Projekt Morgenröte

Arthur C. Clarke

Nach „Aufbruch zu den Sternen“ ist „Projekt Morgenröte“ der zweite Roman von Arthur C. Clarke. Im Grunde könnte der vorliegende Plot eine natürliche Fortsetzung des Epilogs seines Debüts sein. Dieses spielt ja auf einer festen Mondkolonie, die Menschheit ist bereit, weiter nach den Sternen zu greifen.

 Während in seinem ersten Buch ein Historiker als akkurater Chronist des Aufbruchs zu den Sternen angeheuert worden ist, steht dieses Mal ein Science Fiction Autor im Mittelpunkt des Geschehens. Martin Gibson hat mit seinen Büchern einen relativen Erfolg gehabt. Auch wenn ebenfalls wie in seinem Erstling seine Beschreibungen der Erforschung des Weltalls eher Phantastereien sind und sich deutlich von den wissenschaftlichen Grundlagen abheben und Gibson zusätzlich eine Hommage an D.H. Lawrence in Form des populären „Marsfiebers“ verfasst hat, träumt Gibson tief in seinem Inneren davon, mit diesem Besuch auf der Marskolonie die Grundlage für einen neuen Abschnitt seiner Karriere zu setzen.

 Mit dem Historiker oder Autor schafft Arthur C. Clarke in beiden Romanen eine klassische Identifikationsfigur für den Leser, welcher stellvertretend die technischen Fortschritte und Herausforderungen auf dem Mars erläutert werden. Im Gegensatz zu „Aufbruch zu den Sternen“ geht Clarke aber auf der emotionalen Ebene noch einen Schritt weiter. Dort bestand das Risiko, das einer der ausgesuchten Astronauten während der Mission Vater werden könnte, was ihn emotional belasten müsste. In diesem Buch wird nicht nur eine ein wenig kitschige Liebesgeschichte zwischen der Tochter des Leiters der Marskolonie impliziert, Gibson trifft auf den eigenen Sohn aus einer vorher aufgelösten Beziehung. Natürlich beginnt er sich im Verborgenen vorsichtig um den „Sohn“ zu kümmern. Jimmy ist gleichzeitig eine Brücke zu den jugendlichen Lesern, denn er träumt von den Sternen und lernt eher durch Zufall eine passende Frau kennen, die Verständnis für seine Ambitionen hat und als Seemannsbraut quasi die ersten Jahre sicher immer wieder auf ihren Mann warten wird. Wie in einigen anderen seiner Bücher sind die charakterlichen Zeichnungen eher oberflächlich und pragmatisch.

 Zwischenmenschliche Konflikte genauso wie schurkische Antagonisten bis auf den fehlgeleiteten Fanatiker in“ Aufbruch zu den Sternen“, der schließlich friedlich sterbend von den Ordnungskräften aufgesammelt wird, gibt es in Clarkes Büchern nicht. Der Kampf gegen die unwirtlichen Herausforderungen bzw. in diesem Fall das Leben auf dem roten Planeten stehen im Mittelpunkt seiner Bücher. Immer wieder wird betont, dass diese Hürden nicht unbedingt die kräftigsten, sondern die herausragenden Köpfe anlockt und Wissenschaftler gerne auf den Mars ausgewandert sind, um dort an Problemen zu arbeiten. Das diese Probleme eher Langzeitpläne umfassen, während auf der anderen Seite immer wieder betont wird, das „normale“ Menschen nur dort bleiben können, wenn die besondere Fähigkeiten für das alltägliche Leben mitbringen steht in einem anderen Zusammenhang.

 „Projekt Morgenröte“ ist nicht unbedingt ein Jugendbuch. Robert A. Heinlein und Lester del Rey haben in dieser Hinsicht dem Briten eine Nase voraus. Aber im direkten Vergleich mit dem sehr distanzierten wie sachlichen Stil seines Erstlings geht Clarke nicht nur in Person Jimmys, sondern vor allem auch aufgrund eines erstaunlichen Fundes eher auf ein jugendlicheres Publikum zu.

 Im Mittelpunkt stehen aber zwei Aspekte. Der lange Flug zum Mars an Bord eines der Versorgungsschiffe und schließlich das Leben unter den Kuppeln inklusiv einer Expedition in die Steinwüsten, die nach einem Sandsturm mit einem Absturz endet. Diese Art der Katastrophe wird Clarke in einem späteren Roman mit einer Touristengruppe auf dem Mond noch einmal aufnehmen.       

