Devolution

Devolution, Splitter Verlag, Titelbild
Rick Remender

Die originär in den USA bei Dynamite veröffentlichte fünfteilige und als Splitter Hardcover in einem Band vorliegende „Devolution“ Serie von Rick Remender mit teilweise surrealistischen Zeichnungen Jonathan Wayshaks sowie der Farbgestaltung von Jordan Boyd könnte als Comicbeitrag zur „Mad Max“ und Epigonen Welle angesehen werden. Nicht nur dem ohne Frage vertretenen Wahnsinn von „Fury Road“ mit seinen überdimensionalen Charakteren, sondern dem Erfolg von „The Road Warrior“ oder den italienischen Endzeitfilmen folgend, in denen die menschlichen Protagonisten meistens entweder auf einer Mission oder einer Quest von mehr oder minder grotesk mutierten Wilden verfolgt worden sind.

 Diese bekannten bis klischeehaft immer wieder wiederholten Komponenten findet der aufmerksame Leser in der fünfteiligen Serie, wobei vor allem die Ausgangsprämisse faszinierend, aber zu wenig konsequent umgesetzt worden ist. Jedes Wesen auf der Erde hat sich zurückentwickelt, die Evolution ist durch ein künstlich erschaffenes Virus umgekehrt worden. Die Forscher wollten den immer weiter kriegslüsternden Menschen die Religion, den Glauben als möglichen Katalysator zahlloser Konflikte nehmen. Die Hoffnung ist gewesen, das sie dadurch friedlicher werden und ein möglicher Atomkrieg gestoppt werden kann. Wie es sich für derartige Experimente gehört, wurde aber nicht nur der Mensch in die Primitivität verstoßen, sondern auch durch ein unkontrolliertes Ausbreiten die Natur in phantastische prähistorische Dimensionen in Anlehnung an Roger Zelaznys „Damnation Road“ verstoßen. Insbesondere die blutrünstigen Insekten und Spinnen sind plötzlich ohne weitere Erklärungen riesig und die ehemals leuchten Zeichen der menschlichen Zivilisation sind von Unkraut überwuchert. Überall leben anscheinend Neandertaler, Mammuts, Säbelzahntiger und Mamuts, ohne das Rick Remender für diese Devolution eine überzeugende Erklärung abgeben kann.

 Roger Zelazny hat eine derartige Welt aus der Theorie heraus entwickelt, dass die Strahlung der Atombomben das Wachstum beschleunigt haben, während die Menschen in ihren wenigen Städten und Bunkern langsam dahin siechen. Während beim Amerikaner zwischen dem Krieg und dem Einsetzen der Handlung im Buch und nicht der verunglückten Verfilmung einiges an Zeit vergangen ist, schränkt Rick Remender durch die zugrunde liegende Prämisse die Zeit stark ein. Seine Protagonistin Raja gehört zu den wenigen „reinen“ überlebenden Menschen. Sie ist auf dem Weg nach San Francisco – das Thema der Quest zieht sich wie ein roter Faden durch die fünf Hefte -, da es dort ein Gegenmittel zum militärisch entwickelten DVO-8 Wirkstoff geben soll, der die Welt in diesen Zustand versetzt hat. Rajas Vater ist für die Entwicklung verantwortlich gewesen, auch wenn er das Virus nicht so unkontrolliert verbreiten wollte. Raja fühlt eine moralische Mitschuld an der Katastrophe und will deswegen diese Devolution stoppen, in dem sie das vorhandene Gegenmittel ins Wasser leitet und wieder eine „Evolution“ einleitet.

 Ein klassisches Ausgangszenario, dem Rick Remender positiv noch eine Pretitle Sequenz hinzufügt, um die Spannungsschraube anzuziehen und den Leser unmittelbar und unvorbereitet in diese wilde barbarische Welt zu werfen, die in der Folge in einzelnen Abschnitten wie eine überdrehte auf Speed entwickelte Hommage an „Storm“ nur mit einer Frau am Ruder und dessen Reise über die ebenfalls veränderte Erde erscheint. Gleich zu Beginn werden die beiden wichtigsten Punkte Sex und überdrehte Gewalt vorgestellt.

 Raja taucht erst wenige Seiten später auf. Sie bringt einen im Dschungel vor einem Angriff der Bestien geretteten Arzt zurück in eine der wenigen isolierten menschlichen Siedlungen, die von einem überdimensionalen, geistig degenerierten Neo Nazi mit einem übertriebenen Sendungsbewusstsein und einem Hang zu sexuellem Sadismus regiert wird. Eine erfolgreiche Mission Rajas könnte seine isolierte Machtposition unterminieren, so dass er egoistisch kein Interesse hat, ihr zu helfen. Er nimmt sie gefangen und will sie zu einer weiteren Sklavin machen. Natürlich wird ihr von einem farbigen Ex Söldner geholfen und zusammen mit einer kleinen Gruppe von Menschen können sie an Bord des verbliebenen Kampfhubschraubers fliehen.

 Dieser relativ schnell erzählten und effektiv abgehandelten Ausgangsprämisse folgend müssen sich die Charaktere durch zahlreiche, immer surrealistischer werdende Gefahren schlagen, wobei sie natürlich wie es sich für diese Geschichten auch gehört natürlich von dem blamierten Neo Nazi mit einem ebenfalls als Phallusersatz dienenden Maschinengewehr verfolgt werden.    

 Die grundlegende Handlung inklusiv einiger kurzer falscher Spuren voller vordergründiger Theatralik besteht aus der Fahrt zum „Versteck“ des Antiserums. Die Episoden sind von unterschiedlicher Exzentrik, wobei sowohl die blutigen Angriffe in letzter Sekunde als auch die verschiedenen Begegnungen sich zu wiederholen beginnen. Natürlich können die überdimensionierten Wesen – eine Spinne ist genauso gigantisch groß wie ein Hai, aber die Verhältnisse von der Ausgangsform stimmen nicht – den Menschen/ Primitiven gefährlich werden. Auch scheut sich Rick Remender nicht, die cineastischen Gesetze außer Kraft zu setzen und neben mit wenigen Strichen sympathisch skizzierten Protagonisten auch Kinder nicht nur in Gefahr zu bringen, sondern einen Schritt weiter zu gehen. Aber in den fünf Heften finden sich insgesamt drei mehr oder minder relevante Szenen, in denen sich Vorgänge wiederholen. Wenn am Ende in der Theorie als Ironie alles sich zum Anderen, vielleicht auch impliziert zum Guten wendet, dann hat die Protagonistin mit diesen Abläufen nicht mehr zu tun. Das sich das Überraschungselement aber abgenutzt hat, funktioniert die Grundidee nicht mehr so gut wie vom Autoren beabsichtigt.

 Hinzu kommt, dass Jonathan Wayshaks Zeichenstil sehr expressiv ist. Das er es detailliert und genau kann, unterstreicht er bei den Sequenzen, die im All spielen und den geradlinigen Handlungsverlauf unterbrechen könnten. Hinzu kommt die Zeichnung der ersten Festung in der eingangs angesprochenen „Road Warrior“ oder Romeros „Dead“ Manier. Dank der Detailfülle vor allem in Kombination mit einigen atmosphärisch überzeugenden halb- oder ganzseitigen Expositionszeichnungen fesseln sie die Augen der Leser.

 Dagegen wirken die Actionszenen in ihrem Garth Ennis Hang  zur effektiven Übertreibung neigend. Das platzen Schädel, werden am Rumpf abgetrennte Körper inklusiv der Verweise auf Kannibalismus durch die Gegend geschleudert. Der Tod kommt schnell und brutal, aber er schockiert nicht, weil die Grenze zur Farce immer wieder überschritten wird. Weniger wäre vor allem angesichts der nicht unbedingt originellen, aber solide im Rahmen der bekannten und angesprochenen B Post Doomsday Geschichten entwickelten Handlung deutlich mehr gewesen.

 Unter diesem Hang zur Übertreibung leidet auch die Entwicklung der einzigen wirklich zugänglichen Protagonisten Raja. Ihr Sendungsbewusstsein, das Unrecht ihres Vaters auszugleichen und die Welt wieder zu evolutionieren, bestimmt ihre jederzeit nachvollziehbaren Handlungen. Dazu kommt ein Überlebenswille, der fast schon Red Sonja auch Robert E. Howards Geschichten vor einem vergleichbaren barbarischen, nur durch die rudimentären Reste der Technik modernisierten Hintergrund. Ihr schwarzer Begleiter rückt mehr und mehr als Motivator nach einer überzeugenden Einführung inklusiv des entsprechenden Opfers in den Hintergrund. Als Raja schließlich nach einer absichtlich gelegten falschen Spur die weitere Wahrheit über das Virus erfährt, hat sich der Leser ein wenig zu sehr angesichts des Fatalismus von ihr wieder entfernt, als das die Erkenntnisse noch wirklich erschrecken können.

 „Devolution“ schöpft die interessanten Grundideen nicht unbedingt zufriedenstellend aus. Eine Rückentwicklung hätte differenzierter und vor allem über einen längeren Zeitraum beschrieben werden müssen, da diese Reste der menschlichen Zivilisation zu sehr aus anderen Geschichten als Stereotype bekannt dem Leser vertraut sind. Wie mehrfach erwähnt wäre weniger mehr gewesen, während die teilweise surrealistischen Zeichnungen auf der einen Seite provozieren, aber nicht schockieren, auf der anderen Seite den wenigen sehr detaillierten und auf den ersten Blick aus einer anderen Geschichte stammenden Zeichnungen konträr gegenüber stehen, als wenn das Team keine echte nachvollziehbare Struktur ihrer Geschichte schenken wollte. Vieles wird nur angedeutet oder unausgesprochen, so dass die Hektik der erzählten Geschichte die interessanten Funken teilweise überdeckt. In erster Linie wollte Rick Remender wie Garth Ennis überzogen skurril unterhalten und das ist dem Team im Großen und Ganzen zumindest gelungen.

 Wie der Klappentext der wieder schön gestalteten Splitterausgabe mit einer Reihe von Produktionsskizzen und den extra abgebildeten Titelbildern im Anhang des Hardcovers klar macht, handelt es sich in erster Linie um eine Pulpgeschichte irgendwo zwischen futuristischer Heroic Fantasy und barbarischer Science Fiction. 

    

  • Gebundene Ausgabe: 160 Seiten
  • Verlag: Splitter-Verlag; Auflage: 1 (1. August 2017)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3958391397
  • ISBN-13: 978-3958391390
  • Vom Hersteller empfohlenes Alter: Ab 18 Jahren
  • Originaltitel: Devolution
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