Dr. Who- Harvest of Time

Alistair Reynolds

Neben Michael Moorcock und Stephen Baxter gehört Alistair Reynolds zu den über das „Dr. Who“ Universum heraus bekanntesten Autoren, die einen Roman um den berühmtesten „Doctor“ des Universums geschrieben haben. Während sich Moorcock an der neuen Fernsehserie orientiert hat, konzentrierten sich Baxter und Reynolds auf die lieb gewonnen ersten Doktoren… in diesem Fall die John Pertwee Ära, mit der Reynolds laut eigenen Aussagen im Buch aufgewachsen ist.  Es ist interessant, dass nur Moorcock „Dr. Who“ mit seinem eigenen Universum verbunden hat, während Baxter eine abenteuerliche Geschichte mit evolutionären Zügen geschrieben hat. Reynolds dagegen nutzt als Novum in seinem bisherigen Werk verschiedene Ideen der Zeitreise und einhergehend von Zeitparadoxa, um ein spannendes Garn zu spinnen, dass neben verschiedenen gut entwickelten und am Ende auch zufriedenstellend zusammenlaufenden Handlungsebenen zumindest eine Überraschung am Ende präsentiert. Mit dem „Master“ – dem dunklen Bruder des „Doctors“ – verfügt der Roman über einen klassischen charismatischen Antagonisten, dessen Pläne allerdings das Universum widerwillig retten müssen. Im Grunde ist die von Reynolds interessant und deutlich vielschichtiger als in der Fernsehserie angelegte Figur Zerstörer und Heilsbringer in einer Person.

Für Fans der Serie und vor allem Anhänger der Pertwee Ära ist "Harvest of Time" allerdings auch ein zweiter. Die UNIT Familie inklusiv Jo Grant als Begleiterin des Doctors wurde im zweiten Pertwee Jahr etabliert. "The Master" war ein ständiger Kontrahent des Doctors, obwohl beide unsterbliche Timelords sind. Schwarz und weiß zieht sich auch irgendwie an. Die Grautöne aus dieser Mischung treten verstärkt im vorliegenden Roman in den Vordergrund, denn mit der Möglichkeit von Zeitrissen und Anomalien, Parallelwelten und schließlich der ökologisch ein wenig überspannten Idee einer sich selbst vernichtenden Erde sowie einer über lange Zeit verzweifelt um eine unbekannte "Rettung" kämpfende Königin einer "fremden" Rasse verfügt der Roman über einen Rahmen, der weit über die in erster Linie auf der Erde spielenden UNIT Abenteuer hinaus reicht. Die nicht selten an futuristische Versionen der "Avengers" erinnernden Pertwee Folgen erhalten im Kontext des vorliegenden Romans rückwirkend und vor allem in die Zukunft blickend einen deutlich dunkleren Unterton.

Der Plot spielt sich wie angesprochen auf verschiedenen Ebenen ab. In einer fernen Zukunft versucht die Königin einer fremden Rasse, in ein gigantisches treibendes Raumschiffwrack einzudringen, um das Universum zu retten. In der Gegenwart experimentiert das britische Militär mit Ideen des im Gefängnis sitzenden "The Master" gegen den Willen des Doctors. Auf einer Erdölplattform kommt es zu einem wettertechnischen Phänomen, das schließlich im Verschwinden der ganzen Plattform gipfelt. "The Master" hat einen Langzeitplan entwickelt, in dessen Verlauf er quasi in der Zukunft um Hilfe ruft, damit er aus seinem Gefängnis befreit werden kann. Der Doctor versucht einem Hilferuf nachzugehen, der ihn über die UNIT erreicht hat. Und fremde krabbenähnliche Wesen drohen die Erde zu überrennen. Im Hintergrund besteht die Gefahr von Zeitrissen. Die Zerstörung dieses labilen Gefüges könnte dazu führen, dass alle Menschen inklusiv des Doctors die Existenz des "Masters" einfach nur vergessen.

Reynolds schenkt der UNIT im Vergleich zur Fernsehserie eine deutlich aktivere Rolle. Dabei bewegt sich der Autor auf einem schmalen Grad zwischen stringenter Spannung und Satire. Wenn die Soldaten ganze von den das Bewusstsein manipulierenden Krabben befallene Kuhherden niederschießen müssen, kann man diese Szenen nicht mehr ernst nehmen. Auf der anderen Seite versucht die UNIT unabhängig vom Doctor bei Gefahr die Initiative zu übernehmen. Ohne die Feinde oder die Gefahren wirklich zu kennen. Auf der anderen Seite schlagen die opportunistischen britischen Politiker und Militärs aus der Gefangenname des "Masters" Kapital. Die Naivität, mit welcher sie seine Ideen für eine seltsam ambivalente Superwaffe umzusetzen suchen, erscheint übertrieben und aufgesetzt.

Die Idee des Vergessen, des aus der Zeit fallen wird leider im Verlaufe des Romans relativiert. Sie gehört zu den besten Handlungsarmen des Romans. Die Gefahren in der Zukunft - ein uraltes Raumschiff, das laut Legenden vor Äonen zerstört worden ist, da die Außerirdischen eine Zerstörung für das ganze Universum bedeuten könnten - sowie die Queen, welche ihre Untergebenen immer wieder zum Wohle eines erst vom Doctor erläuterten Ziels in tödliche Situationen bringt, erscheinen so wie in der Fernsehserie. Dramaturgisch nicht immer nachvollziehbar entwickelt und von leicht erkennbaren "Tricks" - Reynolds Beschreibungen bleiben nicht selten an der Oberfläche - durch drungen. Auch wenn sich der Showdown in der fernen Zukunft abspielt, sind es die Szenen auf der Erde, welche dem vorliegenden Roman insbesondere im ersten Drittel eine individuelle, aus dem "Dr. Who" Universum herausragende Stärke verleihen.

