Dan Cooper Gesamtausgabe Band 2

Albert Weinberg

Der zweite Band der empfehlenswerten Werkausgabe „Dan Coopers“ umfasst wahrscheinlich den wichtigsten inhaltlichen Bruch der ganzen Serie. Weiter als „Auf dem Mars“ wird der kanadische Testpilot nicht mehr die Erde verlassen, wobei er aus nicht weiter erläuterten Gründen nicht auf dem roten Planeten aufgrund der das Raumschiff abstoßenden Magnetfelder landen kann, sondern sich mit Deimos begnügen muss. Die gigantischen wie Fotos wirkenden Bilder Weinbergs sind auch heute fast sechzig Jahre nach ihrer Entstehung immer noch eindrucksvoll. Mit dem sechsten ebenfalls hier gesammelten Album „Duell am Himmel“ kehrt Dan Cooper nicht nur vorläufig in den Bereich der technischen Fiction inklusiv entsprechender Spionageaktivitäten zurück, sondern verlässt zeitwillig alle utopischen Gefilde. Nach harter Kritik hinsichtlich des mehr und mehr um sich greifenden Antirealismus durch Herge übernahm Charlier anonym das Verfassen die nächsten Dan Cooper Abenteuer und führte die Serie zurück zu den Ursprüngen. Wer genau hinschaut, wird diesen Bogenschlag in mehrfacher Hinsicht vor allem auch an den Details erkennen. In „Duell am Himmel“ taucht wieder Dan Coopers Vater auf. Die „Blue Delta“ Produktion steht vor dem Aus, weil die kanadische Luftwaffe alleine das Projekt nicht weiter stemmen möchte und die Verkäufe ins Ausland – im zweiten Album der Serie ist ja suggeriert worden, dass selbst die diebischen Japaner inzwischen die Möglichkeit erhalten haben, den „Blue Delta“ ausschließlich als Defensivwaffe zu erwerben – stagnieren anscheinend. Die Idee ist, die Effektivität des Senkrechtstarters auf verschiedenen Flugshows zu demonstrieren, wobei sich die Kanadier ausgerechnet mit ihren heftigsten Konkurrenten aus Schweden auseinandersetzen müssen. Diese verfügen zusätzlich über ein unfehlbares Zielgerät. Anscheinend wollte Charlier vor allem in Zeiten des immer heftiger werdenden Kalten Kriegs keine Angriffsfläche bilden und verschob den Fokus der notwendigerweise militärischen Expansion in das eigentlich friedliche Schweden. Dan Cooper muss sich für diese Flugshow eine natürlich exzentrische Truppe zusammenstellen, wobei Charlier in dieser Hinsicht ausgesprochen modern denkt. Trotz der wulstigen Oberlippe darf der Quotenfarbige in der Truppe Trompete spielen. Er streitet sich immer wieder gerne mit einem jungen leichtsinnigen französisch wirkenden Offizier und das einzige Bindeglied zu den USA ist ein Quotenindianer mit natürlich langen schwarzen Haaren. „Duell am Himmel“ folgt unter einer umgekehrten Prämisse – die Spionage steht weniger im Hintergrund als die Denunziation der Kanadier und das Aussähen von Misstrauen zwischen den beiden fliegenden „Truppen – dem Rhythmus der ersten Abenteuer. Eine lange, spektakuläre Exposition, dazu mit Dan Coopers hübscher wie blonder Nichte eine Bewunderin im Hintergrund und der von ihm anscheinend so adoptierte Junge dient als Identifikationsfigur der jugendlichen Leser. Er ist für einige kleinere Katastrophen genauso zuständig wie für einen Teil der Lösung. Es sind die minutiös durchgeplanten Flugdemonstrationen, in denen der Leser mit der scheinbar leichten Kunst am Himmel ausführlich vertraut gemacht wird, welche das Album genauso von einigen anderen Spionagestorys unterscheiden wie der sehr offensichtlich, für alle Seiten befriedigende Kompromiss am Ende des geradlinigen, im Vergleich allerdings zum vierten Abenteuer „Operation Jupiter“ und dem fünften schon angesprochenen Band „Auf zum Mars“ zu bodenständigen, zu viele Zöpfe kappenden Abenteuer.

