Giftflut

Giftflut, von Ditfurth, Titelbild, Rezension
Christian von Ditfurth

Nach "Heldenfabrik" und "Zwei Sekunden" ist "Giftflut“ der dritte und wahrscheinlich vorläufig letzte Roman um Kommissar de Bodt. Mit jedem Roman hat Christian von Ditfurth die Bedrohungslage gesteigert. Insbesondere bei „Zwei Sekunden“ war lange Zeit die Idee faszinierend, mit einem großen Verbrechen wie dem Anschlag auf Politiker ein „kleineres“, aber gewichtiges Ereignis absichtlich zu überdecken.

In „Giftflut“  spiegelt sich die inzwischen zur Wahrheit gewordene Realität des Jahres 2017 nicht immer mit den üblichen terroristischen Verdächtigen wider. Ohne in die Details des Plots zu gehen, ist die Grundlage dieses hier vorgestellten perfiden Verbrechens von der Zeit und einem vergleichbaren Anschlag mit ähnlichen Motiven überholt worden.  Natürlich ist bei dem Historiker alles größer, verschlungener und damit globaler, aber die Idee, mit Verbrechen und Insiderinformationen Geld zu verdienen, in dem aktiv eine Voraussetzung  für Kursbewegungen geschaffen wird, ist weder neu, sondern wie geschrieben sogar 2017 schon zum Einsatz gekommen.

Wahrscheinlich hätte Christian von Ditfurth seine phantastischen Extrapolationen nach dem Bekanntwerden der Situation und vor allem der im Vorwege abgelaufenen Warnungen noch einmal grundlegend überarbeiten müssen. Es hätte das Buch glaubwürdiger gemacht.

In der vorliegenden Form ist es ein Rückfall in die Zeiten, als erstens alle ohne Frage teilweise auch berechtigt das rücksichtslose, rein profitorientierte Investmentbanking der Global Player kritisierten, ohne das berücksichtigt wird, dass nicht nur mit Regularien den Kolossen Ketten angelegt worden, sondern nicht selten auch hinter den Kulissen Veränderungen eingetreten sind. Vor allem versucht sich Christian von Ditfurth auf den letzten Seiten seinen Plot in mehrfach fragwürdiger Art und Weise hinzubiegen, weil er sich nicht mit dem grauen Kapitalmarkt oder gar einzelnen Playern in James Bond Manier  zufrieden geben möchte, sondern dem Großkapital und ihrem Drang nach Rendite noch eines auswischen will. Dabei überschreitet er so viele realistische  Grenzen, das er seine ganze Grundidee  ad absurdum führt und die ausführenden Organe der „Verbrecher“ karikiert. Wenn die Damen hinter dem Buffet anscheinend dem seltsamen Rhythmus des Geldes erliegen und der „Guru“ eher wie eine verkokste Witzfigur erscheint, dann negiert er die dunklen Ansätze des langen Ermittlungsweges dahin.  

Viel schlimmer ist, dass diese im Gegensatz zu Oliver Stones ersten „Wall Street“  Film unrealistischen Protagonisten auch noch in New York arbeiten und damit der SEC unterliegen, der amerikanischen Börsenaufsicht. In Christian von Ditfurths Buch werden plötzlich Milliarden auf Konten unbekannter Männer überwiesen, deren Herkunft anscheinend noch aus der Quelle der Gelddruckerei stammen.

Oder ein extra aufgesetztes Vehikel empfängt innerhalb weniger Minuten eine Geldüberweisung, ohne die Identität zu prüfen oder geschweige denn einen Vertrag zu unterschreiben. Das die Fondsanteile auch noch in ein Kundendepot gebucht werden müssen, ignoriert der Autor zusätzlich. Hauptsache es passt in das dramaturgisch aufgemotzte Szenario.

Natürlich müssen solche Existenzen scheitern, weil der  Autor es will. Dazu nutzt er einen billigen  Trick, der unrealistisch erscheint. Die Handlung spielt innerhalb weniger Tage. Aus einer zweifelhaften Quelle werden noch unrealistischere Informationen den Handlangern zugespielt, die mit einer in dieser Form nicht funktionieren Konstruktion – alles shorten inklusiv konträrer Instrumente bringt nicht unbedingt einen negativen Effekt – plötzlich entblößt sind.  Dabei macht Christian von Ditfurth in mehrfacher Hinsicht Fehler.

Als die amerikanischen Börsen nach dem Anschlag des 11. Septembers wieder öffneten, begleitete sie eine globale Zinssenkung. Das Ergebnis waren eben in diesen Krisenzeiten keine steigenden Kurse, sondern die verzweifelte Suche des intelligenten Gelds nach Antworten und damit irrationaler Sicherheit in einer aus den Fugen geratenen Welt. Die Falschinformation, auf welcher de Bodt seinen finalen Schachzug aufbaut, ist so absurd, dass sie wehtut. Niemals wird sich ein Fondsmanager nur auf Informationen aus einer Quelle verlassen, die er bislang nicht benötigt hat, da die Ereignisse von einer gänzlich anderen Seite erschaffen worden sind, um Ergebnisse zu erzielen.

