Low Band 3 " Ufer der sterbenden Sonne"

Low, Titelbild, Rezension
Rick Remender

Im Original heißt wie in der guten deutschen Übersetzung der dritte Sammelband “Shore of the Dying Light”. Er fasst die einzelnen Hefte 11 bis 15 der Science Fiction Serie zusammen. So poetisch der Titel auch klingt, endlich an der Oberfläche angekommen findet die stetig optimistische Stel Caine eine Sonne vor, welche die immer nicht surrealistisch erscheinende Oberfläche förmlich verbrennt. Da ist nichts von einer sterbenden Sonne zu sehen, wobei sich Flora und Fauna auch sehr gut an diese Bedingungen angepasst haben und die Endzeitstimmung eher konstruiert erscheint.

Wie bei den anderen Sammelbänden ist die Handlung inzwischen „nur“ noch auf zwei Spannungsbögen aufgeteilt worden. Stel Caine ist mit ihrem Begleiter bei der Suche nach der aus dem Tiefen des Alls zurückkehrten Sonde wie angesprochen endlich aus dem Tiefen des Meeres hoch gekommen. Dort erwartet die beiden eine bizarre Welt. Es gibt Leben und der Mensch ist überflüssig geworden. Mit den in einer archaischen Zivilisation lebenden, den Wesen verdrängenden Wesen entwickelt sich der Plot allerdings zwiespältig. Das Überleben des Stärkeren wird immer wieder betont und graphisch auch dargestellt. Aber die Idee dieser tierischen, mutierten, aber für den Leser noch erkennbaren Rassen wirkt auch verzerrt und erinnert an brutale Märchen als das die eigenständige Linie der ersten Hefte weiter entwickelt worden ist. 

Wie bei vielen Geschichten sind nach tausenden von Jahren nicht nur die ursprünglichen Tiere noch deutlich erkennbar, sie sprechen anscheinend die gleiche Sprache wie die Menschen. Wer hat es ihnen beigebracht? Selbst wenn der Leser diesen Fakt noch akzeptieren kann, erscheint es unwahrscheinlich, dass sich die ursprünglichen Rassen in diese Richtung entwickeln. Sie stellen anscheinend Stellvertreter einer eher mittelalterlichen unverkennbar menschlichen Zivilisation mit einem erkennbaren Götzenglauben und weiterhin übernatürlichen Wesen dar, die mit einem Fingerschnippen das in dem Augenblick des Auftauchens von Menschen zerstören, was sie vorher wie einen Schrein gehütet haben.  In diesen Abschnitten wirkt „Low“ leider nicht unbedingt originell. Interessant ist, dass beim Splitter Verlag auch die zehnteilige französische Comicserie „Die Schiffbrüchigen der Zeit“ veröffentlicht worden ist, die bei thematisch vergleichbaren Ansätzen in diesen Punkten deutlich origineller und viel früher einen vergleichbaren Weg gegangen ist.

Waren wir ersten Geschichten schon dunkel, so präsentiert Rick Remender mit dem Ende des fünfzehnten Heftes einen nihilistischen Tiefschlag in mehrfacher Ausführung. Es ist selten, dass ein Autor so bewusst wie brutal den Handlungsbogen abschneidet, den er seit der Debütausgabe kontinuierlich aufgebaut hat.

Es bleibt allerdings abzuwarten, ob diese Entwicklung vielleicht auch zu Gunsten der Glaubwürdigkeit später wieder relativiert wird. Auf der emotionalen Ebene auch wegen der pointierten Dialoge überzeugt die Stel Caine Handlung deutlich mehr. Sie ist nicht mehr die grenzenlose bis teilweise naive Optimisten. Im Grunde treibt sie fast die Verzweiflung immer weiter vorwärts. Sie will die Sonde finden, um eine Art Seelenfrieden zu erlangen, auch wenn mehrfach impliziert wird, dass sie nicht mehr zurück in die Tiefen des Meeres gehen kann.  Zem ist ein Opportunist. Ob er durch die Hilfe für Stel Caine eine Art Vergebung sucht, ist nicht deutlich herausgearbeitet, aber die zwischenmenschlichen wenigen Abschnitte mit einer vielleicht kurzzeitig aufkeimenden Romanze zwischen Zem und Stel Caine gehören zu den auch zeichnerisch besten Abschnitten dieses dritten Sammelbandes.

Die zweite Handlungsebene setzt sich mit ihren Kindern auseinander. Sie wollen ihrer Mutter an die Oberfläche folgen. Als sie aus der dritten Stadt – eine Piratenstadt, deren Schicksal der Leser im Gegensatz zu den Protagonisten schon kennt- noch eine junge Frau an Bord ihres ambivalent gestalteten U Boots nehmen, droht die Situation zu eskalieren.  Die beiden Schwestern stehen sich schon wegen des allmächtigen Anzugs – eine Art MacGuffin, der opportunistisch eingesetzt wird – „feindlich“ gegenüber. Anscheinend werden sie aber gegeneinander ausgespielt. Es großes Problem dieses zweiten Spannungsbogens ist die Glaubwürdigkeit per se.   Zum einen lassen sich die Schwestern viel zu leicht ausspielen. Della und Tajo scheinen charakterlich mehr und mehr miteinander zu verschmelzen, obwohl vorher ihre Persönlichkeiten und ihre individuellen Entwicklungen gut voneinander getrennt beschrieben worden sind. 

Viele der Konflikte wirken wie der Kampf um das goldene Ei in Form eines Anzugs. Natürlich ist es eine mächtige Waffe, aber erstens agieren die Schwestern zu naiv und zweitens zu Beginn zu extrem. Es fehlt das Verständnis für das Schicksal der jeweils Anderen. So lassen sie sich sehr leicht ausspielen, wobei ein geschickter Mörder alleine in diesen sechs Heften mehr als ein halbes Dutzend Gelegenheiten gehabt hätte, sie wirklich zu töten und nicht umständlich um die Ecke zu schaffen. Die Charaktere agieren weiterhin extrem hektisch, ohne das eine wirkliche Basis gefunden wird.  Dadurch distanzieren sie sich im direkten Vergleich mit ihrer Mutter an der Oberfläche zu sehr vom Leser.

Eine weitere Schwäche ist in diesen Passagen der exzentrische Zeichenstil Greg Tocchinis. Dave McCaig als Colourist wirkt wie auf Speed. Er variiert zu wenig die Farben und arbeitet in einigen wichtigen Abschnitten mit Tönen, die zu eng aneinander stehen und das Betrachten der Bilder extrem erschweren. Tocchini ist kein Zeichner, der Details liebt. Wie ein Surrealist schwingt er einen breiten Pinsel, der an einigen Stellen in einer Science Fiction Serie positiv die Umgebung verfremdet. Negativ ist diese Vorgehensweise bei allen technischen Details. Irgendwann kann der Leser fast nicht mehr zwischen dem Wunderanzug, einem futuristischen normalen Taucheranzug und schließlich auch dem U Boot unterscheiden. Viele der Bilder sind absichtlich zu verwaschen dargestellt und ermüden eher das Auge als das die Aufmerksamkeit auf notwendige Details gelenkt wird.

Die Wasserfarbentechnik ist grundsätzlich nicht schlecht, sollte sich aber auf die Hintergründe beschränken.  Hier hat Tocchini vor allem in den die Seiten „sprengenden“ Panels eine wunderbar fremdartige Welt erschaffen und bei diesen Bildern verweilt der Leser auch deutlich länger als in den hektischen, fast nicht zu differenzierenden Actionszenen, in denen seine Menschen eine fast übertriebene Überlebensfähigkeit zeigen.

Plottechnisch ist es ebenfalls nur die an der Oberfläche spielende Handlung um Stel Caine, die sich dann allerdings drastisch und dramaturgisch zumindest ansprechend voran bewegt, während der noch unter Wasser spielende Handlungsbogen eine Quadratur des Kreises darstellt. Zu viele Bilder gehen für diese bislang eher als Nebenhandlung zu betrachtende Ebene „verloren“.  Das rasante Tempo wird immer wieder verlangsamt und bei den einzelnen Hefte außerhalb dieses Sammelbandes betrachtent hat der Leser den Eindruck, als wollte Rick Remender zu sehr „Seiten“ schinden.

Vieles hängt bei „Low“ aufgrund des sehr dunklen Endes von den nächsten Einzelabenteuern ab. Die Serie verfügt trotz der angesprochenen Schwächen immer noch über ausreichend Potential, eine ungewöhnliche Science Fantasy Serie zu werden, aber als Ganzes betrachtet erreichen die in diesem dritten Album gesammelten Einzelabenteuer elf bis fünfzehn nur an wenigen Stellen die originelle und herausragende Qualität der ersten Hefte, in denen neben Stel Caines fatalistisch erscheinenden Optimismus vor allem der exzentrisch entwickelte Hintergrund der Serie im Gedächtnis geblieben ist.   

  • Gebundene Ausgabe: 136 Seiten
  • Verlag: Splitter-Verlag; Auflage: 1 (1. Februar 2017)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3958394833
  • ISBN-13: 978-3958394834
  • Originaltitel: Low
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