Die Geier von Whapeton

Robert E. Howard

Im Original heißt die Robert E. Howards Geschichte bei der ersten Veröffentlichung „The Vultures of Whapeton“.   

 Im Westerngenre handelt es sich bei dieser Novelle oder besser diesem Kurzroman um eine der längsten Arbeiten des Texaners und vom Handlungsverlauf her eine der eher positiv gesprochen klassischen Geschichten mit einem Antihelden voller moralischer Vorstellungen, die auch seine Heroic Fantasy Stories durchziehen. So tötet Cocoran nur in Notwehr. Diebe raubt er aus, niemals Unschuldige. Frauen sind Schutzbefohlene. Niemals würde er eine Hand gegen eine Frau heben oder sie töten. Bei den Heroic Fantasy Geschichten relativiert Robert E. Howard diesen Aspekt ein wenig, in dem Frauen durchaus offensiv erotisch und sexuell anziehend sein können – auch das wird in den Westerngeschichten nicht ausgeschlossen -, es aber keine übernatürlichen Elemente wie Hexen gibt. Hexen sind grundsätzlich von den Gentlemenbehandlung zumindest bei „Conan“ ausgeschlossen.

 Robert E. Howard begann relativ „spät“ im Rahmen seiner Karriere mit Westerngeschichten. Müde geworden von den sich inzwischen abschleifenden Mustern der „Conan, der Barbar“ Storys entwickelte der Texaner erst durchaus humorvolle, leichte Geschichten, in denen Heldentaten bei der Kolonisierung des Wilden Westens beschrieben worden sind. Es gab mit „The Horror from the Mound“ schon 1932 einen Hybriden aus Horror- und Westerngeschichte, aber die reinen klassischen Texte folgten innerhalb von zwei Jahren kurz aufeinander mit Helden wie Breckenridge Elkins, Grizzly Elkins – um Howards Hang zum Nanmensrecycling kurz aufzuführen – oder The Somorra Kid.

 „The Vultures of  Whapeton“ oder nur „the Vultures“ oder „The Vultures of Teton Glitch“ – jeder Nachdruck schien einen neuen Titel für die Geschichte zu haben – erschien zum ersten Mal im Dezember 1936 im Magazin „Smashing Novels“  zusammen mit zwei weiteren langen Novellen oder Kurzromanen anderer Autoren.   

 Whapeton könnte für zahllosen Siedlungen stehen, in denen abgeschieden von der Zivilisation unschuldige Menschen unterdrückt und Banditen drangsaliert und ausgeraubt werden, bis eine Art Antiheld – dabei spielt es keine Rolle, ob es Samurais oder der Mann ohne Namen oder Charaktere wie Shane sind – eher durch einen Zufall in das kleinen Ort kommt und für Recht und Ordnung sorgt. Dieser Handlungsbogen ist ein Klischee und ganz bewusst in einer der lange Zeit besten Wendungen arbeitet Robert E. Howard mit der Erwartungshaltung der Leser.

 Der Sheriff droht nach der Ermordung eines weiteren Deputys, von jenseits der Bundesstaatengrenze einen Revolvermann zu holen, der für Ordnung sorgt. Eine Bande namens „Vultures“ mit einem geheimnisvollen Anführer tyrannisiert die Gegend, raubt die Goldtarnsporte aus und fühlt sich dem Sheriff und seinen wenigen Männern überlegen.

 Draußen in der Wildnis trifft sich der Sheriff mit diesem Mann, der umgehend Opfer eines Duells wird. Aus dem Nichts taucht Cocoran auf, der mit dem Söldner noch eine Familien Angelegenheit zu klären hatte und ihn deswegen herausforderte. Der Sheriff sieht seine Chance, Cocoran zu verpflichten. Der schweigsame beidhändig schießende Mann nimmt den Auftrag an. Relativ schnell hat er die ersten Möglichkeit, sich gegen die Vultures zu bewähren.

 Kaum sind die Eckpunkte der Handlung etabliert, dreht Robert E. Howard den Plot auf den Kopf. Der Leser kennt den Chef der Vultures. Cocoran steht zwischen Gesetz und Unrecht. Der Plan ist auch deutlich komplizierter. Die Banditen sind auch nur Handlanger, welche die Gegend unsicher und das Gold stehlen sollen, um später selbst Opfer zu werden. Cocoran soll als einer von einer Handvoll Männer der mittleren Hierarchieebene die mehr als eine Millionen Dollar in Gold mit abtransportieren, wenn die Emotionen in der kleinen Stadt abschließend überkochen.

 Dazu nutzt der Chef der Vultures einige Ablenkungsmanöver. Robert E. Howard spiegelt die Szene im Salon aus dem Prolog noch einmal. Nur ist Cocoran das potentielle Opfer. Auch hier zeigt sich, dass der Chef der Vultures mit einem sehr langen Atem plant. Cocoran hat kein Problem, den Banditen solange zur Seite zu stehen, so lange es sich um gestohlenes Gold handelt und er nur Schurken, aber keine normalen Bürger in den zahlreichen Duellen töten muss. Immer wieder betont Robert E. Howard diese fatalistische, doppelte Moralvorstellung seines Antihelden.

 Zwei Situationen bringen den Plan zum Kippen. Zum Einen verhaftet Cocoran einen Bekannten, der im Salon einen Falschspieler während eines Duells erschossen hat. Niemand rechnet damit, dass der Mann zum Tode verurteilt wird. Aber um nicht ein Opfer der Vigilanten zu werden, muss er freigesprochen werden. Und bis das Gericht in dem kleinen Ort zusammentritt, ist er Freiwild. Cocoran sieht es als seine auch moralische Aufgabe an, ihn auch gegen die Interessen seines direkten wie auch im Hintergrund indirekten Chefs zu verteidigen.

 Cocoran verliebt sich in ein hübsches Mädchen, das im Salon arbeitet. Sie warnt ihn mehrmals vor Anschlägen auf sein Leben. Als sie bei einem weiteren Plan heimlich lauscht, vertraut sie sich in ihrer Wut und Enttäuschung den falschen Menschen an. Mit fatalen Folgen.

 Der Aufbau des Kurzromans ist trotz des hohen Tempos gemächlich. RobertE. Howard nimmt sich Zeit, die einzelnen Puzzlestücke zusammenzusetzen und sie wieder auseinander zunehmen, um zur Verblüffung des Lesers mit einem anderen „Bild“ eine gänzlich andere Perspektive zu erschaffen. Hinter jedem Plan steht ein weiterer Plan. Cocoran ist eher ein Handlanger denn wirklich aktiv bis auf den Schutz des Freundes und der Frau in das Geschehen eingebunden. Auf den ersten Blick ist er loyal, auf den zweiten Blick beginnt das Gold auch seinen Verstand nicht zum ersten Mal in seinem Leben zu vernebeln. Die Informationen über seine Vergangenheit sind eher vage und dienen in erster Linie dazu, sein Handeln in dem einen Moment zu erläutern.

 Daher kommt das Ende fast aus dem Nichts. Die Ereignisse erreichen ihren bitteren Hintergrund. Der Chef der Vultures will sich mit dem Gold absetzen, alles ist perfekt geplant. Die Vultures und die Vigilanten beginnen sich gegenseitig umzubringen. In diesem Chaos macht der Chef einen kleinen, aus seiner Sicht aber konsequenten Fehler. Er beseitigt ein loses Ende in seinem Plan. Er ahnt nicht, dass unabhängig von seiner bisherigen Position dieses Handeln Cocoran zu einer Aktion zwingt. Die Grenzen seines ambivalenten moralischen Codes sind verletzt worden und es bleibt dem Revolvermann nur übrig, zumindest vor ihm selbst sein Gewissen wieder herzustellen.

 Robert E. Howard hat zwei Enden für diesen Kurzroman verfasst. Das erste Ende ist zynisch und entspricht auch ein wenig dem fatalistischen Finale, das den Western „Shane“ im Buch noch stärker als im Film auszeichnen sollte. Der Revolvermann muss erkennen, dass es für ihn keine echte Zukunft, keine Familie und damit auch kein Glück geben kann. Das Ende ist abrupter, aber auch konsequenter. Es ist in mancherlei Hinsicht der bessere Abschluss, aber für eine Geschichte aus den dreißiger Jahren auch überraschend nihilistisch.

 Das zweite wahrscheinlich bekanntere Ende ist deutlich länger. Es wirkt auch angesichts der Vorgaben aufgesetzter, aber es gibt Cocoran am Ende seiner Mission zumindest ein Moment das Gefühl, nach vielen falschen Entscheidungen das Richtige getan zu haben. Interessant ist, dass Robert E. Howard den meisten seiner Fantasy Figuren eine solche Zukunft nicht „geschenkt“ hat.

 „The Vultures of Whapeton“  ist einer seiner besten Westerngeschichten. Der Plot wird in einem hohen Tempo erzählt, ist aber durch die zahlreichen Wendungen weder für Cocoran noch den Leser wirklich vorsehbar. Auch wenn Robert E. Howard die Angewohnheit hat, seine überdimensionalen Antihelden charakterlich aufs Rudimentärste zu reduzieren, um sich auf ihren überdurchschnittlichen Fähigkeiten als Kämpfer zu konzentrieren, ist Cocoran eine der Figuren, die in den sechziger und siebziger Jahren den Spätwestern dominieren sollten. Howard hat einen eindringlichen, konzentrierten Schreibstil bestehend auch kurzen, aber farbenprächtigen Teilsätzen und Sätzen. Die Hintergrundbeschreibungen sind konzentriert und kompakt, die Atmosphäre stimmig und wie mehrfach erwähnt die Geschichte nicht zuletzt aufgrund der ausschließlich „grauen“ männlichen Protagonisten und nur einer Lady mit einem Herzen aus Gold so wunderbar vielschichtig  

 

  • Format: Kindle Edition
  • Dateigröße: 1986 KB
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe: 110 Seiten
  • Verlag: BLITZ-Verlag (16. Oktober 2017)
  • Verkauf durch: Amazon Media EU S.à r.l.
  • Sprache: Deutsch
  • ASIN: B076H2LPCB
  • Printausgabe direkt beim Verlag bestellbar www.blitz-verlag.de
  • Die Geier von Wahpeton (Kult-Romane)
Kategorie: