Straße nach Überallhin

Roger Zelazny

Roger Zelaznys 1979 entstandener Roman “Straße nach Überallhin“ – im Original passt „Roadmarks“ sogar deutlich besser, denn es sind die Zeichen, welche die Protagonisten auf einer endlosen Straße hinterlassen – erschien schon 1981 in der Moewig Science Fiction Reihe in Deutschland. Der Heyne Verlag hat das Buch als E- Book mit einem deutlich passenderen, dem Originaltitelbild aber immer noch nicht entsprechenden Titelbild neu aufgelegt. Es ist vielleicht von Roger Zelaznys phantastischen Science Fiction Romanen seine am meisten unterschätzte Arbeit.  Es ist einer der Romane, dessen Plot auf dieser gigantischen ambivalenten Zeitstraße aus dem Nichts heraus ohne Erklärungen aufsetzt und einfach mit einem rasanten Tempo los läuft. Irgendwann in der Mitte werden beiläufig vor allem dank fiktiver Alter Egos des  Protagonisten dem Leser einige Informationen zur Verfügung gestellt.

Wie die anderen New Wave Autoren, aber deutlich später verfasst experimentiert Zelazny nicht nur mit Zeit/ Raum auf dieser ungewöhnlichen Straße, auch die Struktur des Plots ist eine Herausforderung. Wer sich die Zeit und Mühe macht, kann den Roman in zwei sehr unterschiedlichen Varianten lesen und trotzdem zum gleichen Ergebnis kommen. Der Autor verzichtet absichtlich auf eine chronologische Zählung der Kapitel. Es gibt die Haupthandlung, immer mit einer „eins“ gekennzeichnet und dann den zweiten, relativ zügig nebenher auf den finalen Showdown zulaufenden zweiten Handlungsstrang, der immer mit einer „zwei“  bezeichnet worden ist. Es ist möglich, bei einer zweiten Lektüre erst alle Kapitel mit der “zwei“ zu lesen, bevor dann die Haupthandlung angegangen werden kann. In verschiedenen Interviews ist Zelazny sogar einen Schritt weiter gegangen, in dem er erklärte, dass die einzelnen Zweier Abschnitte in unterschiedlichsten Reihenfolge gelesen werden können und trotzdem das Gesamtwerk überblickend Sinn machen.  Diese Aussage gilt aber nur für die erste Hälfte.  Interessant und provokativ ist zusätzlich, dass Roger Zelazny seinen Roman mit einem Zweier Kapitel eröffnete.

Die Handlung lässt sich in wenigen Sätzen zusammenfassen und dann doch nicht. Eine endlose Straße. Red Dorakeen ist ein Antiheld. Er hat einen reichen Mann provoziert, der zehn Killer in schwarz auf ihn hetzt.  Sam Peckinpah hätte daraus ein Meisterwerk machen können.  Es lohnt sich, die einzelnen Elemente anzuschauen. Die Straße ist eine Art Highway in Time. Es ist möglich, von der fernsten Vergangenheit bis zumindest an das 25. Jahrhundert zu fahren. Dort sitzen anscheinend die inzwischen degenerierten Erbauer, die viele Regeln „eingebaut“ haben. Die Straße verlassen bedeutet auch, möglicherweise ein Zeitparadoxon zu verursachen. So versucht Red Dorakeen immer wieder, den Griechen bei der Schlacht bei Marathon zu helfen.  Es erwischt ihn einmal die Polizei, wie er Waffen modernster Bauart inklusiv einer Kiste mit Handgranaten den griechischen Soldaten zur Verfügung stellen will. Zelazny spielt mit der Geschichte, denn in der Welt seiner Leser haben die Griechen auch ohne Hilfe Dorakeens gewonnen. 

Nicht jede Abzweigung ist wirklich gewollt. Vor allem wird immer wieder im Hintergrund gewarnt, dass die Abzweigler niemals auf den Hauptstrang zurückfinden könnten. In dieser Hinsicht scheint Dorakeen ein Außenseiter zu sein. Die Provokation Chadwicks liegt weit in der Vergangenheit oder Zukunft. Bei einem seiner ersten Auftritte zeigt dieser anscheinend allmächtige Chadwick seinem Gast, dem Marquis de Sade, sein neues Haustier. Einen Tyrannosaurus Rex, den er gezüchtet hat.  Die finale Konfrontation zwischen dem coolen Dorakeen und dem exzessiv verrückten Chadwick endet ganz anders als es sich der Leser vorstellen kann. Wie in einigen anderen von Zelaznys Arbeiten ist der Tod meistens ein neuer Anfang. Der Plot weicht ins Mystische aus und im Grunde schlägt der Amerikaner literarisch verspüielt den Bogen zu einigen frühen britischen Legenden.

Zwischen Chadwick und Dorakeen stehen die zehn Meuchelmörder, die sich aber an die Regeln der Straßenerbauer halten müssen. Vieles erinnert in dieser greifbaren Komposition an Robert Sheckleys Roman „Das zehnte Opfer“, in welchem auch ausführliche Spielregeln für die Jagd auf Menschen festgelegt werden. Die einzelnen Konfrontationen zwischen den ersten Auftragskillern und dem opportunistisch improvisierenden Dorakeen gehören zu den Höhepunkten des Romans. Leider wirkt Zelazny gegen Ende der kurzweiligen Geschichte müde und bricht diesen Handlungsteil für den Leser frustrierend und aus dem Nichts kommend ab.

Ausgehend von der faszinierenden Idee einer Straße, im Grunde eines gigantischen Highways durch die Zeit – Farmer hat diese Idee der ungewöhnlichen Reise mit seiner „Flusswelt“ Serie auf eine noch höhere Ebene gehievt – und nicht den Raum, welche den Protagonisten auch stärkt hat Roger Zelazny eine weitere Idee eingebaut. Wie viele seiner verlorenen Antihelden ist Dorakeen auf der Suche. Zynisch und rastlos, furchtlos und selten um einen unterkühlt wirkenden Spruch verlegen hat er mit seinen Aktionen den Ausgangspunkt seiner Reise aus den Augen verloren. Wie ein kleines Kind versucht er wieder nach Hause zu kommen, in dem er die Geschichte verzweifelt zu reparieren sucht. Auch wenn Zelaznys Helden nicht selten überdimensioniert gezeichnet worden sind, wirken sie in den relevanten Szenen verletzlich und verletzt. Unterstützung findet Dorakeen durch den als Buch erscheinenden Supercomputer „Flowers“ (das Buch ist „Flowers of Evil“), der durch seine enge Verbindung mit dem Auto sogar ein Vorläufer der „Knight Rider“ Serie sein könnte.

Um Dorakeen herum sammeln sich viele klassische Science Fiction Ideen in Kombination mit fiktiven wie realen Charakteren. Neben dem Marquis des Sade ist Doc Savage leicht zu erkennen. Hitler hat einen provokanten Auftritt, bevor er in seinem natürlich schwarzen Volkswagen die Abfahrt sucht, hinter welcher er den Zweiten Weltkrieg gewonnen hat. Dazu kommen die literarischen Anspielungen beginnend bei Baudelaire.

Die Idee des Supercomputers, der alles vernichten kann, ist für die Science Fiction nicht neu. In „Roadmarks“ ist diese Maschine von seinen Schöpfern zurück gelassen worden. Sie soll sich um ihre Hobbies kümmern. Sie liebt es, perfekte Tontöpfe herzustellen. Oder Strangulena als perfekte Imitation der späteren Cyberpunk Ladys. Geballte Erotik mit einem Fetisch, aber gefährlich.  Die zukünftigen Herrscher mit ihrer allumfassenden Technik, die seit Jahren nicht mehr gepflegt, vor sich hin „gammelt“. Auch wieder aus der Zukunft kommend und wie bei "Picknick am Wegesrand" der Strugatzkis dieses Mal von menschlichen Göttern und nicht Außerirdischen in den symbolischen "Straßenrand" geworfen. 

Alleine die nebentechnischen „Helden“ wie Leila – eine alte Liebe – und schließlich der die Zweier Kapitel dominierende Junge wirken in einem direkten Vergleich mit Figuren wie Sundoc und Toba oder dem verrückten, als Mönch nach seiner Ergreifung lebenden Timyin Tin furchtbar blass und allerhöchstens pragmatisch ausgestaltet.

Zelazny schenkt im Gegensatz zu Michael Moorcock - gemeint sind seine  wenigen Science Fiction Romane unter anderem um die Tänzer am Ende der Zeit  - seinen Protagonisten ein Happy End. Das Ende ist rasant und abrupt. Aber Zelazny findet im Vergleich zu einigen anderen seiner längeren Arbeiten auch ein Ende und schließt den Handlungsbogen erkennbar ab, zumal er hinsichtlich des Auftakts den Leser ins Wasser geschmissen hat.  Viele der Ideen wird der Leser in Zelaznys „Amber“ Zyklus auf eine Fantasy Ebene gehoben wiederfinden. In der vorliegenden Form ist „Roadmarks“ eine literarisch herausfordernde Spielerei, die keine einfache Lektüre darstellt, aber mit jeder Fahrt über diesen endlosen Highway der Zeit an Faszination gewinnt.  

  • Format: Kindle Edition
  • Dateigröße: 604 KB
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe: 195 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (25. August 2014)
  • Verkauf durch: Amazon Media EU S.à r.l.
  • Sprache: Deutsch
  • ASIN: B00MUPWEW0