Aber Reynolds ist nicht nur ein Autor, der seinen Roman mit zahllosen Ideen förmlich gepflastert hat, die für mindestens eine Fortsetzung, wenn nicht um fernsehtechnisch zu sprechen eine Staffel gereicht hätten, er hat sich den beiden wichtigsten Figuren des Romans angenommen und sie mit sehr viel Respekt modernisiert. Das er dabei einige Grundfeste der Pertwee Ära in Frage stellt, ist eine weitere Facette, die "Harvest of Time" für nicht verbohrte Fans so interessant und lesenswert macht.

Immer wieder betont der Autor, dass sich der Doctor und "The Master" seit vielen Jahren kennen. Immer wieder hat der Doctor die schlimmen Pläne seines Antagonisten durchkreuzt. Im vorliegenden Roman wird der "Master" trotz oder vor allem aufgrund seiner intellektuellen Überlegenheit zu einem unfreiwilligen Opfer und die von ihm langzeittechnisch geplante Rettung von außen geht von Beginn an schief. Die Retter wollen und brauchen ihn, um ihre eigene Welt und damit Vergangenheit/ Gegenwart / Zukunft zu ordnen. Gegenüber den anderen Menschen entfremdet sich der Doctor noch mehr. Gegenüber seiner Mitreisenden und Helferin muss er sich endgültig als Timelords und Außerirdischer outen, wenn er zugibt, das ihn mehr mit dem Master als den Menschen verbindet. Die Zusammenarbeit mit der UNIT ist eher brüchig und beschränkt sich auf einige wenige Kommentare nicht selten mit satirisch zynischen Zwischentönen. Die Verbindung zwischen dem Doctor und dem Master ist dagegen einzigartig, emotional ohne ins Kitschige zu verfallen beschrieben. Im Verlaufe der verschiedenen Plotwendungen sind die beiden Unsterblichen aufeinander angewiesen. Im Gegensatz zur Fernsehserie ist es der Master - unabhängig vom teilweise überzogenen Spiel Delgados -, der zu einem dreidimensionalen Charakter reift und nicht nur Pläne schmiedet, die in der potentiellen Herrschaft über das bekannte Universum gipfeln. Im Vergleich zur Fernsehserie leistet sich Reynolds sogar einen Widerspruch: die Ursache von The Masters dunkler, dominanter Seite wird anders begründet. Reynolds geht so weit, den Master als den moderneren Charakter zu beschreiben. Ein Wissenschaftler, der sachlich Chancen und Risiken abwägen kann. Er ist bereit, sich für die größeren Ziele zu opfern und seine Ausrichtung ist ausschließlich wissenschaftlich. Gegen Ende des Romans wirkt der Master allerdings zu gut und das ständige Mißtrauen des Doctors soll den Leser auf eine falsche Spur lenken, die schließlich doch nicht beschritten wird. Dagegen ist der Doctor impulsiv, emotional, irrational, improvisierend. Mit seinen wundervollen Spielzeugen kann der Doctor die persönlichen Schwächen ausgleichen. Reynolds bewegt sich über den ganzen Roman auf einem schmalen Grad, denn in mehr als einer Szene überlegt der Doctor, seinen Kontrahenten doch zu töten, um endlich auf dieser Flanke Ruhe zu haben. Reynolds gelingt es, den Zeitgeist dieser Ära inklusiv der technischen Nonsensdialoge in die Gegenwart zu übertragen und die Figuren für die Gegenwart wie schon angesprochen behutsam, aber sehr intelligent zu modernisieren. Diese Auseinandersetzung gipfelt impliziert in der Geißelung der falschen Moral der Timelords und ihrem arroganten Verhalten minderentwickelten Spezies gegenüber, die weit weg vom klassischen Schutzgedanken der "Star Trek" Serie sind. Der Versuch, eine ultimative und vor allem abschließende Doctor/ Master Geschichte zu schreiben, ist nicht ganz gelungen, da sich Reynolds in dem ansonsten zufriedenstellenden und emotional packenden Finale scheut, den letzten Schritt zu gehen und Stränge in diesem/ seinem Universum endgültig abzuschneiden. Aber der Weg in die ferne Zukunft ist nicht nur gut geschrieben, sondern wird von dreidimensionalen Inkarnationen der damaligen "Fernsehhelden" der Pertweeära - das reicht bis in kleinere Nebenrollen - sehr gut begleitet.

Als Zeitreiseroman betrachtet hat Reynolds sehr viel Spaß, die möglichen Gesetzmäßigkeiten zu etablieren, um sie dann wieder um zustoßen und neue Ideen auf- sowie einzubauen. Er verzichtet im Gegensatz zu seinen sonstigen Science Fiction Romanen  auf eine barocke, bizarre Zukunft und konzentriert sich auf einen teilweise allerdings auch bekannten Invasionsplot, auf den er als Höhepunkt des ganzen Romans die persönliche Auseinandersetzung zwischen gut und böse in Form des Doctors und des Masters aufsetzt. Kaum hat er allerdings diese Prämisse hinterfragt, beginnt er die Zielrichtung der beiden wichtigsten Protagonisten zu unterminieren und die Erwartungshaltung der Leser im wahrsten Sinne des Wortes als einen der interessantesten und vielschichtigsten "Dr. Who" Romane der letzten Jahre auf den Kopf zu stellen.         

 

  • Format: Kindle Edition

  • Dateigröße: 538 KB

  • Seitenzahl der Print-Ausgabe: 368 Seiten

  • Verlag: BBC Digital (6. Juni 2013)

  • Verkauf durch: Amazon Media EU S.à r.l.

  • Sprache: Englisch

  • ASIN: B00CA88I2C