Clarkesworld 125

Clarkesworld 125, Titelbild
Neil Clarke

Neil Clarke ist in den Ruhestand getreten. Wie er in seinem Vorwort sagt, konzentriert er sich jetzt alleine auf die Herausgabe von „Clarkesworld“ und verschiedene Anthologien: Ein Schritt, den er schon lange geplant hatte, der sich aber finanziell bislang nicht umsetzen ließ.

„Frodo is Dead“ ist ein interessanter Artikel, der thematisch irgendwie auch zum nachfolgenden Essay „A Doom of One´s Own“ passt. Während im ersten Artikel das magisch wissenschaftliche Erschaffen von überzeugenden Fantasy Welten kurzweilig analysiert und vor allem der Abstecher in die Renaissance des „Herr der Ringe“ in den siebziger Jahren und nicht wie meistens postuliert in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts angesprochen wird, wirft die Präsidentenwahl Trumps in den USA einen langen Schatten auf verschiedene Dystopien, wobei die Autorin einige seltene Bücher heraussucht und dem Leser vorstellt. Beide Essays lassen sich mit einigen Spritzern Humor sehr gut lesen. Das Interview von Chris Urie mit Nnedo Akoafor angesichts der Veröffentlichung ihrer Fortsetzung zur mit mehreren Preisen ausgestatten Novelle „Binti“ liest sich sehr gut. Mit einigen Fotos illustriert ist die sympathische Autorin eine wunderbare Gesprächspartnerin, die vor allem den Faden aus den wenigen Fragen aufnimmt und ausgesprochen dreidimensional und jederzeit überzeugend extrapoliert. Eines der besten Interviews in „Clarkesworld“, wobei das vor allem an der Interviewten und ihrer kritisch lebensbejahenden Art liegt.  

 Die zwei Nachdrucke stammen aus der Fantasy Ecke. Beide handeln von Drachen.  Cecilia Hollands „Dragon´s Deep“ folgt dabei lange Zeit dem Muster der Geschichten aus „1001 Nacht“, nur mit einem Drachen als Zuhörer. Die Fischer eines kleinen Dorfes beschließen aus Verzweiflung, zu einem seltenen Grund aufzubrechen, um dort Fische zu fangen, die der König nicht haben soll. Während eines Sturms sinkt das kleine Boot, alle kommen anscheinend bis auf eine junge Frau ums Leben, die sich vor einem gigantischen Drachen in eine Höhle flüchten kann. Der Drache ist zu groß, um sie gleich zu fressen. Sie kann aber auch nicht entkommen. So entwickelt sich eine seltsame Freundschaft. Sie erzählt dem sprechenden Drachen Geschichten, während dieser sie mit Fisch versorgt. Kritisch wird die Situation, als weitere Überlebende sie auf der Insel finden. Stilistisch ansprechend mit teilweise pointierten Humor zu Beginn entwickelt die Autorin lange Zeit ihre Geschichte entlang der bekannten Muster. Erst gegen Ende wirkt der Plot deutlich origineller und unterscheidet sich von den Märchentexten. Am Ende ist es eine ungewöhnliche Liebesgeschichte geworden, bei der – wie nicht selten – der Drache der dreidimensionalste Charakter ist. Zusammenfassend eine solide, in Ehren gealterte Geschichte, aber nicht zu vergleichen mit den teilweise herausragenden Nachdrucken der letzten Nummern.

„The Dragonslayer of Merebarton“ aus der Feder K.J. Parkers könnte sich an die zweite Hälfte von „Dragon´s Deep“ anschließen. Nur sind die Drachen in der armen Gegend von Mertebarton von einer reichen Familie ausgesetzt worden. Sie haben sich schnell vermehrt und beginnen die Häuser anzugreifen und zu verbrennen. Der Ich- Erzähler beobachtet den Versuch eines Ritters, den Drachen zu töten und muss schließlich gegen den eigenen Willen mit seiner Gefährtin eingreifen. Es ist eine stimmungsvolle, in einem ruhigen Ton erzählte Geschichte, die aber von der Grundstruktur inklusiv der Opferung von Jungfrauen auch an den bekannten Film „Dragonslayer“ erinnert. Vieles ist durch die in diesem nicht glückliche Ich- Erzählerperspektive leider vorhersehbar, so dass die ganze Geschichte sich unterhaltsam liest, aber das ein wenig zu moralisch verklärte Ende auch aufgesetzt erscheint.

Thematische Überschneidungen vor allem bei den Nachdrucken haben in den letzten Jahren immer wieder überrascht wie auch überzeugt. In der vorliegenden Ausgabe mit zwei „Drachen“ Geschichten in einem Magazin, das schwerpunkttechnisch eher auf Science Fiction ausgerichtet erscheint, wirkt unglücklich.

 Nur vier neue Storys präsentiert Neil Clarke, wobei die Längen doch stark variieren. Die kürzeste Story „Assasssins“ stammt von Jack Skillingstead und Burt Courtier. Es ist eine dieser leider auch sehr typischen Nach- Cyberpunk Storys, in denen ein sehr populäres Spiel in der virtuellen Realität gespielt wird, dessen Auswirkungen auch in die Realität reichen. Die Protagonisten sind vor dem exotischen, an einen futuristischen James Bond Film erinnernden Hintergrund solide gezeichnet, aber der ganze Plot ist viel zu kurz gehalten, als dass der Text als eigenständige Story wirklich nachhaltig überzeugen kann.  Mit Identitäten und Virtualitäten setzt sich auch „Prothetic Daughter“ von Nin Harris auseinander. Ein Krieg in der Zukunft, der anscheinend nicht nur in den Tiefen des Raums, sondern impliziert auch durch die Zeiten ausgefochten werden kann. Ein unschlagbares weibliches Team. Und schließlich der Diebstahl einer Identität. Die Protagonisten wird in einer Rettungskapsel in den Tiefen des Alls zurückgelassen, ihre Partnerin ist geflohen und hat Teile der Identität der Anderen mitgenommen. Aus der Ich- Erzählerperspektive mit einer gekonnten Mischung aus Wehmut, Melancholie, Verwunderung und trotzigem Optimismus erzählt kommt der Leser den gebrochenen Figuren relativ nahe. Der Hintergrund ist eher fragmentarisch, pragmatisch ausgeleuchtet. Nin Harris setzt vor allem Schlaglichter und legt auf die persönliche Beziehung zwischen den Figuren deutlich mehr wert. Zurückbleibt eine interessante Geschichte, weniger um Identitätsdiebstahl oder Leihe, sondern eine Auseinandersetzung mit dem Verlust an Menschen, die man liebt und im Grunde die ernüchternde These, dass selbst Clouds und Datenspeicherung die Sehnsucht nach der Heimat nicht ersetzen können.     

 Die beiden längeren Storys sind Übersetzungen. Simone Heller aus der Nähe von München hat ihre Geschichte “How Bees Fly“ selbst ins Englische übersetzt. Es ist eine wunderschöne „First Contact“ Story. Aus der Sicht der Fremden – sie ist die Heilerin und Bienenzüchterin des Stammes – wird die Begegnung mit den Dämonen beschrieben. Anscheinend handelt es sich um Menschen, die entweder aufgrund einer Naturkatastrophe oder eines Atomkrieges sich in eine gigantische Festung zurückgezogen haben. Die Welt – es ist nicht klar, ob es sich um die Erde handelt – wird von gigantischen Stürmen überzogen. Zwei Menschen fliehen in ihren Anzügen vor dem Sturm und stranden in der kleinen Siedlung. Die Frau ist schwanger. Die Heilerin hilft ihnen, ihr Kind auf die Welt zu bringen und schützt sie vor den abergläubischen Dorfbewohnern, die sie am liebsten verbrennen möchten. Das Ende ist zwar fatalistisch, wirkt auch stark aufgesetzt. Dabei sind es die subtilen Töne, die den Reiz dieser Geschichte ausmachen. Rückwärts blickend baut die Autorin durch die starke, sehr humanistische Sichtweise der Fremden, die menschlicher sind als die durch ihre Schutzanzüge isolierten Erdbewohner eine dreidimensionale, jederzeit nachvollziehbare Bindung zum Leser auf und zieht ihn über ihre subjektive, von Vorurteilungen und Ängsten geprägte Sichtweite unmittelbar in das surrealistisch erscheinende, aber an einige der stärksten Geschichten James Tiptrees jr. erinnernde Geschehen hinein.

 Die längste Geschichte „Rain Ship“ von Chi Hui ist eine ungewöhnliche Space Opera, die teilweise ein wenig überambitioniert erscheint. Sie spielt in einer fernen Zukunft, in welcher einzelne Gruppe vor allem die Hinterlassenschaften der alten Erde auf zahlreichen Planeten nicht nur aus archäologischen Gründen auszugraben suchen. Der Ich- Erzähler ist Mitglied einer genetisch und anscheinend auch kybernetisch gezüchteten Elitetruppe, welche die Archäologen vor allem an Bord der gigantischen Raumschiffe – sie werden „Rain Ships“ genannt – schützen soll, von denen man durch verschiedene Tore nach den Artefakten suchen kann. Es interessieren sich eine Reihe von Piratenbanden für diese Funde. Der Auftakt ist eine klassische, sehr stringente und mit einem hohen Tempo erzählte Space Opera. Eine Gruppe von Piraten legt eine falsche Spur, um die Sicherheitskräfte abzulenken und dann brutal zuzuschlagen. Die Actionszenen sind dynamisch erzählt und die Ich- Erzählerperspektive nimmt den Leser förmlich aus der ersten Reihe mit. Im Mittelteil verringert Chi Hui das Tempo und lässt einige Aspekte der gegenwärtigen chinesischen Bevölkerungspolitik in diese dunkle Zukunft einsickern, bevor er am Ende fast philosophierend in eine weitere Zukunft schauend viele der Aktionen der Gegenwart als unbedeutend und verzweifelt charakterisiert. Es ist insbesondere für die chinesische Science Fiction eine sehr ungewöhnliche Geschichte. Sie besticht wie eingangs erwähnt durch die dynamischen, schnell hintereinander weg erfolgenden Kampfszenen mit einem futuristischen, sehr exotischen, aber auch greifbaren Hintergrund, basierend auf den mystischen Legenden der alten Erde. Die Protagonisten sind solide, aber stellenweise sehr pragmatisch gezeichnet. Was dem Text fehlt, ist eine greifbare Tiefe, diese sozialkritische Philosophie, die vor allem einige andere Arbeiten Chi Huis auszeichnet. Seine Novelle wirkt wie der Versuch, amerikanische SF zu imitieren, anstatt den eigenen, sehr guten Wegen zu folgen. Dadurch bleibt der Plot an der Oberfläche und nicht selten hat der Leser ein unbestimmtes Gefühl der Vertrautheit. Es ist wie im Grunde fast alle Arbeiten dieser „Clarkesworld“ Ausgabe eine solide Unterhaltung ohne echte Höhepunkte.

 Zusammengefasst ist die Februar „Clarkesworld“ Ausgabe, der Beginn der selbstständigen Tätigkeit Neal Clarkes, leider nur eine sehr durchschnittliche Nummer, die dieses Mal – sehr ungewöhnlich – die interessantesten Feature im sekundärliterarischen Teil und nicht in den insgesamt sechs Geschichten/ Novellen hat.