Die Zusammenfassung der einzelnen Bände in dieser Gesamtausgabe macht aber auch auf andere „Missverständnisse“ und nicht mehr fortgeführte Handlungen aufmerksam. In „Operation Jupiter“ will Dan Cooper zum Beispiel den Dienst bei der kanadischen Luftwaffe quittieren und sich zivilen Tätigkeiten widmen. Eine letzte Mission – durch das Ausfliegen von Medikamenten nach Afrika in Begleitung eines eher klischeehaften Engländers wird er umgestimmt und bleibt der Royal Canadian Airforce erhalten. Dabei ist sogar die Abschiedsfeier durchgeplant, doch der Absturz eines Kollegen bringt alles durcheinander. In „Auf zum Mars“ nimmt die Begegnung mit einem alten Kriegskameraden einen breiten Raum ein. Weinberg muss sich die Zeit ein wenig zurecht schneiden. Die Idee, dass Dan Cooper schon 1941 in Afrika Einsätze als Freiwilliger gemacht hat, lässt ihn älter erscheinen als die ersten Alben suggerierten. Das Kriegstrauma wird in einigen drastischen Szenen beschrieben. So hat sein Kamerad –  im Gegensatz zum Freiwilligen Dan Cooper  ein Franzose – ein eigenes Flugzeug während der chaotischen Lufteinsätze abgeschossen. Jetzt weigert sich der brillante Ingenieur, an Bord eines Flugzeuges zu steigen, wobei dieses Trauma anscheinend passend zum Start der Geschichte wieder aus der Schublade geholt worden ist. Der Leser fragt sich nämlich unwillkürlich, wie er sonst unter Zeitdruck die Entfernungen zwischen der Zentrale und zum Beispiel der Basis, auf welcher das Marsraumschiff konstruiert worden ist, so schnell zurücklegen konnte. Dan Cooper heilt ihn mit einem drastischen, aber auch ein wenig konstruierten Trick. Diese Vorgeschichte nimmt inklusiv des Angriffes der Piraten der Stille – bekannt aus dem dritten  Album – insbesondere im Vergleich zum abschließenden Flug zum Mars und der Landung auf Deimos einen zu breiten Raum ein. Anscheinend traute sich Weinberg nicht ganz, alleine eine technische Story zu erzählen und setzte an einigen Stellen auf in diesem Fall übertriebene Action. Wie die „Blue Delta“ ist auch die Marsexpedition in erster Linie privat finanziert. Immer wieder weicht Weinberg geschickt und überzeugend politischen Statements aus. Es ist schade, dass dieser futuristische Handlungsbogen abschließend nicht fortgeführt worden ist, denn ansonsten wäre „Dan Cooper“ ohne Frage eine Science Fact Serie geworden, die ja eine Reihe von damals futuristischen Fragen wie die Raumstation im All – an ihr fliegt Dan Cooper vorbei – oder wie in „Operation Jupiter“ noch in den Kinderschuhen steckende dringende Probleme wie die Ausrottung von Ureinwohners durch habgierige Kapitalisten mittels tödlicher Stoffe  nicht naiv, sondern sehr gut aufklärend angesprochen hätte. „Auf zum Mars“ schöpft das unendliche vorhandene Potential nicht aus, aber im Vergleich zur deutschen Serie „Nick, der Weltraumfahrer“ ist sehr gut zu erkennen, wie genau sich Weinberg mit dem technischen Fortschritt auseinandergesetzt hat. Sein Raumschiff nimmt aber ein wenig ohne die großen Fenster den Kugelraumer der italienischen Perry Rhodan Verfilmung vorweg. Weinberg konzentriert sich nicht nur in diesem Album auf die zwischenmenschlichen Beziehungen. In dieser Hinsicht ragt das allerdings sehr hektisch erscheinende Album „Operation Jupiter“ deutlich aus der Masse heraus. Roter Regen wird über Afrika gesichtet und führt sogar zum Absturz eines Flugzeuges. Dan Cooper nimmt wie erwähnt auf seiner Abschiedsmission Medikamente und zwei Reisende – einen Englänger und einen Portugiesen – mit, welche diese wertvollen Stoffe in den Dschungel zu einem sich aufopfernden Arzt transportieren wollen. Dabei werden sie immer wieder angegriffen bzw. ihre Mission torpediert. Am Ende im Lager des Arztes werden sie mit der grausamen Wahrheit konfrontiert. Anscheinend wollen Mächte von außen die Ureinwohner Liberias umbringen, damit sie leichter an die Bodenschätze kommen. Dazu dient der rote Regen. Auch wenn das Finale des Albums ein wenig konstruiert erscheint und vor allem die politische Komponente innerhalb des afrikanischen Landes angesichts der heutigen Grausamkeiten zwischen korrupten Regierungen und nicht weiter aggressiven Rebellen zu sachte aufgelöst wird, wirkt das Thema immer noch aktuell.

Dan Cooper agiert ein wenig zu naiv und die Vorgeschichte zieht sich zu lange hin. In Afrika angekommen spielt Weinberg das Szenario dann allerdings sehr einfallsreich und vor allem zeitkritisch auch durch. Der anfängliche trinkende, aber durch Dan Cooper zur Besinnung kommende Arzt wirkt wie ein Klischee. Die finale Auseinandersetzung ist relativ schnell, fast nebensächlich zu Ende, so dass sich die Frage stellt, warum die ganze Mühe auf sich nehmen, aber zusammenfassend setzt sich Weinberg von den ein wenig stereotypen Handlungsmustern vieler Abenteuercomics seiner Zeit deutlich ab und experimentiert in diesem Fall wie die James Bond Bücher futuristisch vor einem realistischen Rahmen.

Für die französische Neuveröffentlichung hat Weinberg dem vierten Album „Operation Jupiter“ und der fünften Geschichte „Auf zum Mars“ eine neue Rahmenhandlung gegeben. Diese distanziert den Leser allerdings vor allem in „Auf zum Mars“ stärker von dem Geschehen. In „Operation Jupiter“ fügt Weinberg im Rahmen eine bedrohliche Sitatuion hinzu. Dan Cooper hat sich auf einer Testmission befunden, in deren Verlauf ein neues Ortungssystem für abgestürzte auf dem Wasser treibende Piloten getestet werden soll, während der Rahmen im fünften Album eine ausschließlich pragmatische Natur hat.  Die Rahmen zeigen aber überdeutlich, wie weit sich Weinbergs Zeichenstil zwischen den ursprünglichen Geschichten und der Albumveröffentlichung positiv weiter entwickelt hat.

Zur Gesamtausgabe gehört dieses Mal neben dem obligatorischen, reichhaltig bebilderten Vorwort auch ein abschließendes kurzes Essay, in dem darauf hingewiesen wird, wie stark die ursprünglichen Alben für die deutschen Veröffentlichungen auch unter der Mitarbeit Weinbergs verstümmelt, gekürzt und teilweise mit absurden Enden versehen worden sind. Auch hier ist das Bildmaterial sehr reichhaltig. Es finden sich weiterhin zwei kurze Comics wie die Geschichte der Gebrüder Wright zwischen Einführung und den eigentlichen Alben. Sogar die alten Teaser mit einem Hinweis auf die nächste Dan Cooper Geschichte sind an der richtigen Stelle platziert worden, so dass diese Gesamtausgabe unabhängig von der sehr guten Druckqualität weiterhin Perfektion anstrebt. Die chronologische Veröffentlichung der Bände ermöglicht es dem Leser auch, unabhängig von der geradlinigen immer wieder auch Personen und Ereignisse aus den vorangegangenen Alben mitnehmen Geschichte die Ungereimtheiten, die Ecken und Kanten sowie die inzwischen durch die Zeit in Vergessenheit geratenen Brüche im Handlungsbogen zu erkennen und einzuordnen. In dieser Hinsicht ist der zweite Band der Werksausgabe wegweisend.    

Dan Cooper Gesamtausgabe, Band 2
Text: Albert Weinberg, Jean-Michel Charlier
Bilder: Albert Weinberg
208 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
  ISBN: 978-3-95839-343-1

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