dem in diesem System stationierten älteren Kriegsschiff übergeordnet ist. Auf der anderen Seite muss sie mit ihrer fast naiven Vorgehensweise den potentiellen Gegner aus den eigenen Reihen zum Handeln, zum Agieren zwingen, damit der für die Oberschicht angenehme Status Quo nicht zusammenbricht. Es ist ein sehr schmaler Grat, auf dem sich die Autorin und damit auch ihre Protagonisten bewegen. Der Leser muss in erster Linie auf die Zwischentöne achten, da die originelle Facette des Auftaktbandes – eine menschlich gewordene künstliche Intelligenz in einer inzwischen im Kern geschlechterlosen, aber nicht asexuellen Gesellschaft – nicht weiter entwickelt wird. Nach einer vielleicht sogar zu langen Exposition und den politischen Debatten im Mittelteil des Abschnitts wirkt das Ende ein wenig zu abrupt und vor allem angesichts des Potentials der Serie zu einfach. Ähnliche Ideen hat der Leser in zu vielen anderen weniger politisch kulturell aufgebauten Science Fiction Romanen verfolgen können, so dass „Die Mission“ vor allem inhaltlich nicht an den in dieser Hinsicht auch ein wenig zu euphorisch gewürdigten Titel „Die Maschinen“ herankommt.
„Die Mission“ beweist, dass es Ann Leckie vor allem um soziale Studien einer futuristischen Welt geht, die sich unter der direkten und indirekten Dominanz der künstlichen Intelligenzen auf der einen Seite weiter entwickelt, auf der anderen entscheidenden Seite mit einer Monarchie und einer verrückten Herrscherin aber aus menschlicher Sicht historisch auch zurück bewegt hat. Es ist ein interessanter Widerspruch, der im vorliegenden Mittelteil der Serie nicht tiefer untersucht wird. Es scheint, als ginge es der Autorin in erster Linie darum, die Fundamente im Bewusstsein des Lesers tiefer zu verankern, bevor sie im abschließenden dritten Roman der Trilogie eine direkte Konfrontation zwischen despotischer Herrscherin und der modern demokratisch denkenden KI Breq ansteuert. Breq dient in erster Linie als unabsichtlicher Katalysator. Sie gibt den potentiellen Widerstandskräften im Untergrund Mut. Auf der anderen Seite ist sie selbst mit einem kleinen, aber modern bewaffneten Raumschiff mächtig genug, um die politischen Strukturen zu bedrohen und darüber hinaus ihre eigene, nicht mit ihrem Auftrag in einem unmittelbaren Zusammenhang stehende Position zu vertreten. Diese immer stärker werdende Abweichung von der Norm; dieser Drang, unabhängig zu werden und vor allem autark zu agieren, lassen Breq als Figur deutlich im Vergleich zum ersten, von ihrem Auftrag dominierten ersten Teil reifen.
„Die Mission“ ist inhaltlich mindestens eine Stufe schwächer als der faszinierende und deutlich vielschichtiger angelegte Auftaktband der Trilogie. Auf der emotional „menschlichen“ Ebene steht der Reifeprozess, im indirekten Sinne sogar das „Coming of Age“ Breqs im Vordergrund, die sich mehr und mehr zu einem vollblutigen Kommandanten mit der Erfahrung einer künstlichen Intelligenz eines Kriegsschiffes entwickelt als grundsätzlich eine spannende, eher bekannte Geschichte zu erzählen.
- Taschenbuch: 480 Seiten
- Verlag: Heyne Verlag
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3453316932
- ISBN-13: 978-3453316935
- Originaltitel: Ancillary Sword (2)