After Party

After Party, Rezension, Titelbild
Daryl Gregory

 Daryl Gregorys Roman „After Party“ verfügt über eine Idee, welche direkt von Philip K. Dick stammen könnte. Eine neue Droge Numen ermöglicht es den Süchtigen, Gott oder entsprechenden Inkarnationen im Drogenwahn zu begegnen. Der Entzug ist heftig, die Nebenwirkungen nicht erforscht und eine massive Überdosis könnte zu gespaltenen, zerbrochenen Persönlichkeiten führen. Dick hätte aus dieser Prämisse einen Roman um Paranoia und religiösem Wahn gemacht, am besten mit der neue Schafe suchenden Kirche als Drogendealer. Daryl Gregorys Buch wirkt ein wenig zu unstrukturiert. Sehr gute Szenen wie die Verfolgungsjagd im amerikanisch – kanadischen Grenzstreifen enden in einem fast surrealistisch erscheinenden Finale, das durch anschließende Längen wieder negiert wird.

 Vor allem ist der zugrunde liegende Plot derartig einfach und nach der Manier der amerikanischen Blockbuster strukturiert, das der Leser sich an einigen Stellen verwundert die Stirn reibt. Grundsätzlich ist die zweite Ausgangsidee interessant und bietet auch Potential, das der Autor an einigen Stellen sehr gut hebt. So einfach, wie es der Klappentext impliziert, ist die Herstellung von Drogen nicht. Theoretisch kann sich jeder seine Lieblingsdroge im Rahmen der so genannten Smart-Drug Revolution selbst zu Hause am Drei- D Drucker herstellen. Wie die verschiedenen Rückblicke aber zeigen, ist die Entwicklung neuer Medikamente, die auch als Drogen nutzbar sind, weiterhin kostspielig und vor allem auch zeitintensiv. Eine Gruppe von jungen ehrgeizigen Forschern wollte eigentlich ein neues Medikament herstellen, durch einen Zufall entwickeln sie eine Droge, die es den Menschen ermöglicht, ihren persönlichen Gott während des Rausches zu sehen. Am Ende der Testphase ist eines der Mitglieder der Gruppe tot, anscheinend ermordet. Die Neurochemikerin Lyda Rose gilt als verdächtig, ihre Kollegin im Rausch umgebracht zu haben.

 Zu Beginn des Romans erfährt Lyda Rose in ihrer Entziehungsklinik von einem jungen Mädchen, das in einer Kirche eine Droge genommen und sich umgebracht hat. Die Nebenwirkungen erinnern sie an das von ihr mitentwickelte Numen Produkt. Nur haben die überlebenden Teilnehmer aus der kleinen Forschergruppe geschworen, die Droge niemals in den Vertrieb zu geben. Lyda Rose muss sich gegen den Willen ihrer Ärzte selbst aus dem Entzug entlassen und nachforschern, wer Numen produziert und vor allem woher die verschiedenen Quellen die entsprechenden Drei D Drucker für diese spezielle Droge haben.

 Ein aufmerksamer Krimileser wird schnell den Verdächtigenkreis einengen können. Hinzu kommt, dass dank der verschiedenen Hinweise auch erkennbar ist, dass Lyda Rose wahrscheinlich keine Mörderin ist. Lyda Rose muss aus Kanada in die USA „fliehen“, um dort den Spuren zu folgen. An ihrer Seite befindet sich ein ehemaliges Mitglied einer militärischen Spezialeinheit, welche vor ihren Überwachungstätigkeiten anscheinend auch hinter feindlichen Linien operiert hat. Zusammen bilden die beiden Frauen ein interessantes Duo. Hirn und Muskel quasi. Auch wenn die Verfolgungsjagd auf den ersten Blick zumindest kreuz und quer durch den nördlichen Teil der USA führt, strukturiert Daryl Gregory seinen Roman ein wenig zu stringent. Spätestens ab der Mitte der Rückblenden ist der Täter identifiziert, auch sein Motiv nachvollziehbar. Spannungstechnisch braucht der Autor noch eine Art Sündenbock, ein Ablenkungsmanöver, das sich zu lange hinzieht und dann viel zu schnell wie blutig aufgelöst wird. Auch die finale Konfrontation erscheint überstürzt, es gibt keine echten Überraschungsmomente mehr und für die Frauen ist es nur ein Pyrrhussieg.

 Zusätzlich gibt es einen professionellen Killer, der auf seiner Seite der Spur der Drogen folgt und entsprechende Zeugen foltert, befragt und schließlich ermordet. Diese beiden Handlungsebenen müssen wie angesprochen während des Finales zusammenlaufen. Einzelne Szenen sind irgendwo zwischen unangenehm und spannend angelegt, aber in dieser Hinsicht ist „After Party“ eben nicht „ schnell wie ein Thriller, aber sehr viel substanzieller“ ( Zitat Klappentext), sondern ein typischer oberflächlicher Hollywoodstreifen nach der „Allein gegen alle“ Manier.

 Sehr viel interessanter sind die einzelnen Protagonisten sowie die Ansätze dieser Drogeninduzierten neuen Welt.

 Vielleicht erwartet der Leser mehr hinsichtlich der Verbreitung dieser Gott erscheinenden Droge. Neben dem „Vertrieb“ über dir Kirche in Form von Oblaten werden einzelne Partys angesprochen, aber die Welt bleibt dem Leser auch fremd. Zu viele Fragmente werden hinsichtlich der utopischen Ausrichtung der Geschichte unterminiert und vor allem agiert Daryl Gregory hinsichtlich der Visionen zu einfallslos, zu schwach.

 Die besten Szenen sind die Drogenkönige in der kanadischen Hauptstadt. Alleine die Odyssee zu ihnen ist eine Aneinanderreihung von bizarren Szenen und schrägen Protagonisten. Das diese Frauen inklusiv ihrer seltsamen Geschichte gefährlich, sogar tödlich sind, zeigt der zweite unfreiwillige Besuch in dem Etablissement. Ein anderer wichtiger Aspekt ist die kleine Indianersiedlung zwischen Kanada und den USA mitten im Strom gelegen. Diese einzigartige Position macht sie zu einem perfekten Schmugglerparadies, wobei aus alter Tradition weniger Drogen als Tabak über die jeweiligen Grenzen transportiert wird. Daryl Gregory entschließt sich, diesen Schauplatz mit einigen Hintergrundinformationen anzureichern, aber zu schnell und zu hektisch wendet sich der Plot der Welt der wirklich Reichen zu und kehrt vor allem in Kombination mit den Rückblenden auch ein wenig zur Ausgangsbasis zurück.

 Es ist erstaunlich, wie nahe bis auf die allgegenwärtigen Drei D Drucker diese Welt dem Leser ist. Es gibt keine technischen Überraschungen oder Spielereien. Es ist ein klassischer Thrillerhintergrund ohne weitere Exzesse mit den skurrilen Schurken und der Dekadenz der arrogant Reichen in ihren gesetzlosen Palästen. Aber keine Idee ist wirklich neu oder innovativ. Vor allem weil das potentielle Motiv des Täters indirekt durch die Rückblenden verraten wird.

 Die Figuren sind solide gezeichnet, aber auch hier flacht die Kurve im Verlauf des Romans deutlich ab. Lyda Rose ist dabei die Identifikationsfigur des Lesers. Die erste Hälfte des Geschehens findet bis auf den als Katalysator dienenden Prolog sowie die Rückblenden fast ausschließlich aus ihrer Perspektive statt. Alle Informationen filtert sie für den außen stehenden Betrachter. Da sie auch eine durch geknallte, mörderische Psychopathin sein könnte, erhält diese Art des unzuverlässigen Erzählers einen besonderen Reiz. Sie wird begleitet von einer wahrscheinlich imaginären Engelserscheinung namens Doktor Gloria. Mit ihren zynischen Kommentaren wird die Perry Rhodan Leser an Atlans Extrasinn erinnern, auch wenn sie an ein oder zwei Stellen auch direkt eingreifen und Geschehnisse umlenken kann. Doktor Gloria ist eines der zahlreichen Phänomene, welche der Autor nicht weiter erklärt. Ob es sich um Einbildung, Schizophrenie oder Folgen der Drogensucht handelt, erläutert Daryl Gregory nicht. Dieses Zurückhalten von relevanten Informationen würde nicht stören, wenn der Autor im Gegensatz zu Philip K. Dick dann eine komplette Akzeptanz beim Leser voraussetzt und diese Ideen nicht selten als Sprungbretter wichtiger Handlungsabschnitte einsetzt, ohne einen Rückgriff auf das bisher entwickelte Universum zu nehmen.  

 Im mittleren Abschnitt, wenn die einzelnen Versatzstücke zusammenfallen, ist es die ehemalige Soldatin  und spätere Geliebte, welche für den brutalen Teil zuständig ist. Als ehemalige Überwachungsspezialistin – niemand weiß, ob sie mit ihrer Idee eines Terroranschlags und Warnungen bis in die höchsten Stellen falsch oder richtig gelegen hat – hat sie Zugriff auf die notwendigen Resourcen und ist die Frau fürs Grobe.

 Die Schurken sind eher eindimensional vom psychopathischen Killer mit einem eher theoretischen Gewissen über den angesprochenen reichen Milliardär allerdings inzwischen fast entmündigt bis zum eigentlichen Täter charakterisiert worden. Sie strahlen nur bedingt eine Bedrohung aus, da der Leser keine Sekunde daran denkt, dass Lyda Rose in wichtigen Teilen ihrer Mission scheitern könnte.

 „After Party“ ist kein schlechter Roman, aber auch kein zufrieden stellendes Werk. Zu viele Ideen werden zu oberflächlich umgesetzt, nicht selten ist Improvisation eher Vater des Textes als eine konsequente Handlungsführung. Dem Gegenüber stehen eine Reihe von überzeugenden Ideen und interessanten Versatzstücken, so dass die Idee einer „Gott beschwörenden“ Droge nicht gänzlich zufrieden stellend gehoben, aber interessant angedacht worden ist.      

  • Taschenbuch: 400 Seiten
  • Verlag: FISCHER Tor; Auflage: 1 (26. Januar 2017)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3596034531
  • ISBN-13: 978-3596034536