 Der Flug dahin zeigt die Mischung zwischen Routine und Pioniergeist. Die Besatzung sind eingespielt, aber nicht unbedingt an einen prominenten Passagier gewöhnt, wobei sich Gibson durchaus dem Spot der Raumfahrer hinsichtlich seiner Romane stellt. Die Technik wird von Arthur C. Clarke akkurat, aber nicht mehr so minutiös wie in seinem Erstling beschrieben,  auf dem Mars ist Gibson der bewunderte Besucher, der Chronist. Auf der Erde wartet seine Agentin Ruth – ein weiteres Klischees – auf die verschiedenen Berichte. Im Notfall auch dreimal den gleichen Text mit unterschiedlichem Titel.

 Die Marskolonie noch unter Kuppeln beschreibt Arthur C. Clarke als klassische Extrapolation seiner Basis auf dem Mond, von der aus der Erzähler seines ersten Buches wehmütig und angesichts der längeren Überlebenschancen aufgrund der geringen Schwerkraft auf seine Heimat zurückschaut. Die Marsianer sind einen Schritt weiter. Konsequent versuchen sie ihre Lebensbasis zu verbessern.

 Vom Bereich der damals noch Science Fiction, heute eher Science Fact weicht Clarke im Angesichts der Katastrophe ab. Eines der Flugzeuge landet durch einen der aus dem Nichts kommenden Sandstürme in einem Tal. Die drei Gestrandeten warten auf Rettung. Dort begegnen sie den verbliebenen Bewohnern des Mars, eine an Beuteltiere erinnernde Rasse, die ihre notwendigen Sauerstoff inzwischen durch Pflanzen extrahiert.

 Über allem schwebt das geheimnisvolle Projekt Morgenröte, das in einem engen Zusammenhang mit Phobos steht. Gibson hat auf dem Mars auch ein ihm verschlossenes Laboratorium gefunden. Arthur C. Clarke wird diese Idee in „2010“ noch einmal deutlich spektakulärer aufgreifen. Aber am Ende eines lange Zeit sehr unterhaltsam, aber auch sehr sachlich geschriebenen Romans ist es ein spektakulärer Abschluss, wobei die Reaktion auf der Erde klassisch ist. Auch Robert A. Heinlein wird in „Der Mond ist eine herbe Geliebte“ auf die Sklaventreiber von der Erde eine entsprechende Antwort finden, wobei Clarke der reine Diplomat ist, der ein wenig naiv an das Gute selbst in politischen System glaubt.

 „Projekt Morgenröte“ ist weniger das Buch der Pioniere, sondern der Brite hat sich sehr viele Gedanken gemacht, wie Menschen im All überleben können. Wie die im geostationären Orbit befindlichen Satelliten soll der Mars als Sprungbrett zu den äußeren Planeten dienen.  Ein emotionaler Bericht über eine Expedition zum Saturnmond Titan schließt dieses Kapital spektakulär ab.

 Gibson kann nicht richtig beschreiben, was ihn an der Marskolonie wirklich fesselt. Auf der einen Seiten hat Clarke im Gegensatz zu einigen anderen Science Fiction Autoren auf Kapitel verzichtet, die auf der Erde spielen. Gibson befindet sich Prolog schon auf der Reise. Auf der anderen Seite sind die politischen Ansicht eher ambivalent beschrieben und die Marskolonie wirkt unter einer starken, aber fair führenden Hand wie eine Art Kommune mit Gleichen und Gleichen, die alle zusammen an einem gemeinsamen Ziel arbeiten.

 Politik ist selten Clarkes Thema gewesen und auch im immer noch sehr stringent zu lesenden „Projekt Morgenröte“ findet sie im Grunde nicht statt. Es sind aber Clarkes große Ideen, auf eine angenehm unauffällige Art und Weise präsentiert, welche seine frühen sehr kompakten Bücher auszeichnen. Vor allem, weil er sie mit dem Wissen der fünfziger Jahre, einem Schuss Phantasie, aber vor allem einem vom Ingenieur geprägten Weitblick überzeugend ohne Dogma niedergeschrieben hat.  

 

Projekt Morgenröte

Aus dem Englischen von Herbert Roch
Originaltitel: Sands of Mars
eBook epub (epub) 200 Seiten
ISBN: 978-3-641-11627-9