Und jetzt soll der finale Schachzug auf einer anderen Richtung kommen. Und so unwahrscheinlich sein, dass der Autor keine logische Erklärung nachschieben kann, denn buchstäblich impliziert er, dass ohne Nachhaltigkeit Öl in ein immer noch schwelendes Feuer mit verheerenden Wirkungen gegossen werden soll. Jeder professionelle Händler hätte diese Idee ins Reich der Gerüchte verschoben bzw. andere Quellen angezapft, um es zu verifizieren.  Aber dieser Bluff funktioniert plötzlich, obwohl er einen Bart hat, der schon an Paul Newmans und Robert Redfords brillante Komödie „Der Clou“ erinnert.

Es ist aber nur eine der zahllosen Schwächen, die der Autor auf der kapitalistischen Seite präsentiert und den vorliegenden de Bodt Roman genauso entkräften wie es leider auf den letzten Seiten von „Zwei Sekunden“ der Fall gewesen ist. Die Romane um den schweigsamen einzelgängerischen Kommissar zeigen weiterhin  die sehr großen Stärken des Autoren, aber auch seine Schwäche hinsichtlich des Endes. In dieser Hinsicht steht er Stephen King in nichts nach. Auch der Amerikaner ist nicht in der Lage, in vielen seiner Bücher die interessanten wie spannenden Ausgangsszenarien effektiv abzuschließen.

Immer wenn Christian von Ditfurth aber historische Fakten und Ideen in seine Plots einbaut, funktionieren die Romane deutlich besser und wirken auch harmonischer.

Vom enttäuschenden Ende abgesehen müht sich „Giftflut“ – auch der Titel deutet in eine Richtung, die nicht erfüllt wird – vor allem auf der Nebenhandlung einem Finale entgegen. Ein junger Hacker macht mit seiner Freundin in Asien Urlaub und hackt sich in einen der Computer der Verbrecherorganisation. Die ausgeschickten Männer fürs Grobe töten seine Freundin. Der junge Mann beschließt, zum Rambo zu werden und mit einer Mischung aus Gameerfahrung, Glück und Rücksichtslosigkeit kann er nicht nur das örtliche Nest ausschalten und den Server lahm legen, er folgt einer Hierarchieebene nach der Anderen über Australien bis nach Berlin zum Finale. Dabei erweist er sich als ein ebenso brutaler Killer, der mindestens drei Unschuldige kaltblütig ermordet  und inzwischen auch keine Reue mehr zeigt. Der Leser entfremdet sich unabhängig von der immer unrealistisch werdenden Situation vom Protagonisten und verfolgt das Geschehen eher beiläufig als wirklich spannend unterhaltsam.

Es ist die de Bodt Handlung, die lange Zeit fesselt. Es gibt drei Morde in den Städten Berlin, Paris und London. Jeweils wird ein leitender Angestellter der örtlichen Wasserwerke mit seiner Frau  in der Badewanne ertränkt und der Schlüssel zur Arbeitsstelle mitgenommen. Zumindest in Berlin betritt auch einer der Täter das Wasserwerk.

Kurze Zeit später werden in den Städten wichtige Verbindungsbrücken gesprengt und hunderte von Menschen getötet, als Züge drüber fahren.

Im nächsten Schritt sprengen die potentiellen Terroristen zwei Fähren und da Christian von Ditfurth nichts anderes eingefallen ist auch den Eurotunnel. Kritisch gesprochen die erste Abweichung vom Muster, auch wenn alle Objekte weiterhin noch mit Wasser  zu tun haben.

Folglich kommt es zu einigen Fehlspekulationen de Bodts, der am falschen Ort sucht und nur in letzter Sekunde telefonisch eine dann richtige Warnung aussprechen kann. Das ist alles cineastisch interessant wie unrealistisch niedergeschrieben. Die Faszination des ersten de Bodt Buches basierte auf eine skurrilen Ausgangslage und einer dynamischen Handlung, während „Zwei Sekunden“ und vor allem „Giftflut“ eher wie amerikanisches Popcornkino mit eingedeutschten Schauspielern erscheint.  

Auf der anfänglich privaten Handlungsebene lernt de Bodt seine neue attraktive Nachbarin zum Leidwesen seiner Assistentin Salinger besser kennen und beginnt eine Beziehung zu ihr. De Bodt wird zu Beginn von einem schlechten Gewissen Salinger gegenüber heimgesucht, da er die Kollegin liebt, aber ihre Karriere nicht mit einer Beziehung zerstören möchte. Christian von Ditfurth bemüht sich, diesen Gewissenskonflikt authentisch zu beschreiben, um dann im Umkehrschluss auch in diesem Teil des Romans eine überraschende Wendung zu präsentieren.  Neueinsteiger in die Serie werden verblüfft sein.

Als übergeordneter Erzähler hat Christian von Ditfurth den Leser eher manipuliert als Spannung nachvollziehbar aufgebaut.

 Es empfiehlt sich, mindestens „Zwei Sekunden“ gelesen zu haben, da auf beiden Seiten des Konflikts bekannte Figuren wieder auftauchen. Es stellt sich nur die Frage, warum vor allem der im Gefängnis sitzende Bob sich sowohl Mühe gibt, eine offene Flanke nicht gleich zu schließen? Und das in dem Moment, in dem ihm der Auftrag erteilt wird und potentielle Bedrohungen ausgeschaltet werden könnten. Lange vor dem ersten Unglück/ Anschlag hätte de Bodt keine echte Chance gehabt, wenn diese paramilitärischen Spezialisten zugeschlagen hätten. Auf der anderen Seite gäbe es dann literarisch auch keinen dritten Fall.

Es ist ein schmaler Grat, auf dem sich ein Autor vor allem innerhalb einer Serie bewegen muss. Aber da von Ditfurth unbedingt eine Art Jason Bourne/ „Die Hard“ Serie schreiben wollte, muss er sich der Kritik hinsichtlich der unrealistischen Vorplanung stellen.    

Diese Vorgehensweise ist in mehrfacher Hinsicht schade. Hätte sich von Ditfurth hinsichtlich der Fälle nur ein wenig zurück genommen, wäre die de Bodt Reihe sein bisheriger literarischer  Höhepunkt gewesen. Der aus kurzen, manchmal unvollständigen Sätzen bestehende Stil, die melancholische Atmosphäre in einem direkten Kontrast zu der für de Bodt zu lebendigen Stadt Berlin und vor allem ein Einzelgänger, der seine Untergebenen schützt, aber seine Vorgesetzten im besten Fall ignoriert und trotzdem mit seiner exzentrischen Einzelgänger Art  Erfolg hat. Das Verhältnis zu Salinger inklusiv ihrer meistens überzeugenden Charakterisierung und der wie er selbst sagt Quotentürke Yussuf mit seiner pragmatischen Art sowie seinem selbstironischen Humor sind ein Nährboden, auf dem gute realistische und doch kriminaltechnisch auch „phantastische“ Thriller entstehen können.

Selbst die Zusammenarbeit mit den Russen und ihrer KGB Vergangenheit in Form der eiskalten Killerin und dem ambivalenten Vorgesetzten sowie den unter den vergleichbaren Strukturen leidenden französischen Kollegen könnten in einem ein wenig realistischeren und vor allem bis zum Ende auch überzeugend durchgeplanten Plot funktionieren.

Aber irgendwo mitten im Handlungsablauf hat Christian von Ditfurth ein antikapitalistisches Sendungsbewusstsein gepackt, dem er ein unrealistisches und eher schriftstellerisch traumatisches Portrait der großen Investmentbankingwelt zur Seite gestellt hat.  De Bodt ist zu sehr im Mittelpunkt der Handlung und wenn die dekadente selbstverliebte Welt der Wall Street plötzlich zu einer absurden Parodie jenseits von Realismus und gegenwärtigen Vorgehensweisen gezeichnet wird, dann bleibt die Frage offen, warum der Autor in diesem schwierigen Thema nicht einen einfachen Weg mit einem Schurken in James Bond Manier gegangen ist als seine Glaubwürdigkeit als Thrillerautor auf dem Altar der Provokation zu opfern.

Natürlich will der Autor deutlich machen, dass rücksichtslose Menschen für Geld alles machen, aber die ausführenden Organe wie auch die Hintermänner verhalten sich nach dem interessanten und sehr spannenden Auftakt nicht wie die Profis, als die sie der Autor gerne hinstellt und als die sie sich auch sehen, sondern wie Amateure, die an beiden Fronten von in dieser Hinsicht „normalen“ Menschen bzw. Polizisten wie Naivlinge an einer Art Nasenring durch die imaginären Arenen geführt werden.

Nach der Hälfte des Romans wirkt der Handlungsbogen überspannt und Christian von Ditfurth weiß im Grunde nicht, wie er das aufgebaute Szenario in der nicht immer zufriedenstellenden Tradition amerikanischer Blockbuster zu einem überzeugenden Ende bringen kann. Wer sein Hirn ausschaltet, der wird ohne Frage kurzweilig wie oberflächlich gut unterhalten. Wer über die präsentierte Konstruktion nachzudenken beginnt, wird spätestens nach dem Angriff mit dem Jet in Berlin enttäuscht  sich abwenden. 

Weniger wäre mehr gewesen und der interessante Ansatz zu Beginn mit dieser konzertierten perversen Aktion der „Terroristen“ löst sich irgendwann beschämend in Rauch auf, so dass „Giftflut“ vor allem angesichts der immer besser werdenden Zeichnung der Protagonisten der schwächste de Bodt Roman der Trilogie ist. Da hilft es auch nicht, das wie eingangs erwähnt der Ansatz wirklich in der Theorie des Elfenbeinturms ambitioniert ist.     

  

  • Broschiert: 480 Seiten
  • Verlag: carl's books; Auflage: 1. Auflage (4. September 2017)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3570585654
  • ISBN-13: 978-3570585658
Kategorie: